Rede des Bundespräsidenten zur Deutschen Einheit Mit Mut und Offenheit in die Zukunft
In Bremen ist der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit gefeiert worden. Dabei lobte Bundespräsident Wulff den Veränderungsmut der Ostdeutschen. Deren Verdienste seien bisher nicht ausreichend hervorgehoben worden. Mit Blick auf die Integrationsdebatte sagte Wulff, die Zukunft gehöre denen, die tolerant und offen seien.
In Bremen ist die deutsche Wiedervereinigung vor 20 Jahren mit einem offiziellen Festakt gefeiert worden. Unter den mehr als 1000 geladenen Gästen waren auch Kanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundespräsident Christian Wulff.
In seiner ersten großen Rede seit seinem Amtsantritt lobte Wulff die Veränderungsbereitschaft der Ostdeutschen und würdigte sie als Vorbild für alle Bürger des Landes. Die Menschen im Osten hätten mit ihrem Mut "aus ganz Deutschland ein anderes Deutschland gemacht". Sie hätten vorgelebt, wie Umbrüche zu meistern seien. Das sei bis heute nicht ausreichend hervorgehoben worden.
Auch 20 Jahre nach der Einheit stehe Deutschland vor der Aufgabe, mit diesem Mut zur Veränderung neuen Zusammenhalt zu finden, sagte Wulff. In einer sich rasant wandelnden Welt hätten sich Alltag und Lebensentwürfe gewandelt.
Ein freiheitliches Land lebe von Vielfalt und unterschiedlichen Lebensentwürfen sowie der Aufgeschlossenheit für neue Ideen. Gleichwohl gefährdeten zu große Unterschiede den Zusammenhalt. Die Aufgabe der deutschen Einheit heute laute daher: "Vielfalt schätzen, Risse in unserer Gesellschaft schließen - das bewahrt vor Illusionen, das schafft echten Zusammenhalt."
Wulff mahnt Integration und Toleranz an
Der Bundespräsident ging in seiner Rede wie erwartet auf die Integrationsdebatte ein. Dabei forderte er Einwanderer eindringlich zur Integration auf. Hier heimisch zu sein bedeute, die Verfassung und ihre Werte zu achten, sich an die gemeinsamen Regeln zu halten und "unsere Art zu leben, zu akzeptieren".
Gleichzeitig ermahnte er die Deutschen ohne Migrationshintergrund zu Toleranz und Offenheit. "Das Land muss Verschiedenheit aushalten, es muss sie sogar wollen", betonte Wulff vor führenden Repräsentanten aus Bundes- und Landespolitik sowie ausländischen Staatsgästen. "Wir haben erkannt, dass multikulturelle Illusionen die Herausforderungen und Probleme regelmäßig unterschätzt haben."
Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben 'Sie sind unser Präsident' dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident! Mit der gleichen Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich der Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben.
In einem ARD-Exklusivinterview im Bericht aus Berlin betonte Wulff, dass Empfänger staatlicher Leistungen auch Pflichten hätten. Kindern müsse klargemacht werden, dass sie sich anstrengen müssten, damit sie der Gemeinschaft später nicht zur Last fielen. Zudem müsse Schulschwänzertum härter bestraft werden - dies gelte jedoch für alle, nicht nur für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund.
"Wir dürfen Ausgrenzungen nicht zulassen"
Ohne den Namen Thilo Sarrazin zu nennen, wandte sich Wulff gegen Verletzungen der Menschen mit ausländischen Wurzeln. "Legendenbildungen, Zementierung von Vorurteilen und Ausgrenzungen dürfen wir nicht zulassen." Das sei im ureigenen nationalen Interesse. "Die Zukunft gehört den Nationen, die offen sind für kulturelle Vielfalt, für neue Ideen und für die Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem", sagte Wulff. Das Land brauche Zuwanderer. Neben Christen- und Judentum gehöre auch der Islam zu Deutschland.
Zu allererst brauchen wir aber eine klare Haltung. Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.
Im Bericht aus Berlin betonte Wulff, dass es rückblickend richtig war, erst jetzt in die Debatte einzusteigen. Ein Bundespräsident sollte sich nicht von Buchveröffentlichungen und tagesaktuellen Debatten treiben lassen, sondern grundsätzliche Positionen äußern. Gleichzeitig räumte Wulff aber Fehler in den bisher knapp hundert Tagen seiner Amtszeit ein. Er verwies dabei auf den ungewöhnlich turbulenten Start seiner Amtszeit und bat um Verständnis, dass "wo Menschen sind, auch Fehler passieren". Nun wolle er sich aber mit der Zukunft befassen.
Merkel lobt Weichenstellung durch Wulff-Rede
Kanzlerin Merkel bezeichnete die Rede Wulffs in Bremen als Weichenstellung für die Zukunft. "Der Bundespräsident hat darauf hingewiesen, was es heute bedeutet ein Volk zu sein", sagte Merkel. Er habe verdeutlicht, dass die deutsche Erfolgsgeschichte nun in einem vereinten Europa fortgesetzt werden müsse.
Dank an den "Kanzler der Einheit"
Am Abend erinnerte auch der Bundestag in einem Festakt vor dem Reichstagsgebäude an die Wiedervereinigung vor 20 Jahren. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dankte dabei dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl für seinen "herausragenden persönlichen Anteil" und seinen Einsatz bei der Herstellung der deutschen Einheit. Der 20. Jahrestag der Wiedervereinigung sei eine besonders gute Gelegenheit, dem "Kanzler der Einheit" und Ehrenbürger Europas für diese "historische Leistung" zu danken. Kohl, der zu der Feierstunde gekommen war, nahm die Worte sowie den Beifall der Ehrengäste sichtlich bewegt entgegen.
Internationale Glückwünsche
US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Dimitri Medwedjew gratulierten Deutschland zum Jahrestag der Einheit. Das friedliche Ende der deutschen Teilung sei eine "historische Leistung" gewesen, erklärte Obama in Washington. Der russische Präsident erklärte, die deutsche Wiedervereinigung habe die Basis für eine "strategische Partnerschaft" zwischen Deutschland und Russland gelegt.
Bereits am Vormittag war im Dom der Hansestadt bei einem ökumenischen Gottesdienst des Jahrestages der Deutschen Einheit gedacht worden. Der zentrale Festakt fand in Bremen statt, weil das Land derzeit den Vorsitz im Bundesrat innehat.