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Urteil Bundesverfassungsgericht Sind Hartz-IV-Sanktionen zulässig?

Stand: 05.11.2019 04:25 Uhr

Lehnen Hartz-IV-Empfänger ein Jobangebot ab, drohen ihnen Leistungskürzungen. Das Bundesverfassungsgericht urteilt über die Rechtmäßigkeit dieser Sanktionen. Fragen und Antworten zu Hartz IV.

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Wie funktioniert Hartz IV?

Wer länger keine Arbeit hat, bekommt vom Staat Arbeitslosengeld 2, umgangssprachlich Hartz IV. Der Regelsatz liegt derzeit für einen alleinstehenden Arbeitssuchenden bei 424 Euro pro Monat. Oben drauf gibt es unter anderem Geld für angemessenes Wohnen, Heizen und Zuschüsse zur Krankenversicherung. Im Gegenzug sind die Hartz-IV-Empfänger verpflichtet, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ihre Hilfsbedürftigkeit zu beenden oder zu verringern. "Fördern und Fordern" nannte einst Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder dieses Prinzip. Wer sich weigert mitzuarbeiten, dem wird die Leistung gekürzt.

Welche Sanktionen sieht das Gesetz vor?

Verpassen Arbeitssuchende einen Termin beim Jobcenter, mindert sich der Regelsatz für drei Monate um zehn Prozent. Verweigern Hartz-IV-Empfänger einen zumutbaren Job oder brechen sie eine Ausbildungsmaßnahme ab, wird härter sanktioniert. Für drei Monate werden über 25-Jährigen dann 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt. Bei einem zweiten Regelverstoß innerhalb eines Jahres sind es 60 Prozent. Und beim dritten Mal sogar 100 Prozent. Zusätzlich werden in dieser Stufe auch die Gelder für Wohnen und Heizen und der Zuschuss zur Krankenversicherung nicht mehr gezahlt. Bei Kürzungen um mehr als 30 Prozent können die Arbeitssuchenden zumindest Lebensmittelmarken beantragen.

Wie sehen die Sanktionen für die unter 25-Jährigen aus?

Bei den jungen Menschen sind die Sanktionen noch schärfer. Bei Meldeverstößen gibt es zwar die gleiche Kürzung um zehn Prozent. Bei allen anderen Pflichtverletzungen wird der Regelsatz hingegen schon beim ersten Verstoß sofort komplett gestrichen, bei der zweiten Pflichtverletzung dann auch das Geld für Wohnen, Heizen und die Krankenversicherung.

Wie oft gibt es Sanktionen?

Pro Monat wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 3,2 Prozent der Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen belegt. 904.000 Sanktionen gab es im Jahr 2018 insgesamt. 77 Prozent davon - mehr als drei Viertel - gab es wegen Terminversäumnissen. Nur ein knappes Viertel entfielen auf die schwereren Sanktionen.

Wie ist das Thema vor das Bundesverfassungsgericht gekommen?

Ein arbeitsloser Mann aus Erfurt hatte einen Job als Lagerarbeiter ausgeschlagen, weil er lieber in den Verkauf wollte. Auch eine Erprobung für einen anderen Job hatte er nicht angenommen. Das Arbeitslosengeld 2 wurde ihm um 60 Prozent gekürzt. Dagegen klagte er vor dem Sozialgericht Gotha. Die Richter dort hielten die Sanktionen für verfassungswidrig. Deshalb setzten sie das Verfahren aus und schickten die Sache nach Karlsruhe.

Welche Regeln genau stehen auf dem Prüfstand?

Das BVerfG überprüft ausschließlich die Sanktionen für über 25-jährige Erwerbslose. Und es geht nur um die Pflichtverletzungen, die zu den 30-, 60- und 100-Prozent-Kürzungen führen - also nicht um die Meldeversäumnisse. Sollten die Richter in ihrem Urteil aber Grenzen oder andere Grundsätze aufstellen, könnten die natürlich auch für die anderen Sanktionen gelten.

Was hat Karlsruhe bislang zu Hartz IV geurteilt?

2010 hatte das Bundesverfassungsgericht erstmals vom "Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums" gesprochen. Das ergibt sich aus der Menschenwürde des Artikel 1 und dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs. 1 des Grundgesetzes. Jedem Einzelnen müsse auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglicht werden. Das Gericht legte aber keine konkrete Höhe des Satzes für Hartz IV fest. Dafür ist der Gesetzgeber zuständig. Der hat einen gewissen Spielraum, muss den Bedarf aber in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermitteln. 2014 hat Karlsruhe den damals geltenden Hartz- IV-Regelsatz als "noch" verfassungsgemäß abgesegnet. Über die Sanktionen wurde bisher noch nicht entschieden.

Was waren die Knackpunkte in der Verhandlung?

Die Karlsruher Richterinnen und Richter befassten sich während der Verhandlung im Januar 2019 sehr intensiv damit, ob die Sanktionen überhaupt ihren Zweck erfüllen, also dazu führen, dass mehr Menschen mitwirken und dadurch in Arbeit zurückfinden. Oder ob sie zum Teil zu hart sind und Menschen komplett aus der Gesellschaft und vielleicht in die Obdachlosigkeit drängen. Was darf der Staat von denen fordern, denen er hilft? Darf er sie bestrafen und das Geld kürzen, auch wenn dadurch vom Existenzminimum noch was abgezogen wird? Das waren die zentralen Fragen im Gerichtssaal.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 05. November 2019 um 06:45 Uhr.