ARD-DeutschlandTrend Piraten surfen auf der Welle des Wohlwollens
Die Piraten haben nach ihrem Erfolg bei der Saarlandwahl auch in bundesweiten Umfragen zu einem neuen Höhenflug angesetzt. Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend werden sie erstmals zweistellig aufgeführt. Die großen Parteien verlieren dagegen, die FDP kämpft weiter ums Überleben.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Es ist schon erstaunlich, was eine Landtagswahl im kleinen Saarland auslösen kann: Soviel Rückenwind hatten die Piraten noch nie. Seit der Abgeordnetenhauswahl im September in Berlin pendelten sie auf Bundesebene zwischen sechs und sieben Prozent. Nun machen sie einen Sprung auf zehn Prozent, in nur einem Monat legen sie um drei Prozentpunkte zu. In der Sonntagsfrage verlieren im Gegenzug die großen Parteien. CDU/CSU stehen nur noch bei 35 Prozent (-2) und die SPD bei 27 Prozent (-1). Die anderen Parteien bleiben auf ihrem Niveau: Grüne 14 Prozent, Linke sieben Prozent und die FDP unverändert drei Prozent.
Piraten stagnieren inhaltlich noch
Inhaltliche Gründe gibt es für den neuen Rekordwert der Piraten nicht. Weder sind sie bei der Erarbeitung ihres Parteiprogramms vorangekommen, noch haben sie in den letzten Wochen neue wichtige politische Positionen besetzt. Entscheidend für den Auftrieb ist allein der Wahlerfolg mit 7,4 Prozent im Saarland am vorvergangenen Sonntag.
Das belegen auch unsere Nachfragen im aktuellen ARD-DeutschlandTrend. Bei allen Bundestagsparteien gibt jeweils die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler an, sich aus Überzeugung für die Partei entschieden zu haben und nicht aus Enttäuschung über andere Parteien. Bei den Piraten ist es genau umgekehrt: 72 Prozent der Anhänger aus der Sonntagsfrage erklären, die Piraten aus Enttäuschung über andere Parteien wählen zu wollen, nur 22 Prozent aus Überzeugung.
Besser als die anderen - auch ohne Konzept
Bei unserer Telefonbefragung gab es außerdem für die Piraten-Anhänger die Möglichkeit, ganz offen ohne vorgegebene Formulierung das Motiv für ihre Entscheidung zu nennen. Kein Wort fällt dabei häufiger als das Wort "Protest". Sie habe zwar "kein Konzept", aber sei "besser als die anderen Parteien im Bundestag", sagt ein Befragter. "Die Partei macht keinen großen Müll", denkt ein anderer. Die Piraten gelten als "neu und unverbraucht" und "sollen im Bundestag ihre Chance bekommen".
Tatsächlich reichen die Sympathien weit über jene zehn Prozent hinaus, die der Partei gegenwärtig ihre Stimme geben würden. Erstaunliche 50 Prozent würden es begrüßen, wenn die Piraten bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr den Einzug ins Parlament schaffen, nur 42 Prozent fänden das nicht gut. Nur zum Vergleich: Die Sympathien für die FDP fallen da deutlich bescheidener aus. Hier würden sich mit 36 Prozent nur gut ein Drittel der Befragten über den Wiedereinzug in den Bundestag freuen.
Piraten mobilisieren Nichtwähler
Infratest dimap hat für die tagesthemen auch eine Wählerwanderungsbilanz simuliert. Normalerweise nutzen wir das Instrument, um an Wahltagen zu zeigen, wieviele Menschen von einer zur anderen Partei "gewandert" sind. Man kann aber auch aus den Umfragen der letzten Monate rekonstruieren, welcher Partei die heutigen Piraten-Anhänger 2009 tatsächlich ihre Stimme gegeben haben. Die Fallzahl ist weitaus geringer als bei richtigen Wahlen, die Werte haben also eine relativ hohe Fehlerabweichung. Aber die Größenordnung der Wählerströme ist deutlich erkennbar.
Von den gegenwärtig etwa 3,3 Millionen Piraten-Wählern hat mit 1,1 Millionen genau ein Drittel an der letzten Bundestagswahl gar nicht teilgenommen. Die beiden größten Wählerströme führen mit 600.000 Stimmen von der FDP zu den Piraten und mit 500.000 Stimmen von der Linken zu den Piraten. Von der SPD kommen knapp 400.000 Wählerinnen und Wähler, von Union und Grünen jeweils etwa 250.000. Wie gesagt, das sind sehr grobe Zahlen, aber die Richtung wird deutlich: Den Piraten gelingt es, die Unzufriedenen einzusammeln - sowohl jene, die bei der letzten Wahl zu Hause geblieben sind, als auch jene, die von den bisher gewählten Parteien, vor allem der FDP und der Linken, enttäuscht sind.
Enttäuschte Wähler von Linkspartei und FDP
Dabei ist bezeichnend, dass das Potenzial der Piraten ausgerechnet aus den Lagern zweier so unterschiedlicher Parteien gespeist wird. Aber auch dafür gibt es Erklärungen. FDP und Linke haben ihre Wählerinnen und Wähler am meisten enttäuscht und sind seit Monaten jene beiden Parteien, die in der Sonntagsfrage unter ihren Werten bei der Bundestagswahl liegen. Und natürlich gibt es auch inhaltliche Bezüge. Denn die Piratenpartei vertritt mit ihrer Forderung nach Bürgerrechten liberale und mit ihrer Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen linke Positionen.
Zustimmung nicht gleich Wahlstimmen
Zunehmend prekär ist die Lage für die FDP. Obwohl sie in den letzten Wochen politische Initiativen gestartet hat, die in der Sache viel Beifall finden, kommt sie in der Sonntagsfrage nicht von der Stelle. So hat sie ja zum Beispiel maßgeblichen Anteil an der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten. Der bekommt nach seinen ersten Amtstagen mit 64 Prozent Zustimmung fast Bestnoten. Nur Horst Köhler erreichte kurz nach seinem Amtsantritt mit 66 Prozent einen besseren Wert. Noch breitere Unterstützung findet die von der FDP vertretene Forderung nach einer Erhöhung der Pendlerpauschale. 70 Prozent der Befragten unterstützen diesen Plan, nur 28 Prozent lehnen ihn ab.
Und selbst für ihre Ablehnung einer Transfergesellschaft für die Schlecker-Beschäftigten trifft die FDP die Stimmung einer breiten Minderheit. 53 Prozent der Befragten hätten den Plan einer Transfergesellschaft für richtig befunden, immerhin 43 Prozent aber lehnen ihn ab. Trotzdem sind fast drei Viertel der Befragten davon überzeugt, dass der FDP ihr politisches Verhalten in dieser Sache eher schadet. Immerhin wird der FDP jetzt angekreidet, dass rund 10.000 Beschäftigte nicht ein halbes Jahr lang auf Weiterbildung und Gehaltsfortzahlungen hoffen können, sondern direkt gekündigt wurden.
Rösler verliert weiter an Zustimmung
Ein zentrales Problem der FDP ist und bleibt wohl die Situation an der Parteispitze. Philipp Rösler fällt im April auf einen Zustimmungswert von nur noch 17 Prozent zurück. Damit ist er nicht nur der am schlechtesten bewertete Spitzenpolitiker, sondern erreicht auch sein persönliches Allzeittief. Ganz oben steht weiterhin Kanzlerin Angela Merkel mit 63 Prozent (+1), gefolgt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (57 Prozent), Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier (SPD, 56 Prozent) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (55 Prozent).
Gut einen Monat vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben wir im DeutschlandTrend auch das Spitzenquartett des dortigen Wahlkampfs bewerten lassen. Immerhin kämpfen dort eine stellvertretende Parteivorsitzende (Kraft, SPD), ein Bundesumweltminister (Röttgen, CDU) und ein ehemaliger Generalsekretär (Lindner, FDP) um die Stimmen. Den höchsten Bekanntheitsgrad hat mit 84 Prozent Norbert Röttgen, gefolgt von Hannelore Kraft (67 Prozent), Christian Lindner (58 Prozent) und Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann (40 Prozent).
Auffallend ist deshalb, dass die Bewertungsreihenfolge etwas anders aussieht. Hier erreicht Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit 46 Prozent auf Bundesebene den höchsten Wert und rangiert damit vor Umweltminister Röttgen (35 Prozent). Christian Lindner kommt auf 23 Prozent, Sylvia Löhrmann auf 18 Prozent. Nach unserem letzten Nordrhein-Westfalen-Trend vom 25. März kamen SPD und Grüne zu diesem Zeitpunkt mit zusammen 52 Prozent auf eine sichere Regierungsmehrheit. Angesichts des Aufschwungs der Piraten dürfte aber auch die Wahl in Nordrhein-Westfalen spannender werden als zunächst vermutet.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1005 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. und 03. April 2012
Fallzahl Sonntagsfrage: 1505 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. und 03. April 2012
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%