Interview

Interview zur Verleihung der Bundeswehr-Ehrenkreuze "Kollektive Gewaltanwendung muss möglich sein"

Stand: 06.07.2009 15:15 Uhr

Erstmals hat die Bundesregierung das "Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit" verliehen: Vier Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, erhielten die Auszeichnung von der Kanzlerin. Ein guter Schritt, sagt Oberstleutnant a.D. von Rosen im Interview mit tagesschau.de, aber noch lange nicht genug. Er fordert ein robustes Mandat in Afghanistan: "Kollektive Gewaltanwendung muss möglich sein."

tagesschau.de: Ist das "Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit" eine gute Initiative?

von Rosen: Es ist sicher richtig, einen Soldaten mit solch einem Orden für Tapferkeit zu loben, wie er es in Schwur und Gelöbnis versprochen hat. Allerdings ist es mit diesem Kreuz nicht getan. Die Politik müsste eigentlich mehr machen.

Claus Freiherr von Rosen,

Oberstleutnant a.D, leitet das Baudissin-Dokumentations-Zentrum der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Baudissin war maßgeblich an der Entwicklung der so genannten Inneren Führung beteiligt, dem Spezialgebiet von Rosens. Er ist Herausgeber des 2008 erschienenen Sammelbands "Zurückgestutzt, sinnentleer, unverstanden: Die Innere Führung der Bundeswehr".

"Wir brauchen ein robustes Mandat"

tagesschau.de: Was fordern Sie konkret?

von Rosen: Die Art des Afghanistan-Mandats muss überdacht werden. Kollektive Gewaltanwendung muss möglich sein. Wenn zum Beispiel Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks attackiert werden, dürfen sie sich wehren, nach dem Jedermann-Paragraphen im Grundgesetz, wie auch jeder Mann und jede Frau. Nur der gilt zurzeit für die Soldaten in Afghanistan - die haben aber nicht nur im Sinne des Selbstschutzes zu helfen, sondern brauchen darüber hinaus ein robustes Mandat.

In Jugoslawien wurden während des Kosovo-Kriegs Friedenssoldaten an eine Brücke gekettet, weil sie sich nicht wehren durften. Das heißt, dem Soldaten wird das genommen, was ihn zum Soldaten macht: auch kollektive Gewalt anzuwenden. Wir haben hier in Deutschland anscheinend noch nicht verstanden, dass das die Aufgabe des Soldaten ist.

tagesschau.de: Deswegen wird wohl kaum eine Partei solche Forderungen in einem Wahljahr erheben.

von Rosen: Man scheut sich hier in Deutschland, einzugestehen, dass dies die Aufgabe des Soldaten ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Soldat ist für den Frieden da. Das ist ein Grundsatz. Aber wenn sich der Frieden nicht selbstständig hält, muss der Soldat in der Lage sein, ihn wiederherzustellen - notfalls auch mit den Mitteln der Abschreckung. Zum Mandat des Soldaten gehören auch Kampfhandlungen - dazu ist er aber nach den derzeitigen rules of engagement nicht berechtigt.

"Die Bundeswehr ist in einer neuen Phase"

tagesschau.de: Sie sprechen von Kampfhandlungen, Bundesverteidigungsminister Jung spricht von "Gefallenen". Sollte nicht endlich auch von Krieg die Rede sein?

von Rosen: Das ist vor allem eine politisch-juristische Frage: Von dem Moment an, in dem wir von Krieg sprechen, geht sofort der Oberbefehl an die Kanzlerin über. Zum anderen hat das kriegsvölkerrechtliche Konsequenzen. Davon sind wir weit entfernt. Ein politisches Instrument wie das Militär einzusetzen, um Frieden wiederherzustellen, hat nichts mit Krieg zu tun.

tagesschau.de: Was sagen Sie Soldaten in Afghanistan, die sehr wohl von Krieg sprechen?

von Rosen: Ich verstehe, dass sie eine klare Anweisung brauchen, die über den Jedermann-Paragraphen hinausgeht.  Das heißt nicht, dass wir von Krieg sprechen müssen, sondern dass die Soldaten Regeln für den Einsatz bekommen, die mehr sind als der Jedermann-Paragraph.

tagesschau.de: Das Ehrenkreuz wird zum ersten Mal verliehen, im vergangenen Oktober wurde der Grundstein für das Ehrenmal für ums Leben gekommene Soldaten errichtet – die Zeichen häufen sich dafür, dass die Bundeswehr in eine neue Phase eintritt.

von Rosen: Natürlich sind wir durch solche Einsätze wie den in Afghanistan in einer neuen Phase. Aber auch in der Vergangenheit waren wir Soldaten, eine Armee. Das hat die Gesellschaft und zum Teil auch die Bundeswehr in den letzten 30 Jahren jedoch versucht, zu vergessen. Orden, wie sie heute verliehen wurde, sind ein Anlass, um der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass sich da etwas verändert hat in den vergangenen 50 Jahren.

tagesschau.de: Dennoch wählt der Minister eher versteckte Termine: Die Grundsteinlegung des Ehrenmals fand zwischen zwei namentlichen Abstimmungen im Bundestag statt, als die Öffentlichkeit also woanders hinblickte. Der Termin für die heutige Verleihung des Ehrenkreuzes ist erst seit Kurzem bekannt – und liegt in der parlamentarischen Sommerpause. Was steckt dahinter?

von Rosen: Ich würde es Salamitaktik nennen. Der Minister versucht, in kleinen Schritten, möglichst ohne großes Aufsehen Bewusstsein zu schaffen.

Innere Führung? "Das Papier nicht wert"

tagesschau.de: Sind Sie einverstanden mit seiner Arbeit?

von Rosen: Er hat sein Amt in einer schwierigen Zeit. Man muss Minister Jung zugutehalten, dass er vernünftig und weise mit seinen engsten Beratern umgeht. Ich kritisiere allerdings die Vorschrift Innere Führung, die unter ihm entstanden ist: Die ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Das ist eine Hochglanzbroschüre ohne Inhalt. Genau die Fragen, die wir hier beraten, müssten darin beantwortet werden: Wie bringe ich dem Soldaten nahe, was es für ihn bedeutet, in Afghanistan zu sein? Wie definiere ich für ihn Tapferkeit? Davon steht absolut nichts in dieser Vorschrift. Das ist lediglich ein Absicherungspapier nach außen, nach dem Motto: "Alles ist geregelt."

Das Gespräch führte Nicole Diekmann, tagesschau.de.