Nach schwerer Hackerattacke Braucht der Bundestag ein neues IT-Netz?
Der Bundestag braucht möglicherweise ein komplett neues Computernetzwerk. Nach Recherchen von NDR, WDR und "SZ" sagen Experten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, das Netz sei nach der schweren Hackerattacke nicht mehr zu retten.
Von John Götz und Benedikt Strunz, NDR
Es wäre ein radikaler Schritt, über den bislang lediglich spekuliert wurde: Der Bundestag muss vermutlich ein neues Computer-Netzwerk aufbauen. Zu diesem Schluss kommen die Experten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Sie versuchen gemeinsam mit Mitarbeitern des Bundestages sowie Spezialisten einer süddeutschen IT-Firma bereits seit Wochen, den jüngsten Cyberangriff auf das Parlament zu analysieren und zu stoppen. In der vergangenen Woche haben sie den Bundestag über die Ergebnisse ihrer Analyse in einem als "geheim" eingestuften Bericht informiert.
Am Donnerstag wird BSI-Präsident Michael Hange die Bundestags-Kommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken (IuK-Kommission) gesondert unterrichten. Die Bundestagsverwaltung wollte sich zu dem jüngsten Vorgang nicht äußern.
Schlechte Nachrichten für die Parlamentarier
Hange hat den Parlamentariern schlechte Nachrichten zu überbringen. Personen, die unmittelbar in das Geschehen eingebunden sind, haben NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" erklärt, es könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, dass aus dem Bundestags-Netzwerk noch immer unbemerkt Daten abfließen.
Weiter heißt es, den Hackern sei es gelungen, sich über Monate hinweg tief ins Netzwerk des Bundestages einzugraben. Letztlich konnten sie den so genannten Verzeichnisdienst des Bundestages übernehmen. In dem Dienst werden die Parlamentsrechner, insgesamt mehr als 20.000 Stück, als Netzwerk organisiert. Die Angreifer haben somit Zugriff auf beliebige Systeme des Bundestages sowie auf alle Zugangsdaten der Fraktionen, Abgeordneten und Bundestags-Mitarbeiter. Auch weil die Angreifer mittlerweile Administratorenrechte im Bundestag an sich gebracht haben, empfiehlt das BSI nun, das alte System aufzugeben und ein neues Netzwerk aufzubauen.
Der NSA-Untersuchungsausschuss, die Geheimschutzstelle, in der als geheim eingestufte Dokumente des Bundestages verwahrt werden, und die Personalverwaltung sind von dem Angriff nicht betroffen, da sie besonders gesicherte Netzwerke nutzen.
Die investigativen Ressorts von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" kooperieren unter Leitung von Georg Mascolo themen- und projektbezogen. Die Rechercheergebnisse, auch zu komplexen internationalen Themen, werden für Fernsehen, Hörfunk, Online und Print aufbereitet.
Waren es ausländische Geheimdienste?
Vor mehreren Wochen war bekannt geworden, dass die Angreifer mehrere Datenpakete aus dem Bundestag abgreifen konnten. Betroffen sind demnach mindestens fünf PCs von Abgeordneten, darunter die Rechner von zwei Parlamentariern der Linkspartei und drei Christdemokraten. Da der Angriff sehr professionell ausgeführt wurde, vermuten Verfassungsschutz und BSI einen ausländischen Geheimdienst hinter der Attacke.
Vielleicht geht es darum, wirtschaftlich relevantes Wissen zu erlangen, vielleicht will man belastende Informationen über Abgeordnete sammeln, mit denen diese erpressbar sind, vielleicht geht es aber auch um etwas ganz anderes. Nach derzeitigem Kenntnisstand lässt sich bislang noch kein genaues Muster hinter dem Angriff erkennen, das Rückschlüsse darauf zulässt, worauf es die Angreifer genau abgesehen haben.
Ein neues Netzwerk ist eine Frage von Wochen
Der Bundestag steht jetzt vor einem weiteren Problem. Denn das Bundestags-Netzwerk mit seinen zigtausend PCs, zu denen Mitarbeiter, Sekretäre und Wahlkreisbüros Zugang haben, gilt als besonders stark verzweigt. Eine Neuorganisation könnte insofern erhebliche organisatorische Schwierigkeiten mit sich bringen. Dass eine solche Maßnahme wohl öffentlich ausgeschrieben werden müsste, ist dabei noch die geringste Schwierigkeit. Denn der Aufbau eines neuen Bundestags-Netzes ist wohl eher keine Frage von Tagen, sondern von Wochen.
Zudem ist unklar, inwieweit sich das Parlament auf eine so schwerwiegenden Maßnahme verständigen wird. Konstantin von Notz, der für die Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss sitzt, hat bereits Bedenken angekündigt. Es sei wichtig, dass neben dem BSI auch unabhängige Stellen den Vorfall bewerteten, so von Notz. Derzeit fühle er sich über die Attacke denkbar schlecht informiert. Auf dieser Basis sei es schwierig zu entscheiden, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen.