Interview zu Umweltprognosen "Wir werden mit Katastrophen leben müssen"
Dem WWF-Bericht "Living Planet 2012" zufolge brauchen wir bei unserem derzeitigen Lebensstil 2030 einen neuen Planeten. Umweltexperte Werner Eckert sprach mit tagesschau.de darüber, ob es sich dabei um Alarmismus handelt, was 2030 tatsächlich passieren wird und welche Handungsmöglichkeiten die Menschheit noch hat.
tagesschau.de: Der WWF mahnt in seinem Bericht, dass wir Menschen, wenn wir so weitermachen, im Jahr 2030 einen zweiten Planeten bräuchten, um unseren Bedarf an Ressourcen zu decken. Heißt das, dass wir 2030 nichts mehr zu essen und alle Energiereserven aufgebraucht haben?
Werner Eckert: Nein, das ist ein kontinuierlicher Prozess. Dieses Bild von den zwei Erden beschreibt nur, dass wir auf Dauer so nicht arbeiten können. Eine gewisse Übernutzung geht für eine kleine Zeit immer. Aber was dieses Bild deutlich macht, ist, dass wir nicht nachhaltig wirtschaften. Das wird auf Dauer nicht gut gehen, denn um so leben zu können, bräuchte man einen zweiten Planeten.
tagesschau.de: Wann wäre denn dann der Stichtag, an dem wir vor dem Nichts stehen könnten?
Eckert: Es gibt keinen Stichtag. Die Erde ist kein System des Entweder-Oder. Und wenn wir uns selbst ausgerottet haben, wird es immer noch Mikroben und Viren geben. Stichtage gibt es nicht. Es ist nur so, dass wir einfach Prozesse einleiten, die gravierende Folgen für spätere Generationen haben. Das betrifft vor allem die Übernutzung von Kapazitäten wie Öl, Gas und Kohle, was zu einer enormen Belastung der Atmosphäre durch Klimagase und Temperaturanstieg führt. Aber auch die Übernutzung von Ackerböden spielt hier eine Rolle, durch die immer mehr Boden verwüstet wird, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Trend ist absolut nicht gestoppt
tagesschau.de: Es gab ja schon früher solche Warnungen - zum Beispiel beim sauren Regen - was sich dann später als gar nicht so schlimm herausstellte. Sind die Berichte von WWF und Worldwatch nicht im Grunde Alarmismus?
Eckert: Ich glaube, das ist notwendig im Kampf der Kräfte. Diese Art von Warnungen haben ja auch zu Verbesserungen geführt. In jüngster Zeit veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht "2052", eine Fortschreibung des Berichts von 1972, "Grenzen des Wachstums", der als der erste "alarmistische" Bericht gelten kann. Gerade an diesem hat man sich lange abgearbeitet und gesagt: "Haben die nicht maßlos übertrieben?" Wenn man sich anguckt, was dort drin steht, dann war das nicht übertrieben, sondern sehr realistisch. Der Trend ist absolut nicht gestoppt. Wir sind immer noch auf dem gleichen Weg, aber nicht mehr ganz so zerstörerisch wie noch vor 40 Jahren.
Jorgen Randers vom Club of Rome stellte Anfang Mai die Studie "2052" in Rotterdam vor.
Nur werden die Fortschritte, die gerade die alten Industriestaaten gemacht haben, aufgefressen von der rasanten Entwicklung in den neuen Industriestaaten - Indien, China, Südafrika, Brasilien. Denn die gehen den gleichen Weg der schmutzigen Entwicklung, den auch wir, die alten Industriestaaten, gegangen sind. Uns ist es bis heute nicht gelungen, mit ihnen gemeinsam einen besseren Weg zu finden.
Westlicher Lebensstil ist katastrophal
tagesschau.de: Es heißt aber doch, dass die Bevölkerung in ein paar Jahrzehnten ohnehin schrumpfen soll. Reicht das nicht, um mit den Ressourcen unseres Planeten auszukommen?
Eckert: Es gibt zwei Faktoren, die momentan sozusagen einen Angriff auf die Erde bedeuten. Das eine ist die schiere Zahl der Menschen, die wächst, das andere ist der ökonomische Wohlstand dieser Menschen. Je nach Vorhersage wird die Bevölkerungszahl erst in 30 bis 50 Jahren anfangen zu stagnieren oder zu sinken, das ist zu spät, um wirklich noch Dinge zurückzuholen.
Mal abgesehen davon ist der wachsende Wohlstand mindestens genauso problematisch. Das heißt, wenn jeder einzelne Chinese genauso viel Auto fahren würde wie ein Amerikaner, dann bräuchten wir schlagartig doppelt so viel Öl auf dieser Welt. Wenn ein Chinese so viel Fleisch essen würde wie ein Deutscher, dann bräuchte man sofort unendlich viel mehr Ressourcen. Unser Lebensstil in den westlichen Industrienationen ist im Grunde als Modell für die Welt eine Katastrophe. Aber für viele Menschen in der sich entwickelnden Welt ist dieser Lebensstil das Ideal. Und solange wir so leben, können wir es ihnen ja nicht verbieten.
Die Energiewende in Deutschland ist ein Miniprojekt
tagesschau.de: Was können wir also tun? Wir können uns ja keine zweite Erde basteln.
Eckert: Deswegen ist die traurige Botschaft: Wir werden mit einigen katastrophalen Folgen einfach leben müssen. Also etwa einem gewissen Maß an Temperaturanstieg. Zwei Grad Temperaturanstieg haben wir ja gemeinschaftlich schon längst akzeptiert. Wohl wissend, dass wir erstens wohl darüber liegen werden und dass es zweitens in erster Linie die ärmsten Staaten trifft, nicht uns. Wir, die reicheren Industriestaaten, kommen mit solchen Entwicklungen vergleichsweise gut hin. Aber Länder in klimatisch wesentlich kritischeren Situationen und arme Länder, die wird es treffen, und das haben wir längst akzeptiert. Das ist eingepreist, wie man an der Börse so schön sagt.
Wir könnten allerdings sehr viel erreichen, wenn wir das, was wir an Technologie haben - zum Beispiel in Sachen Recycling, in Sachen Klimaschutz - anwenden. Wir müssen gar nichts neu erfinden, wir müssen es nur anwenden. Das lohnt sich aber ökonomisch momentan einfach nicht und deswegen geht es gerade so weiter.
Sehr viele Prognosen sagen unisono, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts den Verbrauch an fossiler Energie in den Industriestaaten gegenüber 1990 um etwa 80 Prozent senken müssen. Da geht es nicht um ein bisschen schrauben, da geht es um einen wirklichen Umbau. Diese Energiewende, die wir jetzt haben, das ist ein Miniprojekt gemessen an der Wende, die die Welt braucht, um auf einen nachhaltigen Weg zu kommen.
tagesschau.de: Das heißt, als Einzelner kann und muss ich also gar nichts tun?
Eckert: Ich kann als Einzelner meinen Beitrag dazu leisten, indem ich mich genau so verhalte, dass es erstens jetzt Ressourcen schont und zweitens für andere als Vorbild dienen könnte. Wir müssen also den Kantschen kategorischen Imperativ anwenden: Prüfe, ob die Maxime deines Handelns auch für die ganze Welt gelten könnte. - Wenn jeder so leben würde wie momentan der Mensch in der westlichen Welt, ginge es dann auch? Da müssen wir einfach sagen: Nein, das ginge nicht. Das ginge objektiv nicht, dafür muss man kein Schwarzmaler sein. Insofern ist eine Annäherung an eine nachhaltige Lebensführung als Vorbild gut und als unmittelbare Maßnahme natürlich auch. Jeder Liter Öl, der nicht verbraucht wird, ist ja grundsätzlich mal ein guter Liter.
Das Interview führte Johanna Bartels, tagesschau.de