Merz und der Machtkampf "Söder wird nun zum Retter der CDU"
Die CDU-Spitze wolle ihn als Parteichef verhindern, mutmaßt Friedrich Merz. Stimmt, sagt Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke im Interview mit tagesschau.de. Und zwar aus guten Gründen.
tagesschau.de: Die Vorwürfe von Friedrich Merz gegen die CDU-Führung sind starker Tobak. Was steckt dahinter?
Albrecht von Lucke: Merz hat in zwei Dingen Recht. Zum einen hätte der Parteitag nicht verschoben werden müssen. Es gab Möglichkeiten, ihn digital abzuhalten. Und zum anderen: Die Parteispitze will Merz nicht als Vorsitzenden. Und gegenwärtig hat er klar die besten Umfragewerte in der CDU-Mitgliedschaft. Allerdings hat die Parteispitze auch gute Gründe, Merz nicht als Parteichef zu wollen.
tagesschau.de: Warum nicht?
von Lucke: Merz hat seine Unzulänglichkeit mit dieser wüsten Attacke nochmal unter Beweis gestellt. Sie wirft ihn final aus dem Rennen. Aber es ist noch viel dramatischer: Alle drei Kandidaten sind durch diesen Streit maximal beschädigt. Merz ist jetzt der Outlaw; Laschet, der bereits durch seine schwachen Auftritte in der Corona-Krise stark geschwächt ist, gilt jetzt auch noch als derjenige, der mit dem Establishment die Strippen zieht; und Röttgen hat ohnehin keine starke Verankerung in der Partei. Das ist für die ganze CDU ein GAU. Und es macht den ohnehin wahrscheinlichsten Kanzlerkandidaten nun fast unausweichlich: Markus Söder.
Albrecht von Lucke, Jahrgang 1967, ist Jurist und Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Redakteur der Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" und als Hörfunk-Kommentator.
Merz ist nicht der Garant für beste Wahlergebnisse
tagesschau.de: Das beantwortet noch nicht, warum die CDU-Spitze Merz nicht will ...
von Lucke: Merz ist zwar der Liebling eines Teils der Basis, aber im Grunde ist er damit primär Ausdruck der Schwäche der anderen beiden Kandidaten. Merz macht pointierte Ansagen und verkörpert damit den Wunsch von Teilen der Basis nach grundlegender Veränderung, nach einem Kulturwechsel nach der schier endlosen Merkel-Ära.
Doch die Parteiführung weiß auch ganz genau: Merz ist nicht der Garant für die besten Wahlergebnisse. Mit seinem scharf konservativen und zugleich neoliberalen Profil würde er wohl im rechten Lager Stimmen hinzugewinnen, aber er würde dies sehr teuer erkaufen - und zwar mit dem Verlust sehr viel größerer Wähleranteile in der Mitte. Das heißt, mit einem Spitzenkandidaten Merz würde die CDU mehr verlieren als gewinnen.
tagesschau.de: Aber erstmal geht es doch nur um den CDU-Vorsitz, nicht um die K-Frage ...
von Lucke: Aber Merz ist mit Sicherheit der letzte, der als Parteichef bereit wäre, zugunsten eines anderen - also etwa Markus Söder - auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten.
Laschet und Merz: knallharter Machtkampf
tagesschau.de: Wen will die Parteiführung dann? Laschet will doch auch die Kanzlerkandidatur?
von Lucke: Die Parteiführung will den Kandidaten, der in der Lage ist, auch zugunsten von Söder zu verzichten. Norbert Röttgen hat das bereits klar erklärt. Und Laschets Chance, trotz miserabler Umfragewerte und schlechter Performance doch noch Parteichef zu werden, besteht darin, im Frühjahr den Weg frei zu machen für jemanden, der die besten Chancen hat. So war das schon immer bei der CDU/CSU: Derjenige wird K-Kandidat, der die besten Chancen hat zu gewinnen. Und das ist nicht Laschet, nicht Röttgen und nun auch bestimmt nicht mehr Merz: Das ist Söder.
tagesschau.de: Söder sah in der Corona-Krise aber auch nicht immer gut aus ... Stichwort: Testchaos in Bayern.
von Lucke: Das war ein Riesenfehler, den Söder aber geschickt zu einer bloßen "Panne" kleingeredet hat. In seiner Autorität hat ihm das aber bemerkenswerterweise nicht geschadet. Hinzu kommt: Söder dürfte in den nächsten Wochen weiter an Reputation gewinnen. Denn sein harter Corona-Kurs hat sich ja als richtig erwiesen. Ich bin sicher: Wenn im Frühjahr der Ruf der CDU erschallt, dann wird der Machtmensch Söder keine Sekunde zögern, nach der Kanzlerkandidatur zu greifen.
tagesschau.de: Ein Name fiel noch gar nicht: Jens Spahn.
von Lucke: Spahn ist potenzieller Kandidat für den CDU-Vorsitz, wenn vor allem Laschet nicht antreten würde. Aber wenn Laschet nun gar nicht mehr für den Parteivorsitz anträte, dann wäre das ein ungeheurer Gesichtsverlust für einen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Deswegen halte ich das für ausgesprochen unwahrscheinlich. Und Spahn wäre ja auch nur ein Kandidat für den Parteivorsitz, der den Weg für Söder als Kanzlerkandidat freimachen würde. Spahn ist im Moment vor allem die Projektionsfläche für diejenigen, die weder mit Merz, noch mit Laschet oder Röttgen glücklich sind.
tagesschau.de: Fassen wir zusammen: Laschet tritt bei einem Parteitag - wann auch immer - für den Parteivorsitz an, verzichtet aber auf die Kanzlerkandidatur?
von Lucke: Das ist die realistischste Variante. Damit wäre die CDU aber auch die gesamte Union aus der Malaise. Ich gehe davon aus, dass der Parteitag irgendwann im März stattfindet - und der könnte dann zugleich zum Krönungsparteitag werden. Aber nicht für Laschet, sondern für Söder.
tagesschau.de: Die Zeit bis März ist lang. Zerlegt sich die sonst immer so geschlossene Union bis dahin?
von Lucke: Nein, der Union drohen keine SPD-Verhältnisse. Dafür ist die Union viel zu stark, ist ihr Vorsprung vor der Konkurrenz viel zu groß. Aller Voraussicht nach stellt die Union daher den nächsten Kanzler. Es sei denn, sie schafft es, sich selbst zu zerstören. Aber das wird ein Kandidat Söder zu verhindern wissen. Der CSU-Chef würde dann quasi zum Retter der CDU. Und die CDU erlebt ja nicht die erste Krise - nach dem Abgang von Helmut Kohl war die Lage noch desaströser. Und damals hatte die CDU noch starke politische Gegner im Parteienspektrum. Heute hat sie die nicht mehr.
Merz' Amoklauf hat Trumpsche Züge
tagesschau.de: Söder ist also der Retter der CDU, Merz der Zerstörer?
von Lucke: Ja, Merz hat klare Verhältnisse geschaffen. Seine Attacke hat ja fast Trumpsche populistische Züge. Damit kann man eine Partei nicht hinter sich vereinen. Das war ein Empörungsschrei - und völlig unstrategisch. Damit hat er seine eigenen Chancen zerstört - und die der anderen beiden Kandidaten gleich mit. Alle sind maximal beschädigt.
Söders Rolle hingegen ist vielschichtig: Denn er hat Laschet ja erst in diesen Wettstreit um die beste Anti-Corona-Strategie getrieben, die diesen jetzt im Vergleich zu Söder so schlecht aussehen lässt. Und Laschet war so kurzsichtig, in den Wettbewerb einzusteigen. Söder konnte dabei sein Image als flatterhafter Rabauke ablegen und zum seriösen Ministerpräsidenten aufsteigen. Laschet steht dagegen nun als der laxe Lockerungskursbefürworter da - und Söder fährt die Punkte ein. Denn sein Kurs hat sich bestätigt. Das Ganze hat also lange vor Friedrich Merz‘ Aufschrei begonnen. Aber Merz hat durch seinen Amoklauf das ganze Desaster an der Spitze der CDU offengelegt - das Elend einer völlig führungslosen Partei.
tagesschau.de: Dabei wollte Annegret Kramp-Karrenbauer den Wechsel an der Parteispitze doch eigentlich "von vorne führen" ...
von Lucke: In der Tat. Aber jetzt ist eine Partei zu sehen, in der niemand führt. Es besteht ein absolutes Machtvakuum. Und das ist kein Zustand, aus dem heraus in den nächsten Wochen und Monaten ein starker Parteichef erwachsen kann.
Das Gespräch führte Wenke Börnsen, tagesschau.de