Hintergrund

Regierungserklärung zum EU-Krisengipfel Keine Zeit für Katzenjammer

Stand: 19.06.2008 11:15 Uhr

Die EU sucht konsterniert nach einem Weg, den Lissabon-Vertrag zu retten. Die Bundesregierung lehnt aber die Idee eines Kerneuropas ab. Kanzlerin Merkel beschwor im Bundestag die Einheit Europas. Die EU dürfe jetzt nicht im Bedauern verharren.

Nach dem Nein der Iren zum EU-Reformvertrag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Forderungen nach einem "Kerneuropa" oder einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" eine klare Absage erteilt. Verträge in der EU müssten einstimmig fortentwickelt werden, sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung vor dem Nachmittag beginnenden EU-Gipfel in Brüssel.

Merkel betonte, "Einstimmigkeit ist die Voraussetzung", daran führe "kein Weg vorbei - wie anstrengend das auch immer sein mag". Deshalb helfe die Diskussion über ein Europa der zwei Geschwindigkeiten oder ein Kerneuropa nicht weiter - sie sei "nicht zielführend und zum Teil auch fahrlässig". Die Geschlossenheit Europas sei kein Selbstzweck, sondern ein "hohes Gut". Der EU-Gipfel müsse nun auf das Ergebnis des irischen Referendums "ebenso umsichtig wie entschlossen, ebenso unmissverständlich wie auch geschlossen" reagieren, betonte die Kanzlerin. Eine konkrete Lösung könne sie derzeit noch nicht anbieten, räumte Merkel ein. Es wäre aber Zeitverschwendung, im Bedauern über das Abstimmungsergebnis zu verharren. Diese Zeit habe man nicht.

Die Kanzlerin zeigte sich überzeugt, dass gemeinsam mit Irland ein Weg aus der Krise gefunden werden könne. Sie warnte aber vor weitgehenden Zugeständnissen an Dublin. "Europa kann sich auch keinen Kuhhandel leisten", sagte sie.

Gegen "Tricks" und "Hinterzimmerdiplomatie"

Die Opposition warf Merkel vor, keine konkreten Wege aus der Krise aufzuzeigen. Die Kanzlerin habe "nicht einmal die Andeutung einer Lösung angeboten", sagte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. Sie habe eine Lösung gemeinsam mit Irland gefordert, Änderungen an dem Vertrag aber gleichzeitig abgelehnt. Damit ignoriere sie, dass die Iren Nein zu dem Vertrag gesagt haben. "Was wir brauchen ist ein Neuanfang und nicht Tricks, um das alte fortzusetzen", sagte Gysi. Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, warf Merkel Unklarheit in ihren Ausführungen vor. Die "Hinterzimmerdiplomatie" der EU sei einer der Gründe, warum Europa so unpopulär sei, sagte er.

FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte die mangelnde Verankerung der Europäischen Union in der Bevölkerung. Die Hauptaufgabe sei nun, einer Mehrheit der Bürger für die europäische Integration zu gewinnen. "Entschieden wird das Schicksal Europas an der Frage, ob sich die Völker hinter diese Idee stellen", sagte Westerwelle. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Angelica Schwall-Düren warnte wie Merkel vor einer Denkpause nach dem irischen Referendum. "Wir können uns eine lähmende Pause in der Europäischen Union nicht mehr erlauben." Auch sie sprach sich dagegen aus, den Reformvertrag wieder aufzuschnüren. Dies würde dazu führen, "dass die Substanz unglaublich ausgedünnt würde".

Irland hatte vorige Woche als einziges Land ein Referendum über den EU-Vertrag von Lissabon abgehalten. Die Wähler lehnten ihn mit einer Mehrheit von gut 53 Prozent ab. Jetzt ist offen, ob und wann der Vertrag in Kraft treten kann. Er sollte die Arbeitsfähigkeit der EU nach ihrer Erweiterung durch eine Reform der Institutionen verbessern.