Folgen der EHEC-Infektionen Merkel will europäische Hilfen für Bauern
Wer zahlt die Zeche? Spaniens Landwirte klagen wegen der EHEC-Warnung der Hamburger Behörden über Einbußen von mehr als 200 Millionen Euro - bislang. Der Schaden dürfte aber noch größer werden. Kanzlerin Merkel hat nun mit Spaniens Ministerpräsident Zapatero telefoniert, um die Wogen zu glätten.
Während Behörden und Forscher versuchenm, die EHEC-Epidemie in den Griff zu bekommen, treten die wirtschaftlichen Folgen immer deutlicher zu Tage: Der Absatz für frisches Gemüse in Europa bricht massiv ein, immer mehr Staaten verhängen Importverbote - und der Ton zwischen Madrid und Berlin wurde zuletzt rauer. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nun in einem Telefonat mit Spaniens Ministerpräsident Jose Luis Rodríguez Zapatero versucht, die Lage zu beruhigen.
Beide Seiten seien sich einig gewesen, dass es jetzt vorrangig darum gehe, die Infektionsquelle des Erregers zu identifizieren, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert im Anschluss mit. Merkel habe zudem großes Verständnis gezeigt für die wirtschaftliche Notlage des spanischen Gemüsesektors, der unter der Kaufzurückhaltung der Verbraucher leide. Auch deutsche und andere europäische Gemüseerzeuger seien hiervon betroffen.
Deutschland und Spanien wollen an einem Strang ziehen
Seibert erklärte, Merkel und Zapatero hätten vereinbart, dass sich Deutschland und Spanien auf europäischer Ebene um Hilfen für die betroffenen europäischen Landwirte bemühen. EU-Gesundheitskommissar John Dalli hatte bereits angedeutet, dass Entschädigungen generell denkbar sind. Auch EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hatte angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten.
Kanzlerin verteidigt Hamburger Behörden
Gleichzeitig verteidigte Merkel aber das Vorgehen der deutschen Behörden. So habe sie auch auf die Verpflichtung der deutschen Behörden hingewiesen, die Bürger in allen Phasen zu informieren und die Analyseergebnisse an das europäische Schnellwarnsystem zu übermitteln, erklärte Seibert.
Zuvor hatte Zapetero seine Forderung nach Schadensersatz bekräftigt: Sein Land werde "vor den relevanten Behörden in Europa Entschädigungen für den entstandenen Schaden fordern", sagte er im spanischen Rundfunk. Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba hatte zuvor bereits gesagt, Spanien erwäge rechtliche Schritte gegen die Hamburger Behörden.
Spanische Gemüsebauern bekräftigen Kritik
Die spanischen Gemüsesbauern konkretisierten unterdessen ihre Kritik: Es gebe erhebliche Zweifel, ob bei der Probenentnahme zum Nachweis des EHEC-Erregers durch die Hamburger Gesundheitsbehörde die notwendige Sorgfalt aufgewendet worden sei, erklärten Vertreter der spanischen Firma Frunet und eines Ökobauern-Verbandes in der Hansestadt. So seien keine ordnungsgemäßen B-Proben entnommen worden. Gurken der gleichen Charge hätten nachweislich keine EHEC-Bakterien enthalten. Sämtlich vor Ort entnommenen Proben seien negativ.
Millioneneinbußen für die Landwirte
Die Hamburger Gesundheitsbehörde hatte vergangene Woche mitgeteilt, das Hygiene-Institut der Stadt habe den EHEC-Keim auf drei Salatgurken aus Spanien sowie einer Gurke ungeklärter Herkunft entdeckt. Spanische Bauern hatten nach eigenen Angaben bereits 200 Millionen Euro durch den Absatzeinbruch verloren.
Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, hatte Hilfen von EU und Bundesregierung gefordet. Er rechne für die deutschen Landwirte wöchentlich mit 30 Millionen Euro Schaden, sagte Sonnleitner im EinsExtra-Interview. Für Betriebe, die sich etwa auf Gurken oder Salat spezialisiert hätten, könne dies existenzbedrohend sein.
Importverbote von Russland...
Längst klagen europaweit Landwirte über massive Umsatzeinbrüche. Und das Problem verschärft sich weiter: Russland verhängte ein generelles Importverbot für europäisches Gemüse. Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des Darmkeims, sagte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax. Der Zoll sei angewiesen, kein frisches Gemüse mehr über die Grenzen zu lassen. Alle verdächtigen Waren seien zudem aus dem Handel zu nehmen, sagte Onischtschenko.
Das Importverbot Russlands dürfte sich deutlich bemerkbar machen, denn das Land importiert wegen der mangelnden Eigenversorgung viele Lebensmittel aus der EU. Die EU kritisierte das Vorgehen Russlands als "unverhältnismäßig". "Wir verlangen von Russland eine Erklärung", sagte der Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Man stehe mit den russischen Behörden in engem Kontakt.
Der Russland-Gesandte der Europäischen Union, Fernando Valenzuela, sieht im russischen Import-Stopp einen Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Russland wolle der WTO beitreten und auch die EU hoffe, dass dies bald geschehe, sagte Valenzuela am Freitag bei einer Pressekonferenz in Moskau. Dies erfordere allerdings die Einhaltung zahlreicher Regeln "und sicherlich steht das Importverbot, das von den russischen Gesundheitsbehörden erlassen wurde, nicht im Einklang mit diesen Regeln".
... bis in die Arabischen Emirate
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate verhängten einen vorübergehenden Importstopp. Er gilt allerdings gezielt nur für Gurken aus Deutschland, Spanien, Dänemark und den Niederlanden. Die amtliche Nachrichtenagentur WAM berichtete, das Ministerium für Umwelt und Wasser habe das Einfuhrverbot gestern verhängt. Grundlage dafür seien Informationen "von internationalen Behörden für Nahrungsmittelsicherheit und Medienberichte". Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilt auf ihrer Homepage allerdings mit, sie empfehle derzeit keine Handelsbeschränkungen.
EHEC-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Das natürliche Reservoir der Bakterien ist der Darm von Wiederkäuern, speziell von Rindern. Beim derzeit grassierenden EHEC-Erreger handelt es sich nach Laboruntersuchungen vermutlich um den E. coli Typ O104:H4. Die Keime werden durch Kontakt mit Tierkot, über kontaminierte Lebensmittel oder auch von Mensch zu Mensch übertragen.
Eine EHEC-Infektion führt zu Durchfällen, die auch blutig sein können. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und zunehmende Bauchschmerzen. Bei besonders schweren Verläufen der Infektion kommt es zu einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das zu einer schweren Nierenstörung, neurologischen Schäden und sogar zum Tode führen kann.
Das Robert Koch-Institut hat seit Einführung der Meldepflicht 1998 in Deutschland jährlich rund 1000 EHEC-Erkrankungen und 60 HUS-Fälle registriert.