Interview zum 60. Geburtstag der dpa "Wir sind die Leuchttürme in der Nachrichtenflut"
Die Deutsche Presse-Agentur dpa wird 60. Kein Grund zum Ausruhen, meint ihr Chef: "Der Wettbewerb wird auch über den Preis gemacht. Da wird es sicher weiterhin Probleme geben", so Wilm Herlyn im tagesschau.de-Interview. Dennoch brauche jedes deutsche Medium die dpa.
tagesschau.de: 60 Jahre dpa - ein Grund zum Feiern?
Wilm Herlyn: Normalerweise ja - aber wir haben viel zu tun: Die Redaktionen werden ja im kommenden Jahr nach Berlin umziehen, und wir sitzen an den Konzepten.
tagesschau.de: Was bedeutet der geplante Newsroom in Berlin für Ihre Mitarbeiterzahl?
Herlyn: Wir werden natürlich so viele Synergie-Effekte heben wie möglich, aber es gibt für den Personalstand noch keine Aussage.
Wilm Herlyn, Jahrgang 1945, volontierte bei der "Welt", arbeitete später bei der "Bunten" im Bereich Politik und Zeitgeschichte. Danach war er Chefredakteur der "Rheinischen Post", und seit 1991 ist er Chefredakteur der dpa.
tagesschau.de: Also auch nicht die, dass es keine Kündigungen geben wird?
Herlyn: Wir sagen, dass wir uns über jeden Mitarbeiter freuen, der von Hamburg oder Frankfurt aus mit nach Berlin geht.
"Nachrichten bekommen von uns Wertschöpfung"
tagesschau.de: Wer braucht heute noch Nachrichtenagenturen?
Herlyn: Alle Medien, denn wir sind die Leuchttürme in einer unglaublichen Flut von Nachrichten, die nicht nur allein Nachrichten sind, sondern eine Wertschöpfung bekommen. Und das machen die Nachrichtenagenturen: Nicht nur berichten, dass jemand etwas gesagt hat oder etwas passiert ist, sondern die Nachrichten veredeln: Wir liefern den Hintergrund, die Erklärung, den Ratgeber.
tagesschau.de: Und wer braucht die dpa?
Herlyn: Alle deutschen Medien. Denn bei allem Wettbewerb, den wir mit AP, AFP, Reuters und der ddp haben: Es gibt keine einzige Nachrichtenagentur hierzulande, die eine so große Durchdringung der Fläche in Deutschland hat. Hinzu kommt unser sehr großes Auslandskorrespondentennetz, das für die Deutschen schreibt, die Ereignisse also durch die deutsche Brille betrachtet.
Die dpa wurde am 18. August 1949 gegründet und ist genossenschaftsähnlich organisiert: Ihre rund 190 Gesellschafter sind ausschließlich Medienunternehmen, von denen keines mehr als 1,5 Prozent an der dpa halten darf. So soll die Unabhängigkeit garantiert werden.
Die dpa basiert auf dem Solidaritätsprinzip: Die Abo-Preise für die Kunden richten sich auch nach deren Auflagenhöhen. Eine große Zeitung zahlt also mehr als eine kleine. Die Großen ermöglichen den Kleinen damit den Zugang zum dpa-Angebot.
Dieses Solidaritätsprinzip ist in den vergangenen Jahren ins Wanken geraten: durch die Zeitungskrise, das Internet als Verbreitungsweg oft kostenloser - und zum Teil auch illegal kopierter - Informationen, aber auch durch die steigende Konkurrenz durch andere Nachrichtenagenturen. Hauptkonkurrenten: Associated Press, die staatlich subventionierte Agence France Press (AFP), Reuters aber auch der günstigere "Deutsche Depenschen Dienst" (ddp).
Die dpa beschäftigt als größte deutsche Nachrichtenagentur rund 800 Mitarbeiter, davon sind ungefähr 450 Redakteure. Sie arbeiten in gut 50 Büros in Deutschland, außerdem ist die dpa in ungefähr 100 Ländern der Welt vertreten. Von 2010 an bündelt sie ihre Dienste in einem Newsroom in Berlin. Dorthin sollen etwa 200 Redakteure aus den bisherigen Zentralredaktionen in Hamburg und Frankfurt umsiedeln.
tagesschau.de: Die "WAZ"-Zeitungsgruppe ist da anderer Meinung und hat ihr dpa-Abo gekündigt. Liefert sie nicht gerade den Beweis, dass es sehr wohl ohne Sie geht?
Herlyn: Ich sage Ihnen mal ein Gegenbeispiel: Die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine (HNA) in Kassel hat es auch mal 14 Tage lang ohne uns versucht, und der Chefredakteur hat anschließend gesagt: "Es geht ohne dpa - aber es ist sehr viel schwieriger". Und es ist auch teurer, wenn man eine vernünftige Zeitung oder ein vernünftiges Programm machen möchte.
"Die 'WAZ' hat das ein oder andere nicht, weil sie dpa nicht hat"
tagesschau.de: Die "WAZ" befindet sich also gerade auf dem Holzweg?
Herlyn: Die "WAZ" macht einen Selbstversuch.
tagesschau.de: Der scheitern wird?
Herlyn: Das kann ich nicht sagen. Die Frage ist, ob man seinen Lesern, Zuschauern und Zuhörern Qualität anbieten will - oder ob man sich mit einem kleineren Agenturbesatz zufrieden gibt.
tagesschau.de: Hat die "WAZ" seit der Kündigung des Abos an Qualität eingebüßt?
Herlyn: Natürlich verfolgen wir die Blätter der "WAZ"-Gruppe sehr intensiv. Und wir stellen fest, dass sie das ein oder andere einfach nicht hat, weil sie die dpa nicht hat.
tagesschau.de: Drei Millionen Euro brechen Ihnen durch die "WAZ"-Kündigung weg. Wie fangen Sie die auf?
Herlyn: Die Kündigung hat sich schon frühzeitig angekündigt, und wir haben schon bei den ersten Anzeichen vorgesorgt.
tagesschau.de: Wie?
Herlyn: Wir haben Strukturen verändert. Wir haben niemanden entlassen, sondern gespart. An Sachkosten.
tagesschau.de: Das heißt?
Herlyn: Es wird dann weniger gereist, und wir versuchen, Themen anders anzugehen, die man sich vorher noch leisten konnte.
tagesschau.de: Was ist die größte Gefahr für die dpa? Die anderen Nachrichtenagenturen?
Herlyn: In Fragen des Journalismus überhaupt nicht; Wettbewerb belebt auch hier das Geschäft. Der Wettbewerb wird allerdings auch über den Preis gemacht. Da wird es sicher weiterhin Probleme geben, denn die dpa ist wegen ihres reichhaltigen Angebotes sicher auch preiswert - aber etwas teurer als Agenturen, die sich auf staatliche Subventionen stützen können.
tagesschau.de: Geld kommt herein durch Töchter wie "news aktuell", ein Kanal, der PR-Mitteilungen verbreitet. Das lässt sich vereinbaren mit dem Auftrag einer Nachrichtenagentur?
Herlyn: Das ist eine hundertprozentige Tochter, die mit uns überhaupt nicht verbunden ist. Wir sind selber Kunde von "news aktuell", denn dort sind auch börsenrelevante Nachrichten von großen Unternehmen. Die sehen wir nicht nur, sondern setzten sie, nachdem wir nachrecherchiert und nachgefragt haben, in Journalismus um. Da gibt es eine ganz strikte Trennung.
"Wir müssen noch an der Qualität feilen"
tagesschau.de: Was wird in den kommenden Jahren die größte Herausforderung für die dpa sein?
Herlyn: Ganz klar das Internet. Wir werden an der Qualität des Journalismus noch feilen müssen.
tagesschau.de: Was meinen Sie konkret?
Herlyn: Das ist eine Frage der tiefgründigen Nachricht: Nicht nur die Nachricht zu benennen, die ja relativ wenig Wert hat, weil man sie überall im Netz finden kann, sondern Nachrichten zu veredeln. Der Hintergrund, die Analyse, die die Erklärung dazu gibt, und wie man Themen setzt - darauf kommt es immer mehr an.
tagesschau.de: Sie verlassen die dpa spätestens Ende des Jahres. Was bleibt für Sie aus knapp 19 Jahren?
Herlyn: 9/11 ganz sicher, auch wenn das Viele sagen. Das tiefgreifendste Ereignis aber war das Zusammenwachsen unseres neuen Dienstes in den neuen Bundesländern mit der dpa-Mutter. Mit neuen Kollegen, die aus einer ganz anderen Welt kamen, zusammenzuarbeiten, das war ein sehr menschliches Erlebnis.
Das Gespräch führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.