Interview mit Plan International Weniger Entwicklungshilfe - fatale Folgen
Entwicklungszusammenarbeit muss ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung sein, fordert Maike Röttger von Plan International im Gespräch mit tagesschau.de. Eindringlich warnt sie davor, die Gelder zu kürzen, um etwa die Flüchtlingskrise zu schultern. Die Folgen wären fatal.
tagesschau.de: Hat Deutschland in diesem Jahr ausreichend im Bereich Entwicklungshilfe getan?
Maike Röttger: 2015 war ein entscheidendes Jahr für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit: Nach dem G7-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft im Juni, der die Themen Entwicklungszusammenarbeit, Globale Gesundheit und wirtschaftliche Stärkung von Frauen auf die politische Agenda gesetzt hat, verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs im September bei den Vereinten Nationen die neuen nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Diese 17 Ziele stellen einen Handlungsrahmen für die kommenden Jahre bis 2030 dar und sollen die internationalen Bemühungen leiten, Armut und Ungleichheit zu beenden sowie Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit zu befördern und durchsetzen.
Gemeinsam mit den anderen G7-Staaten sprach sich Deutschland dafür aus, die Umsetzung der SDGs zu unterstützen und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen voranzutreiben. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung! Für die Umsetzung der ambitionierten Ziele müssen aber natürlich ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Daher ist es nötig, dass die Bundesregierung einen nationalen Umsetzungsplan erarbeitet. Dieser sollte konkrete Maßnahmen nennen, mit denen Deutschland zur Zielerreichung beitragen wird. Die Bundesregierung muss die Mittel der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit aufstocken.
tagesschau.de: Wie stellt man sicher, das Geld an der richtigen Stelle ankommt?
Röttger: Wir können diese Frage nur für unsere Projekte beantworten, die durch öffentliche Geber unterstützt werden. Plan International Deutschland erhält zum Beispiel Zuwendungen vom Auswärtigen Amt, vom Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und der Europäischen Kommission. Das BMZ fördert etwa die Errichtung von Klima-Dörfern in Tansania. Projekte wie dieses für den nachhaltigen Ressourcen- und Klimaschutz werden von uns auch personell begleitet. Referenten im deutschen Plan-Büro in Hamburg evaluieren die Einhaltung der vereinbarten Zielvorgaben und es finden bei Projekten auch Inspektionen in den Partnergemeinden statt. Die Fachleute verschaffen sich persönlich in den Programmgebieten einen Überblick über die geleisteten Fortschritte und den Verbleib der Spenden.
"Schritt in die richtige Richtung"
tagesschau.de: Wie hat sich die Entwicklungshilfe Deutschlands in den vergangenen Jahren entwickelt?
Röttger: Neben der politischen Unterstützung und der Schwerpunktsetzung in den Bereichen Geschlechtergerechtigkeit, Bildung und Gesundheit ist es wichtig, dass die Zusagen über die öffentlichen Entwicklungsgelder eingehalten werden. Zuletzt hat sich Deutschland in den SDGs dazu verpflichtet, 0,7 Prozent seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Für den Bundeshaushalt 2016 wurden die Entwicklungsgelder erhöht, was ein Schritt in die richtige Richtung ist. Zudem begrüßen wir, dass der Entwicklungsetat nicht zur Bewältigung der Flüchtlingskrise in Deutschland gekürzt wurde wie dies bei anderen europäischen Staaten der Fall war. Dennoch lag diese Quote 2014 nur bei 0,41 Prozent und es wurde kein Stufenplan verabschiedet, wie diese Aufstockung realisiert werden soll.
tagesschau.de: Geraten manche Themen aus dem Blick, weil woanders akut der Schuh drückt?
Röttger: Entwicklungszusammenarbeit muss ein wichtiges Anliegen der Regierung bleiben. Die Maßnahmen in unseren Partnerländern in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen wegen der Flüchtlingskrise in Deutschland nicht gekürzt werden. Das hätte fatale Folgen. Im Gegenteil: Die Hilfe zur Selbsthilfe, die wir dort leisten, hilft Fluchtursachen zu bekämpfen.
"Mehr für Frauen und Mädchen erreichen"
tageschau.de: Wo fehlt derzeit Unterstützung?
Röttger: Wir müssen eindeutig mehr für Mädchen und Frauen erreichen. Denn trotz mühsam errungener Fortschritte in den vergangenen fünfzehn Jahren durch die Millenniums-Entwicklungsziele - etwa bei den Einschulungsraten von Mädchen - sind es nach wie vor Mädchen und Frauen, die weltweit überdurchschnittlich von Armut, Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. In vielen Gesellschaften werden sie mit tief verwurzelten Einstellungen und Verhaltensmustern konfrontiert, die ihnen einen niedrigeren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Status zuweisen, als Jungen und Männer ihn innehaben. Deshalb muss die Bundesregierung besonders in die Bereiche investieren, die für die Stärkung von Mädchen zentral sind. Zum Beispiel sollten alle Formen von Gewalt gegen Mädchen und Frauen beseitigt sowie Kinder- und Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung abgeschafft werden.
Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de