Ukraine-Krieg Zahl der Geflüchteten in Deutschland steigt
Immer mehr Menschen fliehen aus der Ukraine nach Deutschland. Wie viele es genau sind, ist unklar - an den EU-Binnengrenzen gibt es keine Kontrollen. Um die Aufnahme der Menschen zu koordinieren, fordern die Kommunen einen Gipfel.
Die Zahl der nach Deutschland kommenden Kriegsflüchtlinge ist erneut stark gestiegen. Bislang registrierte die Bundespolizei insgesamt 80.035 Menschen aus der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen sind. Am Dienstag hatte die Zahl noch bei gut 64.000 gelegen. Tatsächlich dürfte die Zahl aber deutlich höher sein als in der Statistik erfasst.
Laut UN sind inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine in westliche Nachbarländer geflogen - die meisten nach Polen. Wie viele von dort weiter nach Deutschland gereist sind, ist nicht klar. Zwar führt die Bundespolizei derzeit vermehrt Kontrollen durch, reguläre Grenzkontrollen gibt es an den EU-Binnengrenzen aber nicht. Viele der Geflüchteten werden deshalb vermutlich zunächst nicht in der Statistik erfasst.
"Zahlen von 2015 auf jeden Fall übersteigen"
Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Ukrainer, die in Deutschland Schutz suchen, in den Millionenbereich steigen könnte - und dass viele von ihnen lange bleiben werden. "Meine persönliche Prognose ist, dass die Ankünfte in diesem Jahr die Zahlen von 2015 auf jeden Fall übersteigen werden", so Fluchtforscherin Birgit Glorius von der TU Chemnitz. "Die Skala ist nach oben offen." 2015 waren etwa 900.000 Migranten vor allem aus Syrien nach Deutschland eingereist.
Glorius sagte, die Menschen aus der Ukraine bräuchten nicht nur eine erste Zuflucht, sondern Wohnraum, Bildungsmöglichkeiten, Sprachkurse, psychosoziale Unterstützung und menschliche Anteilnahme. "Das wird auch für Deutschland die größte humanitäre Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs."
Experte: Rückkehr unmöglich, falls Putin gewinnt
Dem Migrationsexperten Gerald Knaus zufolge könnten viele der Geflüchteten dauerhaft im Ausland bleiben. Denn das Projekt des russischen Präsidenten sei die Zerstörung der ukrainischen Identität. Da Wladimir Putin zu seiner eigenen Überraschung nun bemerke, "dass es sehr wohl eine starke ukrainische Identität gibt, dass sogar die mehrheitlich russischsprachigen Städte Charkiw oder Odessa sich gegen seine Invasion und für ihre Demokratie mobilisieren, setzt er auf die Vertreibung der Menschen", sagte Knaus der "Augsburger Allgemeinen". Sollte Putin den Krieg gewinnen, sei es "fast ausgeschlossen, dass die Menschen in ihre Heimat Ukraine zurückkehren".
Der Berliner Hauptbahnhof ist einer der Punkte, an dem viele der Geflohenen aus der Ukraine ankommen. Helfer verteilen Lebensmittel an sie.
Städtetag: "Flüchtlinge bundesweit verteilen"
Der Deutsche Städtetag forderte angesichts der stark steigenden Zahl von Kriegsflüchtlingen einen Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen. "Die Städte bereiten sich intensiv auf die Aufnahme weiterer Menschen vor. Für all das brauchen wir die Unterstützung von Bund und Ländern", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Nötig sei etwa eine Verständigung darüber, von welchen Annahmen ausgegangen werde und welche Kapazitäten aufgebaut werden müssten. "Außerdem müssen Bund und Länder alles dafür tun, die Flüchtlinge bundesweit zu verteilen, auch wenn sie sich überwiegend frei bewegen dürfen", sagte Dedy. Einige Städte seien als zentrale Verkehrsknotenpunkte besonders betroffen.
Geografisch bedingt sind dies derzeit vor allem Städte in der Nähe der polnischen Grenze - wie Frankfurt (Oder) und Berlin, wo viele Züge aus Polen ankommen. Dedy forderte eine Zusage der Bundesregierung, dass diese Städte mit den finanziellen Folgen der Flüchtlingsaufnahme nicht alleingelassen werden.
Faeser: Fester Verteilschlüssel unnötig
Nach Einschätzung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser soll dies vorerst ohne starren Verteilungsmechanismus funktionieren. Bislang würden die Menschen von den Bundesländern "auf solidarischer Basis" aufgenommen und untergebracht, sagte die Ministerin am Rande einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags. Auch in der Europäischen Union sei eine große Solidarität spürbar.
Bei der Verteilung von Asylbewerbern auf die Bundesländer kommt der sogenannte Königsteiner Schlüssel zur Anwendung. Theoretisch könnte dieser auch für die Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge genutzt werden.
Wüst: "Wir schaffen das"
Nordrhein-Westfalen, das weit entfernt von der polnischen Grenze liegt, kündigte an, die landeseigenen Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge kurzfristig auf 125.000 Plätze aufzustocken, um den Übergang in die Kommunen einfacher zu gestalten.
Er werde die Kommunen in seinem Land bei der Aufnahme von Geflüchteten "ohne Wenn und Aber" unterstützen, sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst in einer Sondersitzung im Düsseldorfer Landtag. Und er wählte in seiner Rede ein besonderes Zitat: "Ja, es wird hart, ja, es wird schwierig, aber ich will das mit aller Klarheit sagen: Wir schaffen das." Damit wiederholte der CDU-Politiker die viel diskutierte Äußerung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015.