ARD-DeutschlandTrend Juli 2008 Preis-Galopp macht Deutschen Angst
Die Deutschen haben Angst vor dem Preisanstieg und sie bemängeln, wie die Politik damit umgeht. Drei Viertel sind laut ARD-DeutschlandTrend generell unzufrieden mit der Regierung. Gute Nachrichten gibt es für die SPD: Ihr Wählerpotenzial ist absolut vorzeigbar.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Es wirkt wie eine Meldung aus einer anderen Welt: Es gibt gute Nachrichten der Wahlforscher für die SPD. Trotz seit Monaten konstant miserabler Werte in der Sonntagsfrage, trotz eines neuen Tiefpunktes in der Popularität des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck ist das Wählerpotenzial der Partei, also die Gruppe der grundsätzlich erreichbaren Wählerinnen und Wähler, praktisch genau so groß wie bei der Union.
Wählerpotenzial bei CDU und SPD gleich groß
Für 51 Prozent der wahlberechtigten Deutschen ist die SPD grundsätzlich wählbar, bei der Union sind es 50 Prozent. Für den aktuellen ARD-DeutschlandTrend hatte Infratest Dimap nicht nur gefragt, wen die Deutschen am nächsten Sonntag wählen würden, sondern auch den weitesten Wählerkreis für alle im Bundestag vertretenen Parteien ermittelt. Wenn man bedenkt, wie weit Union und SPD derzeit bei der Sonntagsfrage auseinander liegen, dann ist schon erstaunlich, dass ihr Wählerpotenzial annähernd gleich groß ist.
Die CDU/CSU hat sich gegenüber dem Vormonat um zwei Punkte auf 36 Prozent verbessert, auch die SPD hat sich leicht auf 25 Prozent erholt (+ 1). Der Vergleich zwischen aktuellen Werten in der Sonntagsfrage und den Potenzialwerten zeigt aber auch, wie wenig die Befragten das aktuelle Politik- und Personalangebot der SPD goutieren.
Die Ergebnisse der Potenzialfrage bergen weitere Überraschungen: So liegt das Potenzial für die früher sogenannten „kleinen“ Parteien FDP und Grüne bei erstaunlichen 40 bzw. 38 Prozent. Damit rangieren sie nicht weit hinter den Volksparteien und verdienen längst das Etikett einer „mittleren“ Partei. Diese Woche würde die FDP in der Sonntagsfrage auf 12 Prozent der Wählerstimmen kommen (- 1 gegenüber Juni), die Grünen auf 11 Prozent (ebenfalls - 1). Für beide ist da aber perspektivisch sehr viel Luft nach oben. Ganz anders sieht das bei der Linkspartei aus. Sie hat mit nur 22 Prozent das mit Abstand geringste Potenzial aller Bundestagsparteien. Mit aktuellen 13 Prozent in der Sonntagsfrage (- 1) schöpft sie das gegenwärtig ziemlich gut aus.
Linkspartei proftiert vom deutschen Pessimismus
Dabei profitiert die Partei "Die Linke" stärker als alle anderen von den großen wirtschaftlichen Sorgen und dem Pessimismus der Deutschen. Kein Thema beherrscht die Stimmungslage derzeit mehr als die steigenden Preise. Beachtliche 85 Prozent stimmten der vorgegebenen Aussage „Die Entwicklung der Preise macht mir Angst“ zu.
Das heißt: Die große Mehrheit der Deutschen fühlt sich im Moment durch die galoppierenden Preise und die deutlich weniger stark steigenden Einkommen bedroht. 62 Prozent geben an, sie hätten ernsthafte Sorge „künftig mit ihrem Geld nicht mehr auszukommen“. 49 Prozent sehen sich bereits jetzt an dem Punkt, wo sie „nirgendwo mehr zusätzlich sparen können“. Und nur 23 Prozent geben an, dass sie genug Geld hätten und „sich trotz steigender Preise nicht einschränken müssen“.
Die Auswirkungen dieser Stimmung sind ja für die Wirtschaft längst spürbar. Kein Wunder, wenn 69 Prozent angeben, wegen der steigenden Preise in den letzten Monaten bewusste Sparentscheidungen getroffen zu haben. Ganz oben stehen dabei Einsparungen rund um das Auto und das Tanken (59 Prozent), 46 Prozent geben weniger Geld für Lebensmittel aus, 31 Prozent sparen bewusst Strom oder haben einen billigeren Tarif gefunden und 30 Prozent sparen an der Kleidung.
Atomausstieg? Jein danke
Die wirtschaftliche Situation und die Sorge vor wirtschaftlichem Abstieg beeinflusst offenbar auch die Einstellung gegenüber grundsätzlichen politischen Fragen. Besonders spürbar ist das beim Thema Atomausstieg. Seit Jahren gibt es in unseren Umfragen kontinuierlich eine Mehrheit dafür. Noch im Jahr 2007 waren es 58 Prozent, die es für richtig hielten, die deutschen Meiler nach und nach auslaufen zu lassen. Jetzt hat sich dieser Wert um sieben Punkte auf nur noch 51 Prozent verringert. Und er könnte leicht weiter bröckeln. Denn wenn mit dem weiteren Betrieb deutscher Kernkraftwerke spürbare Strompreissenkungen verbunden wären, würden nur noch 39 Prozent am Atomausstieg festhalten.
Politisches Personal sinkt in der Gunst
Unter dem Strich ist die Stimmung mies. Fast die Hälfte der Deutschen rechnet damit, dass die eigene wirtschaftliche Situation in zehn Jahren schlechter sein wird als heute. Drei Viertel sind unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Und fast 80 Prozent bemängeln, dass sich die Politik zu wenig um das derzeit drückendste Thema, den Preisanstieg kümmert.
Das bekommt auch das politische Personal zu spüren. In der persönlichen Bewertung müssen fast alle Spitzenpolitiker Rückschläge hinnehmen. Die Hitliste wird in diesem Monat angeführt von Frank-Walter Steinmeier, mit dessen Arbeit noch 67 Prozent zufrieden sind (- 6). Damit liegt er jetzt wieder vor der Kanzlerin, Angela Merkel, mit 66 Prozent (- 5). Auf den Plätzen folgen Finanzminister Peer Steinbrück (52 Prozent, - 2), Innenminister Wolfgang Schäuble (45 Prozent, + 1), FDP-Chef Guido Westerwelle (40 Prozent, - 11). Erneut den für ihn schlechtesten Wert erreicht der SPD-Vorsitzende Kurt Beck mit 18 Prozent (-3).
Bessere Chancen mit Steinmeier als Kanzlerkandidat?
Seit Monaten zeigt der DeutschlandTrend, dass Außenminister Steinmeier als Kanzlerkandidat deutlich bessere Chancen hätte als Beck. Auch Steinmeier liegt zwar im direkten Vergleich deutlich hinter der Kanzlerin, ist aber nicht so weit abgeschlagen wie Beck. Zum ersten Mal haben wir die Befragten deshalb gebeten, die beiden SPD-Politiker miteinander zu vergleichen. Und dabei bekommt Steinmeier fast durchweg die besseren Noten. Die Wählerinnen und Wähler sind der Ansicht, dass Steinmeier Deutschland besser in der Welt vertreten kann (69:10 Prozent), dass er sympathischer ist (59:19 Prozent), glaubwürdiger (58:14 Prozent), dass er mehr Unterstützung in der eigenen Partei hat (57:18 Prozent) und mehr von der Wirtschaft versteht (43:15 Prozent).
Steinmeiers Defizit ist mangelnde Bürgernähe. Das empfinden nicht nur SPD-Anhänger, sondern auch die Wähler anderer Parteien so. Aus ihrer Sicht ist Kurt Beck „näher an den Menschen“ (41:31 Prozent) und wäre der Kandidat, der sich stärker für die Interessen der kleinen Leute einsetzt (37:22 Prozent). Unter dem Strich aber setzen 73 Prozent der SPD-Anhänger darauf, dass mit einem Kanzlerkandidaten Steinmeier die Chancen für die SPD besser wären.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 30. Juni bis 01. Juli 2008
Sonntagsfrage: 30. Juni bis 02. Juli 2008
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte