Schüler feiern in Tübingen ihr Abitur.
mittendrin

Abi-Partys in Tübingen Betreutes Feiern

Stand: 08.05.2023 14:13 Uhr

Nach dem Abitur wird gefeiert - zumeist mit reichlich Alkohol. In Tübingen hat sich regelrecht eine Partymeile für Abiturienten entwickelt. Die Stadt setzt nun auf betreutes Feiern - mit Sozialpädagogen.

Als Erste sind "die Violetten" da. Entspannt sitzen sie auf den Bänken vor dem Tübinger Kepler-Gymnasium, alle in lila Hoodies gekleidet. "Abi 23" ist darauf zu lesen. Und: "Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt." Die Abiturienten haben Schokoladenkuchen mitgebracht, Bier, Sekt und andere Alkoholika. "Heute ist Matheklausur, unsere Freunde sind gleich fertig, jetzt holen wir sie ab und wollen feiern", sagt Lara. Als die Tür des Gymnasiums aufgeht, springen die Mädchen auf, Gejubel, Geschrei, Schokokuchen umringen den 18-jährigen Jan, der aus der Mathematik-Klausur kommt. Der lächelt erschöpft. Er fühle sich, als "hätte man mir einen Elefanten von den Schultern genommen". Jetzt wolle er feiern.

Feiern in der "Uhland"

Die Tübinger Uhlandstraße hat sich in den vergangenen Jahren zum Hotspot der Abifeiern entwickelt. Drei Gymnasien sind hier angesiedelt, weitere befinden sich im direkten Umkreis. Dazu liegt die Straße nicht weit entfernt vom Tübinger Bahnhof, so dass es auch Abiturienten aus dem Umland zum Feiern "in die Uhland" zieht. Und das nicht zu knapp. "Die Violetten" bleiben nicht lange alleine. Schüler mit blauen, schwarzen, grünen Hoodies sind am Nachmittag vor dem Kepler-Gymnasium angekommen, alle mit Abi-Sprüchen versehen und alle wild entschlossen: das Ende der eigenen schriftlichen Abiturprüfungen zu feiern.

Schüler feiern in Tübingen ihr Abitur.

"Jetzt wollen wir feiern": die Tübinger Uhlandstraße hat sich zum Hotspot der Abifeiern entwickelt.

Von einem Fenster oberhalb der Mensa blickt Schulleiterin Ulrike Schönthal auf das Treiben. Inzwischen dröhnt es laut aus einer Musikbox, die Jugendlichen tanzen ausgelassen, Alkohol fließt. Dass all das vor ihrer Schule geschieht, noch dazu mitten in der Woche, ist ihr ein Dorn im Auge. "Es ist nicht so, dass ich etwas gegen das Feiern an sich hätte, aber es ist noch nicht der richtige Moment." Es seien noch nicht einmal die schriftlichen Klausuren beendet und trotzdem sei jetzt jeden Tag diese Party. Das passe nicht zusammen.

Tatsächlich ist das Schuljahr in Baden-Württemberg noch lange nicht vorbei, die mündlichen Abiturprüfungen beginnen erst nach den Pfingstferien. Gefeiert wird in Tübingen trotzdem, und das nach fast jeder geschriebenen Abiklausur. Und: nicht immer friedlich. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, vor einigen Tagen wurden sogar zwei Beamte des Ordnungsdienstes von einem 17-Jährigen verletzt.

#mittendrin aus Tübingen: Abifeiern unter Beobachtung

Jenni Rieger, SWR, tagesthemen, 05.05.2023 22:19 Uhr

Schulpädagogen teilen Wasser aus

Die Stadt hat deshalb ein Konzept erarbeitet, um die alkoholisierten Feiernden in Schach zu halten. Acht Schulpädagogen begleiten die Party, drehen ihre Runden, bieten Wasser gegen den Kater an. Eingreifen dürfen sie nicht, dafür gibt es zusätzliche Beamte vom Ordnungsdienst und der Polizei. "Die Sozialpädagogen sind da, weil es manchmal einfach Situationen gibt, in denen die jungen Leute einen Ansprechpartner brauchen", so Christine Vollmer, Leiterin der Fachabteilung Sport und Schule der Stadt Tübingen. "Man kann es betreutes Feiern nennen. Wir sagen, wir machen flankierende Maßnahmen, weil wir verstehen, dass die Schülerinnen und Schüler feiern wollen."

Tatsächlich wird es immer voller vor dem Kepler-Gymnasium, etwa 250 Abiturienten tanzen und trinken ausgelassen. Die Flaschen türmen sich, es riecht nach Cannabis. Susanne Kurz und Raphael Schweizer bahnen sich ihren Weg durch die ausgelassene Menge. "Brauchst du Wasser?", fragt der Schulsozialarbeiter einen Abiturienten. Er bejaht, aber bitte mit Kohlensäure. Die jungen Erwachsenen scheinen zufrieden mit dem Service. Zu zufrieden? "Auch wir Sozialpädagogen stellen uns die Frage, ob es sinnvoll ist, das hier auf diese Weise zu begleiten", meint Susanne Kurz. Und ihr Kollege Raphael Schweizer ergänzt: "Es ist ein schmaler Grat, es hinzubekommen, die Abiturienten nicht zu verhätscheln."

Susanne Kurz

"Auch wir Sozialpädagogen stellen uns die Frage, ob es sinnvoll ist, das hier auf diese Weise zu begleiten", sagt Susanne Kurz.

Reif für den "Abisuff"?

Tatsächlich drängt sich die Frage auf, ob Abiturienten, die soeben ihre sogeannte Reifeprüfung abgelegt haben, nicht auch reif genug sein sollten, ohne Aufpasser zu feiern. "Ja, schon", meint Leon, das Bier in der Hand. "In dem Alter, in dem man Abitur macht, sollte man seine Alkoholgrenze eigentlich kennen." Und sein Kumpel Philip, der extra aus Mössingen angereist ist, meint: "Die Uhland hat schon seit Jahren den Ruf, dass die 14-Jährigen hier anfangen zu saufen. Und beim Abisuff ist dann halt jeder dabei."

Der "Abisuff" eskalierte an diesem Abend nicht. Nur eine Rangelei, viele zerbrochene Flaschen und viele junge Menschen, die es nicht mehr aus eigener Kraft nach Hause schaffen. Für manche organisieren die Schulsozialarbeiter einen Abholdienst oder rufen die Eltern an. Am Ende des Abends wird die Stadt eine positive Bilanz ihrer "flankierenden Maßnahmen" ziehen. Und sich auf weitere Einsätze vorbereiten. Denn das Abitur ist noch längst nicht vorbei.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 05. Mai 2023 um 21:45 Uhr.