FAQ

Rechtsstreit um Böhmermanns "Schmähgedicht" Warum wurden die Ermittlungen eingestellt?

Stand: 04.10.2016 19:50 Uhr

Die Mainzer Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr gegen Jan Böhmermann wegen der angeblichen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan. Warum nicht? Darf sich Erdogan dagegen wehren? Und was ist mit dem anderen Verfahren?

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Worum geht es im Fall Böhmermann?

Am 31. März 2016 wurde sie ausgestrahlt - jene Folge der Satire-Sendung Neo Magazin Royale, die für viel Wirbel sorgte. Jan Böhmermann trug ein Gedicht über den türkischen Staatspräsidenten Tayyip Recep Erdogan vor. "Schmähkritik" nannte er sein Werk. Und kleidete dies ein in eine Erklärung zur Abgrenzung zwischen Satire und nicht erlaubter Schmähkritik. Unter anderem sagte Böhmermann zu dem Gedicht: "(…) Das kann bestraft werden. Und dann können auch Sachen gelöscht werden. (…) Was jetzt kommt, das darf man nicht machen. Das ist in Deutschland verboten."

Von dem dann folgenden Gedicht, in dem Erdogan unter anderem Sex mit Ziegen und der Konsum von Kinderpornographie angedichtet wurde, fühlte sich Erdogan beleidigt. Er möchte, dass Böhmermann für die Äußerungen in dem Gedicht bestraft wird und gleichzeitig will er verhindern, dass das Gedicht weiter verbreitet wird.

ZDF-Intendant Bellut (Archivbild vom 06.07.2012).
So reagieren das ZDF und Böhmermanns Anwalt
Das ZDF hat die Einstellung der Ermittlungen begrüßt. Intendant Thomas Bellut sprach von einer "guten Nachricht", die deutlich mache, "dass die Kunst- und Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft einen außerordentlich hohen Stellenwert besitzt".
Böhmermanns Anwalt Christian Schertz erinnerte daran, das Kanzlerin Angela Merkel das Gedicht zunächst kritisiert hatte. Damit habe Merkel ihre Kompetenzen überschritten und die verfassungsgemäße Gewaltenteilung in einem nicht hinnehmbaren Maße verletzt.
Böhmermann selbst will sich Mittwochnachmittag in einer persönlichen Stellungnahme äußern.

Welche rechtlichen Baustellen sind zu unterscheiden?

Der türkische Präsident kämpft an zwei juristischen Fronten gegen das "Schmähgedicht". Das eine ist die zivilrechtliche Ebene. Im Zivilrecht streiten zwei Privatpersonen untereinander vor Gericht. Dabei geht es um Unterlassung, das Gedicht weiter zu verbreiten. Zivilrechtlich hat sich schon ein Gericht - das Landgericht Hamburg - mit dem Gedicht beschäftigt und hat die weitere Verbreitung zum Teil untersagt.

Die zweite Baustelle ist die strafrechtliche Ebene, also die Frage, ob ein Staatsanwalt Anklage erhebt oder nicht. Die türkische Regierung hatte ein Strafverlangen wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes (§103 StGB) gestellt. Parallel dazu stellte Erdogan als Privatperson Strafantrag wegen Beleidigung (§185 StGB). Die Frage lautet, ob das, was Böhmermann machte, eine Straftat darstellt. Und genau das hat die Staatsanwaltschaft Mainz heute verneint und das Ermittlungsverfahren deshalb eingestellt.

Übrigens: Auf beiden juristischen Baustellen spielt am Ende eine wichtige Rolle, ob die Grenzen der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit überschritten wurden oder nicht.

Warum hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt?

Die Staatsanwaltschaft Mainz sagt, dass Böhmermann keine Beleidigung und damit keine Straftat nachzuweisen ist. Zunächst setzte sich die Behörde mit der Frage auseinander, ob das Gedicht überhaupt objektiv als Beleidigung anzusehen ist. Unter anderem, weil der Beitrag als "Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit" dienen sollte, habe man daran Zweifel. Die Staatsanwaltschaft setzt sich in ihrer Begründung auch ausführlich mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz) auseinander. Diese sei hier zu berücksichtigen, weil es noch um die Auseinandersetzung mit der Sache gehe und trotz "polemischer und überspitzter Kritik" die Diffamierung der Person nicht im Vordergrund stehe. Überdies sei die Kunstfreiheit (Art 5 Abs. 3 GG) zu berücksichtigen. Zu einer Satire gehöre es gerade, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten.

Eine entscheidende Aussage der Staatsanwaltschaft lautet: Man dürfe das Gedicht nicht für sich gesehen betrachten, sondern muss es im Kontext sehen: "Entstehungsgeschichte, aktuelle zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten 'Schmähgedichts' hinausgehende Gestaltung des Beitrags" ließen Zweifel daran, dass hier objektiv eine Beleidigung vorliege.

Letztlich lässt die Staatsanwaltschaft diese Fragen aber offen, weil Böhmermann aus ihrer Sicht zumindest keinen Vorsatz hatte, Erdogan zu beleidigen. Der Satiriker habe selbst erklärt, ihm sei "an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen", dass jedem die fehlende Ernstlichkeit erkennbar sein sollte. Sowohl der Inhalt des Beitrags, aber auch seine Entstehung und die Darstellung in der Sendung stützen genau das, erklärte die Staatsanwaltschaft Mainz. Schon die "geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehle", sprächen dafür.

Kann sich Erdogan gegen die Einstellung wehren?

Bei Einstellungen dieser Art kann sich ein "Verletzter" beschweren, der zugleich den Antrag auf Strafverfolgung gestellt hatte. Über das so genannte Klageerzwingungsverfahren kann er dann doch erreichen, dass sich ein Gericht mit der Sache befasst.

Ob dies in diesem Fall aber möglich ist, ist aber noch nicht sicher zu sagen. Die Frage ist nämlich, ob Erdogan selbst überhaupt "Verletzter“ des § 103 StGB wäre - oder ob diese Norm eher den ausländischen Staat schützt. Auch hat Erdogan selbst nicht den Antrag gestellt. Sicherlich werden die Anwälte des türkischen Präsidenten jetzt aber genau prüfen, ob entweder Erdogan oder die Türkei mit so einer Beschwerde Erfolg haben könnten, oder ob zumindest ein Verfahren auf dem so genannten Privatklageweg möglich ist.

Stellt sich die Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Kanzlerin, die eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt hatte?

Nein. Richtig ist, dass die Bundesregierung die "Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteilt hatte. Dies ist eine der Voraussetzungen des § 103 StGB, der Beleidigung von ausländischen Staatsoberhäuptern. Damit hatte die Bundeskanzlerin der Staatsanwaltschaft sinngemäß gesagt: Ihr könnt prüfen und eine unabhängige Entscheidung treffen. Eine inhaltliche Entscheidung zur Anklage war damit nicht getroffen.

Hatte Erdogan nicht angekündigt, alle Anzeigen zurückzunehmen?

Ende Juli 2016 kündigte der türkische Staatspräsident an, alle Anzeigen wegen Beleidigung zurückzuziehen. Unklar war zunächst, ob damit auch die Anzeigen in Deutschland gemeint waren. Erdogans Anwalt teilte jedoch schon kurze Zeit später mit, dass die Verfahren in Deutschland weiterlaufen werden.

Hatte ein deutsches Gericht nicht schon über das Gedicht entschieden?

Doch, auf zivilrechtliche Ebene. Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg erließ auf Antrag des türkischen Präsidenten am 17. Mai 2016 eine einstweilige Verfügung gegen Jan Böhmermann. Das Gericht untersagte Böhmermann damit vorläufig, bestimmte Passagen des Gedichts zu wiederholen. Aufgrund des "schmähenden und ehrverletzenden Inhalts" müsse Erdogan diese Textzeilen nicht hinnehmen. In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung oder eine Formalbeleidigung handele bzw. die Menschenwürde angetastet werde. Dies sah das Zivilgericht in dem Gedicht - anders als jetzt die Staatsanwaltschaft Mainz - als erfüllt an.

Dieser inhaltliche Widerspruch der beiden Entscheidungen mag verwundern. Man muss aber wissen, dass die Staatsanwaltschaft nicht an die Entscheidung des Hamburger Gerichts gebunden ist, auch wenn der rechtliche Maßstab durchaus ähnlich ist. Dies zeigt, dass die Frage, ob Böhmermann Erdogan beleidigte oder nicht, auch unter Juristen umstritten ist.

Die zivilrechtliche Entscheidung aus Hamburg ist noch nicht endgültig. Böhmermann hat gegen die Unterlassungsverfügung Widerspruch eingelegt. Das bedeutet, dass es nun zu einer mündlichen Verhandlung kommt. Auf zivilrechtlicher Ebene - am 2. November vor dem Landgericht Hamburg.