Posteingang eines E-Mail-Accounts

"Volksverschlüsselung" der Deutschen Telekom E-Mail-Sicherheit mit Hindernissen

Stand: 06.07.2016 03:07 Uhr

Die "Volksverschlüsselung" soll deutschen Onlinenutzern ermöglichen, einfach verschlüsselte E-Mails zu verschicken. Doch die Software hat noch viele Hürden. Die Betreiber versprechen Verbesserung.

Die "Volksverschlüsselung" ist da: Nach fast drei Jahren Entwicklungszeit steht die Software seit dem 1. Juli zum Download zur Verfügung - für jeden Mann und jede Frau, die E-Mails schreibt und verschickt. Auch ohne besondere Vorkenntnisse, versprechen die Entwickler Deutsche Telekom und das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT.

Aber funktioniert das? Ein kleiner Selbstversuch. Die Software lässt sich einfach finden, wenn man das Stichwort "Volksverschlüsselung" in eine Suchmaschine eingibt. Dann der Hinweis: am besten mit dem Internet Explorer arbeiten - na gut. Der Download dauert rund eine Minute. Die Lizenzbestimmungen sind gewohnt lang und unübersichtlich. Dann ploppt ein Fenster auf: "Das Programm wird aufgrund eines Problems nicht richtig ausgeführt. Das Programm wird geschlossen und Sie werden benachrichtigt, wenn eine Lösung verfügbar ist."

Für viele nicht zugänglich

Doch nicht nur diese Probleme hat die neue Volksverschlüsselung. Es kann passieren, dass der Mail-Versender sich nicht registrieren lassen kann, weil er weder Telekom-Kunde ist noch einen freigeschalteten elektronischen Personalausweis hat. Oder er nutzt ein Programm, das weder Outlook noch Thunderbird heißt. Denn nur mit diesen Mailprogrammen funktioniert es.

64 Prozent der deutschen Internetnutzer verwenden laut einer Studie des Branchenverbandes Bitcom keine E-Mail-Verschlüsselung, weil sie sich damit nicht auskennen, keinen anderen kennen, der eine ähnliche Software einsetzt oder sie es für technisch zu aufwändig halten. Nur 15 Prozent der Internetnutzer haben ihre Mails im vergangenen Jahr verschlüsselt.

Dabei ist es bei Briefen selbstverständlich, sie gut verschlossen und nur für den Adressaten bestimmt zu verschicken. Der Inhalt wird gut geschützt durch Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes, besser bekannt als Postgeheimnis.

Noch fehlt das Bewusstsein

Was in der analogen Welt als Selbstverständlichkeit gilt, davon sind wir beim digitalen Postversand weit entfernt. "Vielen Menschen ist nicht klar, dass eine Mail im Prinzip wie eine Postkarte ist, die während des Versandes jeder mitlesen kann. Vertrauliche Daten würden wir per Post so niemals verschicken. Im Netz passiert es täglich", bestätigt Tibor Jager vom Lehrstuhl für Netz- und Datensicherheit der Ruhr-Universität Bochum.

Immerhin: Datenlecks, Cyberangriffe und der NSA-Skandal steigern das Interesse an sicherer digitaler Kommunikation. Eine konsequente Mail-Verschlüsselung könnte für Nutzer Abhilfe schaffen, sagt Jager. Der Aufwand für Angreifer, eine Verschlüsselung zu knacken, sei extrem hoch. 

Viele Plattformen fehlt noch

Doch der Selbstversuch an der ersten verfügbaren Version scheitert wie beschrieben. Die Software läuft bislang nur auf Windows-PCs. Lösungen für die Apple-Systeme macOS und iOS sowie Android und Linux seien geplant, heißt es bei der Telekom.

Zu viele Einschränkungen und Ausschlusskriterien, urteilen Experten. Software-Entwickler Florian Snow von der "Free Software Foundation Europe" findet, die "Volksverschlüsselung"-Software werde weder ihrem Anspruch noch ihrem Namen gerecht. Bei den Entwicklern hingegen herrscht Zufriedenheit: "Mit der Volksverschlüsselung können Bürgerinnen und Bürger ihre digitale Souveränität verbessern und sich wirkungsvoll vor unerwünschter Massenüberwachung schützen", kündigte Michael Waidner, Leiter des Fraunhofer SIT an.

Fraunhofer und Telekom kooperieren

Fraunhofer ist für die Entwicklung verantwortlich, die Telekom stellt mit einem ihrer Hochsicherheitszentren die nötige technische Infrastruktur zur Verfügung. Das Verschlüsselungsprogramm generiert nach der Installation die notwendigen kryptografischen Schlüssel auf den Rechnern und konfiguriert die Mailprogramme oder andere Anwendungen wie Browser entsprechend. Selbst unerfahrene Nutzer sollen das Verfahren einfach nutzen können.

Soweit der Wunsch. Stattdessen, kritisieren Experten, sei die Software einerseits auf ein Betriebssystem und einige wenige Mail-Programme beschränkt und habe andererseits Lizenzbedingungen, die eine Nutzung für viele Menschen einfach verbiete. Es ist derzeit nur und ausschließlich für private Mail-Nutzung gedacht und schließt damit unter anderem Selbstständige komplett aus.

Sender und Empfänger müssen mitmachen

Und noch ein ganz grundsätzliches Hindernis: Verschlüsselte Mails verschicken ergibt nur dann Sinn, wenn auch der Empfänger über die entsprechende Software verfügt. Im Zweifel muss man also Freunde und Verwandte erst bitten, sich die Software ebenfalls zu installieren.

Netz- und Datensicherheitsexperte Tibor Jager von der Ruhr-Universität Bochum drückt den Entwicklern die Daumen, auch wenn er vermutet, dass man einen langen Atem braucht, bis tatsächlich eine Lösung gefunden ist, die einer "Volksverschlüsselung" nahe kommt. Im Moment sprechen die Zahlen noch nicht für einen großen Durchbruch.

Andere Anbieter setzten auf eigene Systeme

Beim Telekom-Konkurrenten 1&1 gibt es bereits eine ähnliche Verschlüsselungs-Software für deren Angebote GMX und Web.de. 30 Millionen Kunden nutzen die beiden Portale - eingerichtet haben die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung laut Unternehmensangaben bislang aber nur etwa eine halbe Million Nutzer.

Das größte Problem für die "Volksverschlüsselung" scheint also nicht die technische Umsetzung - sondern das mangelnde Interesse. Wer etwas vertraulich verschicken möchte, fühlt sich offenbar bei der Post immer noch an der richtigen Adresse.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der WDR am 29. Juni 2016 um 19:30 Uhr