Fragen und Antworten Wie wird der Bundespräsident gewählt?

Stand: 01.07.2010 09:33 Uhr

Vier Kandidaten bewarben sich am 30. Juni um das Amt des Bundespräsidenten. Aber wer wählt eigentlich das neue Staatsoberhaupt, wie läuft die Wahl ab und wo findet sie eigentlich statt? Und wo findet die Wahl eigentlich statt. tagesschau.de liefert diese und andere Antworten.

Wer wählt das deutsche Staatsoberhaupt?

Die Bundesversammlung ist nach Artikel 54 Grundgesetz das Gremium, dessen einzige verfassungsrechtliche Aufgabe es ist, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Dabei setzt sich die Bundesversammlung zu gleichen Teilen aus den Mitgliedern des Bundestages und Abgesandten der Länderparlamente zusammen. Man spricht bei den Bundestagsabgeordneten von "geborenen" Mitgliedern, da sie automatisch Wahlrecht genießen. Die Wahlleute der Landtage werden als "gekorene" Mitglieder bezeichnet. Da in der aktuellen 17. Wahlperiode 622 Abgeordnete im Bundestag sitzen, stellen die Landtage die gleiche Anzahl an Wahlleuten. Insgesamt gehören der Bundesversammlung damit 1244 Mitglieder an.

Wen nominieren die Landtage?

Bei früheren Wahlen haben die Parteien regelmäßig Prominente oder Vertreter wichtiger Institutionen in die Bundesversammlung geschickt. So wurde zum Beispiel Gloria von Thurn und Taxis 2004 von der CSU nominiert, die SPD Sachsen schickte 2009 den Frontmann der Popgruppe "Die Prinzen" nach Berlin. Für die 14. Bundesversammlung entsenden die 16 Landtage jeweils nach der Größe des Bundeslandes eine bestimmte Anzahl Wahlleute nach Berlin; insgesamt sind es 622. Bayern schickt beispielsweise 95 Delegierte nach Berlin, Sachsen-Anhalt 19 und das kleine Saarland nur acht Wahlleute. Die von den Landtagen nominierten Wahlleute müssen demzufolge weder ein Landtagsmandat haben, noch in dem betreffenden Bundesland wohnen.

Wo findet die Wahl statt?

Die Wahl findet im Plenarsaal des Bundestages, im Reichstagsgebäude in Berlin statt. Damit alle 1244 Wahlmänner und -frauen Platz finden wird der Saal umgerüstet. Die erste Bundesversammlung fand 1949 im Bonner Bundeshaus statt. Zwischen 1954 und 1969 wurde viermal die Ostpreußenhalle in Berlin als Tagungsorts auserkoren. Die Bundesversammlungen zwischen 1974 und 1989 fanden in der Beethovenhalle am Bonner Rheinufer statt. Seit der Wahl Roman Herzogs 1994 zum siebten Bundespräsidenten tritt die Bundesversammlung im Reichtstagsgebäude zu Berlin zusammen.

Wer leitet die Bundesversammlung?

Sitzungspräsident der Bundesversammlung ist der Hausherr des Wahlortes, Bundestagspräsident Lammert. Der Bundespräsident wird ohne vorherige Aussprache der Delegierten von der Bundesversammlung gewählt. Laut Gesetz ist der Parlamentspräsident für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Versammlung zuständig. Den Ablauf regelt eigens ein Bundespräsidentenwahlgesetz.

Wann findet die Wahl statt?

Seit 1979 fand die Wahl eines neuen Bundespräsidenten immer am 23. Mai statt - am Tag des Grundgesetzes. Durch den plötzlichen Rücktritt Horst Köhlers am 31. Mai musste ein neues Datum gefunden werden. Gemäß Artikel 54 des Grundgesetzes tritt die Bundesversammlung spätestens 30 Tage nach dem Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung der Amtszeit zusammen. In diesem Falle also spätestens am 30. Juni. Diesen Zeitrahmen hat Bundestagspräsident Lammert damit voll ausgeschöpft.

Wer ist bis zu diesem Datum Staatsoberhaupt?

Bis zum 30. Juni 2010 führt Jens Böhrnsen, Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten weiter. Böhrnsen ist momentan Präsident des Bundesrates, der Kammer aller 16 deutschen Landesparlamente. Damit ist er gemäß Artikel 57 Grundgesetz Stellvertreter des Bundespräsidenten. Turnusgemäß wird alle zwölf Monate der Vorsitz im Bundesrat weitergegeben. Böhrnsen hatte den Vorsitz zum 1. November 2009 von Saarlands Ministerpräsident Peter Müller übernommen.

Böhrnsens Amtszeit in der Länderkammer endet am 31. Oktober 2010. Ihm wird der neue Ministerpräsident oder die neue Ministerpräsidentin aus Nordrhein-Westfalen folgen. Die Reihenfolge der Länder beginnt mit dem einwohnerstärksten Nordrhein-Westfalen und endet mit dem bevölkerungsschwächsten Bundesland Bremen.

Welche Kandidaten stehen zur Wahl?

Zur Bundespräsidentenwahl am 30. Juni 2010 haben die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien folgende Kandidaten nominiert:

CDU/CSU und FDP: Christian Wulff (CDU), Ministerpräsident Niedersachsens und stellvertrender CDU-Vorsitzender. Die Union verfügt über 499 oder 500 Wahlleute. Die FDP über 147.

SPD und Bündnis '90 / Die Grünen: Joachim Gauck (parteilos), Bürgerrechtler und ehemaliger Leiter der Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), der nach ihm benannten "Gauck-Behörde". Die SPD kann auf 332 Stimmen hoffen, die Grünen steuern weitere 127 Delegiertenstimmen dazu.

Die Linke: Lukrezia Jochimsen (Die Linke), Bundestagsabgeordnete über die Landesliste Thüringen und ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks (hr). Die Linke ist mit 124 oder 125 Wahlleuten in der Bundesversammlung vertreten.

NPD: Frank Rennicke (NPD); Liedermacher und ehemaliges Mitglied der mittlerweile verbotenen rechtsextremistischen Wiking-Jugend. Er kann auf drei Stimmen der NPD aus Sachsen zählen.

Die Freien Wähler (FW), die im Bayerischen Landtag sitzen, haben zehn Wahlleute. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), Vertretung der dänischen Minderheit im Kieler Landeshaus, ist mit einer Wahlfrau in der Bundesversammlung vertreten. Beide Parteien haben auf die Nomierung eines eigenen Kandidaten verzichtet.

Wie wird gewählt?

Erhält ein Kandidat oder eine Kandidatin schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, also mehr als 50 Prozent der Stimmen der Mitglieder der Bundesversammlung, ist er zum neuen Bundespräsidenten oder zur neuen Bundespräsidentin gewählt. Wenn nicht, folgt ein zweiter Wahlgang. Auch hierbei muss ein Kandidat die absolute Mehrheit erreichen um gewählt zu werden. Ist noch immer kein Wahlsieger ermittelt, kommt es zum entscheidenden dritten Wahlgang.

Im dritten Wahlgang reicht jedem Kandidaten die einfache Mehrheit, also die größte Zahl an abgegebenen gültigen Stimmen. Nun ist spätestens ein neuer Bundespräsident oder eine neue Bundespräsidentin gewählt.

Nach der Wahl: Was passiert, wenn...

... Christian Wulff (CDU) gewählt wird?

Erhält Christian Wulff die meisten Stimmen ist er formal zum neuen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Er muss die Wahl jedoch zunächst annehmen. Dies kann er aber noch nicht. Ebensowenig kann er sich von Bundestagspräsident Lammert vereidigen lassen, geschweige denn sein Amt antreten. Grund ist die zeitgleiche Ausübung seines Ministerpräsidentenamtes. Der Bundespräsident darf nach Artikel 55 Grundgesetz weder einer Regierung noch einem Parlament angehören.

Sein Landtagsmandat hat Wulff zwar schon am 11. Juni niedergelegt, nicht aber den Regierungssessel in Hannover verlassen. Bevor er seine Wahl annehmen und vereidigt werden kann, muss er vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten. Laut niedersächsischer Verfassung bedeutet dies den Rücktritt der kompletten niedersächsischen Regierung. Da der niedersächsische Landtagspräsident Hermann Dinkla als Wahlmann in der Bundesversammlung sitzt, könnte Wulff ihm, nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten, seinen Rücktritt als Regierungschef in Niedersachsen mitteilen.

Anschließend könnte ihn Versammlungspräsident Lammert als zehnten Bundespräsidenten vereidigen. Wulff hätte sogar länger Zeit, seine Regierungsämter niederzulegen: Ganze zwei Tage sieht der Gesetzgeber hierfür als Frist vor. Wulffs Vorgehen wird zwar von der Opposition kritisiert, ist aber formaljuristisch legitim, bestätigt Verfassungsrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem im Interview mit tagesschau.de.

... Joachim Gauck (parteilos) gewählt wird?

Gauck hat momentan keine Ämter, die der Ausübung des höchsten Staatsamtes entgegenstünden. Somit könnte er nach seiner Wahl direkt von Bundestagspräsident Lammert vereidigt werden und wäre damit der zehnte Bundespräsident.

Zusammengestellt von Jon Mendrala für tagesschau.de