Interview

E-Learning-Konferenz Online Educa "Deutsche Schulen hinter dem eMond"

Stand: 03.12.2014 02:27 Uhr

Beim digitalen Lernen liegen deutsche Schulen im internationalen Vergleich weit zurück. Es fehlt an Technik und Know-How, meint der Software-Entwickler Thomas Pilz. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte.

tagesschau.de: Bei der internationalen Studie ICILS hat Deutschland bei der Computernutzung im Unterricht im Vergleich zu den anderen Ländern schlecht abgeschnitten. Woran fehlt es an deutschen Schulen?

Thomas Pilz: Deutsche Schulen leben hinter dem eMond. Zunächst mal ist die technische Ausstattung sehr mäßig. Die meisten Schulen haben lediglich einen IT-Raum, in dem ein paar Computer stehen. Im Schnitt kommen elf bis zwölf Schüler auf einen Computer. In den wenigsten Schulen gibt es Computer auch in den Klassenzimmern, wo sie eigentlich notwendig wären, um sie auch in den normalen Unterricht zu integrieren. Außerdem dürfen fast nirgends Schüler ihre eigenen Geräte im Unterricht benutzen, dabei haben die meisten einen Laptop oder ein Tablet.

Zur Person
Thomas Pilz ist Projekt-Manager bei Sicher-im-Inter.net eG und hat sich auf die Entwicklung von Schulsoftware spezialisiert. Bei der 20. Internationalen e-Learning-Konferenz Online-Educa in Berlin berichtet er über Defizite und Möglichkeiten des digitalen Lernens an Schulen.

"Whiteboards sind da, werden aber nicht benutzt"

tagesschau.de: An immer mehr Schulen werden aber interaktive Whiteboards eingesetzt, also digitale Tafeln, mit denen nicht nur Bild und Text, sondern auch Videos oder Hörbeispiele abgespielt werden können.

Pilz: Es stimmt, dass viele Schulen inzwischen teure Whiteboards haben. Die werden aber von den meisten Lehrern gar nicht benutzt, weil sie das ablehnen oder nicht damit umgehen können. Und wenn sie genutzt werden, dann oft nur als bessere Overhead-Projektoren. Das Problem ist, dass es an Inhalten fehlt, mit denen die Whiteboards richtig zum Einsatz kommen könnten. Eigentlich bräuchte es dafür eine Software, die interaktiv funktioniert, mit der die Lehrer ihre Lerninhalte direkt an die Schüler weitergeben und Schüler beispielsweise Hausaufgaben von ihren Geräten auf dem Whiteboard darstellen können. Das wäre technisch kein Problem.

tagesschau.de: Wie genau könnte das funktionieren?

Pilz: Derzeit nutzen die allermeisten Schulen moodle. Das ist eine Open-Source-Software für Lernplattformen im Internet. Die ist sehr beliebt, weil sie vermeintlich kostenlos ist, allerdings geben Schulträger oder Länder nach Schätzungen einiger Landesmedienanstalten etwa 3500 Euro pro Schule für die Installation aus. Allerdings wird diese Software kaum genutzt, wie wir von Lehrern auf zahlreichen Fachkonferenzen erfahren haben. Die Bedienung ist vielen Lehrern und Schülern zu kompliziert.

Wir haben eine online basierte Software entwickelt, die wie ein großes Netzwerk funktioniert: Damit kann ein Lehrer zu Hause eine Schulstunde oder ein digitales Arbeitsblatt entwerfen, dieses dann den Schülern direkt zur Verfügung stellen, so dass sie es im Unterricht oder zu Hause weiterbearbeiten können. Lehrer, Schüler und Eltern können sich einloggen und genau den Lernfortschritt nachvollziehen. Auch virtuelle Arbeitsgruppen und Tests sind möglich. Lernen könnte so viel individueller gestaltet werden.

"Schulbuchverlage blockieren Entwicklung"

tagesschau.de: Warum liegt Deutschland bei Nutzung und Entwicklung solcher Lösungen so weit hinten?

Pilz: Zum einen hat das, denke ich, etwas mit dem föderalen Bildungssystem zu tun. In jedem Bundesland entscheidet jemand anderes und oft gibt es alte Kooperationen und Verträge mit Schulbuchverlagen, die kein Interesse daran haben, dass die Entwicklung schnell vorankommt, weil sie weiterhin jedes Jahr neue Bücher verkaufen wollen. Es gibt zahlreiche Verbände für digitale Bildung, deren Vorstände sind aber oft von Schulbuchverlagen und die bremsen die Entwicklung.

Dabei könnten die Verlage die Inhalte auch digital zur Verfügung stellen. Dann ließen sie sich auch viel leichter aktualisieren. Man würde dann nur das abrechnen, was tatsächlich gebraucht wird. Pro genutzter Seite würden dann Centbeträge anfallen. Wissenschaftliche Verlage mach das bereits so.

tagesschau.de: Die ICILS-Studie hat ebenfalls gezeigt, dass bei deutschen Lehrern die Skepsis gegenüber digitalem Lernen sehr groß ist. Woran liegt das?

Pilz: Die meisten Lehrer kennen sich einfach nicht damit aus. Wir haben ein riesiges Defizit an Medienkompetenz bei Lehrern und Schülern. Selbst Informatiklehrer sind oft nicht besonders versiert in ihrem Fach, viele sind eher zufällig zu dieser Aufgabe gekommen, nach dem Motto: 'Wer von euch hat einen Computer? Gut dann machst du das'. Viele sind sehr engagiert, haben aber nur sehr eingeschränkte Mittel. Zumal es auch kaum Fortbildungen gibt.

"Es muss Sicherheitstrainings für Internetnutzung geben"

tagesschau.de: Warum fehlt es den Schülern an Medienkompetenz?

Pilz: Weil das im Unterricht kaum eine Rolle spielt. Fast alle Schüler haben heute ein internetfähiges Handy beziehungsweise verbringen viel Zeit mit dem Computer. Aber sie spielen vor allem oder sind bei Facebook und YouTube unterwegs.

Man müsste ihnen viel stärker beibringen, wie sie Computer und Internet auch sinnvoll nutzen können. Wie sie richtig recherchieren, welche Quellen seriös sind, wie sie mit ihren Daten im Netz umgehen sollten, beziehungsweise was man darf und was nicht. Kann ich ein Bild von einem Mitschüler, beispielsweise in der Herrentoilette, machen und einfach online posten? Das sind Fragen mit denen sich die Schulen derzeit auseinandersetzen und wo sie Schüler sensibilisieren müssen.

Auch für solche Fragen müsste es Sicherheitstrainings geben, wie bei der Verkehrserziehung - am Besten in einem eigenen Schulfach Medienkompetenz.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

IT-Ausstattung an deutschen Schulen
Auf einen Computer kommen in Deutschland 11,5 Schüler, damit liegt Deutschland im Mittelfeld bei den EU-Ländern. Norwegische Schulen hingegen sind deutlich besser ausgestattet: Hier kommen im Schnitt 2,4 Computer auf einen Achtklässler.

Weniger als ein Fünftel der deutschen Schulen haben Computer im Klassenzimmer. Stattdessen gibt es flächendeckend einen oder mehrere Computerräume.

Nur 6,5 Prozent der deutschen Achtklässler besuchen eine Schule, in der Tablets für den Unterricht eingesetzt werden. In der Vergleichsgruppe der teilnehmenden EU-Länder sind es 15,9 Prozent, in Australien sogar 63,6 Prozent.

In der repräsentativen ICILS-Studie wurde die IT-Kompetenz von Achtklässlern international verglichen. Weltweit nahmen 21 Länder teil, davon 12 aus Europa.