Reha für Senioren Wenn das Pflegeheim nicht Endstation ist
Wer im betagten Alter ins Pflegeheim kommt, bleibt in der Regel auch dort. Zurück nach Hause geht es meist nicht mehr. Das Konzept der "Rehabilitativen Pflege" verfolgt einen anderen Ansatz: ein Pflegeheim mit Rückfahrticket.
Doris Fisch war gestürzt, sie hatte sich die Wirbel gebrochen, musste zweimal operiert werden. Da sie ans Bett gefesselt war, kam sie in ein Pflegeheim. Sie wollte aber so schnell wie möglich wieder weg. "Weil es mir in der Einrichtung, in der ich zuerst war, überhaupt nicht gefallen hat. Und weil ich da nur in der Ecke herumlag", beschreibt die heute 79-Jährige ihre damalige Situation.
Eineinhalb Jahre ist das nun her. Als sie vom Haus Ruhrgarten in Mülheim an der Ruhr hörte, kümmerte sie sich selbst um einen Platz. Heute kann Doris Fisch wieder laufen. Und sie hat große Ziele: Sie möchte gerne nach Hause, in ihre neue Wohnung ziehen. Möglichst selbstständig sein.
Ergotherapie ist fester Bestandteil des Konzepts in Mühlheim.
Konzept der "Rehabilitativen Pflege"
Im betagten Alter nach langer Zeit im Heim wieder zurück nach Hause - das ist ein ganz spezieller Ansatz, der im Haus Ruhrgarten verfolgt wird. Er heißt "Rehabilitative Pflege". Oskar Dierbach hat das Konzept der Verknüpfung von Pflege und Reha entwickelt. Er war Altenpfleger und hat viele Jahre die Pflegeeinrichtung in Mülheim geleitet, bis er vergangenes Jahr in Rente ging.
"Wir haben entdeckt, welcher Reichtum das ist, wenn man Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht über ein Verwahren nachdenkt, sondern über das Wiederhineinhelfen ins Leben", so Dierbach. Die Kernfragen dabei seien, wie es dem Menschen heute gehe und was er brauche, damit er sich morgen besser fühle.
Dahinter steckt ein komplexes System. Wer im Haus Ruhrgarten behandelt wird, hat ein großes Team um sich herum: Pflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen, Therapeuten und Therapeutinnen, Apotheker und Apothekerinnen arbeiten Hand in Hand und tauschen sich aus. Gemeinsam erstellen sie dann ein Handlungskonzept. Jeder Fall wird von allen Seiten beleuchtet: Können Medikamente abgesetzt werden, kann sich die Person bewegen, muss sie vielleicht erst einmal seelisch betreut werden?
Viele Heimbewohner können wieder nach Hause
15 bis 20 Prozent der Heimbewohner schafften es wieder zurück nach Hause, so Dierbach. Allein in den Jahren zwischen 2017 und 2019 konnten 170 Bewohnerinnen und Bewohner aus der stationären Pflege in ihr eigenes Zuhause entlassen werden. Eine gute Quote, die für das rehabilitative Konzept spreche.
Die AOK beobachtet das Konzept der therapeutisch-rehabilitativen Pflege ganz genau. "Damit wird das aktuell in der Pflege geltende Prinzip, das die Vergütung an der Höhe des Pflegegrades ausrichtet und keine finanziellen Anreize setzt, Menschen aus ihrer Pflegebedürftigkeit herauszuhelfen, umgekehrt", sagt Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. Zudem würden weniger Arzneimittel benötigt, die Zahl der Krankenhausaufenthalte werde reduziert und damit auch die Behandlungskosten und mehr Patientinnen und Patienten könnten nach Hause zurückkehren.
Fehlende gesetzliche Grundlage
Doch in der Praxis besteht das Problem, dass bislang neben der ambulanten und der stationären Rehabilitation keine rechtliche Grundlage besteht, um Rehamaßnahmen vor Ort, also im Pflegeheim oder zu Hause anzubieten. Diese Gesetzeslücke zu schließen ist das Ziel eines Projekts der AOK Rheinland/Hamburg, das im April beginnen soll.
Über einen Zeitraum von vier Jahren werde das Konzept der Therapeutischen Pflege in zwölf weiteren Heimen der stationären Altenhilfe im Einzugsgebiet der AOK Rheinland/Hamburg umgesetzt und wissenschaftlich begleitet. "Das Ziel muss es sein, die disziplinären Grenzen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung abzubauen und eine ganzheitliche Betrachtung des betroffenen Menschen in den pflegerischen Alltag zu übertragen", so Mohrmann. Der Gesetzgeber müsse hierfür aber die rechtlichen Grundlagen schaffen.
Doris Fisch kämpft jedenfalls dafür, endlich wieder alleine leben zu können - und sie kommt diesem Ziel Stück für Stück näher. Momentan tue sie sich noch schwer, ohne Hilfe aufzustehen und durchs Zimmer zu gehen. "Wenn ich das aber kann, möchte ich auch nach Hause", sagt sie. Diese Perspektive motiviere sie, Tag für Tag weiter zu trainieren.