ARD-DeutschlandTrend März 2010 Westerwelle im Sinkflug
Für die FDP geht es langsam wieder aufwärts, für Westerwelle dagegen abwärts: Das Ansehen des FDP-Chefs und Außenministers hat laut ARD-DeutschlandTrend erheblich gelitten - eine Folge der von ihm angestoßenen Hartz-IV-Debatte. Westerwelle fährt den schlechtesten Wert seit 2005 ein. Weiteres Ergebnis des ARD-DeutschlandTrends: Gut zwei Monate vor den Landtagswahlen hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Rüttgers keine Mehrheit für Schwarz-Gelb.
Eine Analyse von Jörg Schönenborn für tagesschau.de
Genau drei Wochen ist es her, dass FDP-Chef Guido Westerwelle der Diskussion über Hartz IV mit seiner Warnung vor "spätrömischer Dekadenz" eine ganz neue Wendung gegeben hat. Mit den aktuellen Zahlen des ARD-DeutschlandTrends aus dieser Woche lässt sich nun eine politische Bilanz dieser Diskussion ziehen: Westerwelle hat den Sinkflug der FDP erfolgreich gestoppt und die Partei in der Sonntagsfrage bei zehn Prozent stabilisiert. Der Preis dafür ist allerdings nicht nur ein erheblicher Image-Schaden für den Außenminister, dessen persönliche Werte erneut sinken. Auch in ihren Bemühungen, der Partei den Anstrich der "sozialen Kälte" zu nehmen und sie für die schwächer gestellten Menschen zu öffnen, ist die FDP zurückgeworfen worden.
Natürlich fällt der Blick bei der Sonntagsfrage zunächst auf die gelbe Säule. Vom 14,6-Prozent-Rekord bei der Bundestagswahl Ende September war im ARD-DeutschlandTrend Anfang Februar nur noch ein Stimmenanteil von acht Prozent übrig geblieben. Dann gelang mit der aufkommenden Hartz-IV-Debatte die Trendumkehr. Mitte Februar erreichte die FDP bereits wieder die Zehn-Prozent-Marke. Und dort hat sie sich jetzt stabilisiert. Wenig Bewegung gibt es bei den anderen Parteien. Die Union ist - trotz aller Querelen in der Regierungskoalition - stabil bei 36 Prozent. Die SPD verliert einen Punkt und steht bei 25 Prozent. Die Grünen sind mit 14 Prozent weiterhin sehr stark, haben allerdings auch einen Punkt eingebüßt. Stabil ist die Linke mit elf Prozent. Rechnerisch fehlt damit dem jetzigen Regierungsbündnis weiterhin die Mehrheit. Für das in den letzten Wochen intensiv diskutierte schwarz-grüne Bündnis würde es allerdings weiterhin reichen. Infratest dimap hat für die Tagesthemen von Montag bis Mittwoch dieser Woche 1500 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte telefonisch befragt.
Mehrheit für Schwarz-Grün
Schwarz-Grün auf Bundesebene galt noch vor einigen Monaten als eine absolute Illusion. Jetzt zeigt eine zugespitzte Fragestellung aus dem DeutschlandTrend, dass diese Konstellation populärer ist als das tatsächlich regierende schwarz-gelbe Bündnis. Wenn es nach einer Wahl die Alternative zwischen einer Koalition aus Union und FDP und einer Koalition aus Union und Grünen gäbe, glauben 46 Prozent der Befragten, dass Schwarz-Grün die bessere Wahl für das Land wäre. Schwarz-Gelb bevorzugen nur 36 Prozent. Naturgemäß ist den Anhängern der jetzigen Oppositionsparteien Schwarz-Grün lieber und denen der Regierungsparteien Schwarz-Gelb. Aber der Blick in die Lager zeigt, was sich da bewegt hat: Immerhin 22 Prozent der Unionsanhänger, also fast jeder Vierte, würde Schwarz-Grün vorziehen. Bei diesen Zahlen ist zu bedenken, dass noch vor sechs Monaten Schwarz-Gelb nicht nur das Wunschbündnis der Beteiligten, sondern auch die ausdrücklich von den Wählerinnen und Wählern gewünschte Koalition war.
Schwarz-Gelb verliert Mehrheit in NRW
Nicht nur die aufgeheizte Diskussion über die Hartz-IV-Leistungen, sondern auch die Sponsor-Praxis vor allen Dingen bei CDU-Veranstaltungen in NRW und Sachsen haben die politische Stimmung in den letzten Tagen beeinflusst. Zwei Monate vor jener Landtagswahl, in deren Schatten gegenwärtig alle politischen Debatten bundesweit geführt werden, befasst sich der DeutschlandTrend genauer mit der Situation in Nordrhein-Westfalen. Nachdem noch zu Jahresbeginn nur wenige an einer Neuauflage des Düsseldorfer Regierungsbündnisses von CDU und FDP zweifelten, ist nun die Mehrheit dahin. Wenn am nächsten Sonntag in Nordrhein-Westfalen gewählt würde, erreichte die CDU nur 35 Prozent. Zusammen mit zehn Prozent für die FDP reicht das nicht für die Mehrheit.
SPD-Herausforderin Kraft holt auf
Die SPD hat sich auf 33 Prozent gesteigert und auch die Grünen haben seit dem Herbst kontinuierlich hinzugewonnen auf 13 Prozent. Rot-Grün - ebenfalls ohne Mehrheit - ist inzwischen also stärker als Schwarz-Gelb. Im Moment käme alles auf die Linkspartei an, die mit sechs Prozent erstmals in den Landtag in Düsseldorf einziehen könnte. Natürlich sind diese Zahlen eine Momentaufnahme - stark geprägt von tagesaktuellen Entwicklungen. Aber klar ableiten lässt sich aus diesen Zahlen dennoch, dass der Ausgang der Wahl am 9. Mai völlig offen ist. Hierfür sind die sinkenden Popularitätswerte von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ein weiteres starkes Indiz. In der sogenannten Direktwahlfrage liegt er mit 44 Prozent nun nur noch einen Punkt vor seiner SPD-Herausforderin Hannelore Kraft (43 Prozent). Noch im Januar hatte der Abstand zwischen beiden bei sicheren 13 Punkten gelegen.
Westerwelle ist "Verlierer des Monats"
Zurück auf die Bundesebene: Unter den Spitzenpolitikern ist Westerwelle der Verlierer des Monats. Seit der Bundestagswahl ist sein persönlicher Zustimmungswert von 43 auf nur noch 25 Prozent gesunken - erneut acht Punkte Rückgang gegenüber dem Vormonat. Das ist für Westerwelle der schlechteste Wert seit Juli 2005. Unter den von uns ausgewählten wichtigsten Spitzenpolitikern rangiert nur Gesundheitsminister Philipp Rösler mit 24 Prozent hinter Westerwelle. Zum Vergleich: Ganz oben steht Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit 69 Prozent vor Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit 62 Prozent und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit 58 Prozent. Auffällig ist, dass Westerwelles Amtsvorgänger stets schon in den ersten Monaten als Außenminister deutliche Popularitätsgewinne zu verzeichnen hatten. So stiegen die Werte für Frank-Walter Steinmeier im ersten Amtshalbjahr von 24 auf 56 Prozent, die von Joschka Fischer von 48 auf 64 Prozent.
"Außenminister-Bonus" verspielt
Aus Sicht vieler Befragten passt die zugespitzte innenpolitische Diskussion, die Westerwelle angestoßen hat, nicht zu seinen Aufgaben in der Regierung. Nur 26 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Westerwelle Deutschland als Außenminister gut vertritt. Alle drei Amtsvorgänger kommen im Rückblick deutlich besser weg. Gute Noten bekommt Joschka Fischer rückblickend von 77 Prozent der Befragten, Frank-Walter Steinmeier von 67 Prozent und Klaus Kinkel immerhin auch noch von 38 Prozent. Selbst die FDP-Anhänger beurteilen Fischer und Steinmeier im Rückblick positiver als Westerwelles gegenwärtige Regierungsarbeit.
Profilierung auf Kosten der Schwachen
Dabei ist das Urteil in der Sache durchaus differenziert. 74 Prozent bekennen, sie fänden es "gut, dass Westerwelle eine Diskussion über Hartz IV angestoßen" habe. Und immerhin noch 60 Prozent geben Westerwelle Recht, "dass zu viel über die Hartz- IV-Empfänger geredet wird und zu wenig über die, die alles bezahlen müssen". Allerdings meinen mehr als drei Viertel der Befragten (auch der befragten FDP-Anhänger), dass Westerwelle nichts Neues gesagt und nur sehr allgemeine Vorschläge gemacht habe. 55 Prozent werfen ihm vor, sich "auf Kosten der Schwachen in der Gesellschaft zu profilieren".
Röttgen punktet beim Atomaustieg
Ein anderes wichtiges Thema des vergangenen Monats hatte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gesetzt mit seiner Forderung, spätestens 2030 die deutschen Atomkraftwerke abzuschalten. Grundsätzlich trifft er damit den Mehrheitswillen der Bevölkerung, denn die ist mit 62 Prozent Zustimmung auf Ausstiegskurs. Aber wann genau soll dieser Ausstieg stattfinden? 40 Prozent der Befragten wollen ihn so schnell wie möglich, 37 Prozent unterstützen Röttgens Forderung, spätestens 2030 auszusteigen, und nur 20 Prozent teilen die vor allem von CDU-Politikern geäußerte Position, die deutschen Atomkraftwerke sollten unbegrenzt weiterlaufen. Auffällig ist, wie viel Unterstützung Röttgen im sonst eher ausstiegskritischen schwarz-gelben Lager bekommt.
Unter den Unionsanhängern wollen 21 Prozent den sofortigen Ausstieg, weitere 50 Prozent wollen die AKWs wie Röttgen spätestens 2030 abschalten. Zusammen genommen ist das eine deutliche Mehrheit. Ähnlich ist das Bild unter den FDP-Anhängern, von denen 58 Prozent entweder sofort oder spätestens 2030 die Atomkraftwerke abschalten wollen.
Schlechtester Wert für die Regierung
All diese Themen sind in den letzten Wochen vor allem unter den drei Koalitionsparteien mit großer Streitlust behandelt worden. Das hat nicht nur das Ansehen der Regierung insgesamt weiter sinken lassen: 72 Prozent sind mit der Bundesregierung unzufrieden, nur noch 27 Prozent zufrieden - der schlechteste Wert seit Amtsantritt. Aber der Verdruss geht weiter: Fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent) finden, "die letzten Wochen zeigen, dass Union und FDP einfach nicht mehr zusammenpassen". 85 Prozent fordern, dass Bundeskanzlerin Merkel die "politische Richtung der Bundesregierung klarer vorgeben müsse". Und immerhin jeder fünfte Unions- oder FDP-Wähler stimmt der Formulierung zu: "Wenn ich den Streit in der Koalition ansehe, denke ich, beim nächsten Mal sollte man besser gar nicht wählen gehen."
Da passt die Diskussion über Sponsoren-Gelder für Parteiveranstaltungen und -Kongresse genau in die allgemeine Stimmungslage. Sie bedient das ohnehin verbreitete Bild von Politikern und Parteien, die sich nicht um das Wohl des Landes, sondern um ihre eigenen Interessen kümmern. 83 Prozent der Befragten glauben, dass Sponsoren-Gelder von Wirtschaftsunternehmen dazu führen, dass politische Entscheidungen beeinflusst werden, und auf ausdrückliche Nachfrage erklärten immerhin 65 Prozent, sie hielten Parteien teilweise für käuflich. Dieses Meinungsbild dürfte die Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern für die bundesweit entscheidende Landtagswahl in NRW im Mai gewiss nicht leichter machen.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 01. bis 02. März 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 01. bis 03. März 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte