Gipfel im Kanzleramt Bund und Länder einigen sich in Migrationsfragen
Beim Gipfel im Kanzleramt haben Bund und Länder eine Einigung in Flüchtlingsfragen erzielt: Künftig wird es eine Pro-Kopf-Pauschale vom Bund und geringere Leistungen für Asylsuchende geben. Zudem sollen ihre Verfahren beschleunigt werden.
Bund und Länder haben sich auf eine Neuregelung der Finanzierung bei der Versorgung von Geflüchteten geeinigt. Beide Seiten verständigten sich bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt darauf, dass der Bund künftig 7.500 Euro pro Flüchtling pro Jahr zahlt, wie Bundeskanzler Olaf Scholz sagte.
Scholz sieht "historischen Moment"
Wenn sich ein Asylverfahren lange hinziehe, sollten nicht 18, sondern 36 Monate lang Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden, sagte Scholz weiter. "Das wird eine erhebliche Veränderung mit sich bringen." Er sprach von einem "historischen Moment", weil alle Ebenen des Staates Handlungsfähigkeit gezeigt hätten.
Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der staatlichen Leistungen bedeutet.
Milliardenkosten für den Bund
Das Gesamtvolumen der Bundeshilfe bezifferte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) auf 3,5 Milliarden Euro. Der Bund wird in der ersten Hälfte des Jahres 2024 zudem eine Abschlagszahlung in Höhe von 1,75 Milliarden Euro leisten. Zudem sollen Länder und Kommunen durch einen veränderten Leistungsbezug für Asylbewerberinnen und Asylbewerber rund eine Milliarde Euro einsparen.
Finanzminister Christian Lindner erklärte auf X, die geplante Einschränkung könne zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen. "Durch diese Maßnahme wird auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert."
Asylverfahren sollen kürzer werden
Zudem beschlossen die Gipfelteilnehmer, dass Behörden und Gerichte Asylverfahren künftig deutlich schneller abarbeiten sollen. Angestrebt wird, dass die erste Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Regelfall nach sechs Monaten vorliegen soll. Ein Gerichtsverfahren soll in erster Instanz ebenfalls nach sechs Monaten abgeschlossen sein.
Bei Bewerbern aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent sollen die Verfahren noch schneller gehen: Behörden und Gerichte sollen hier nur jeweils drei Monate Zeit bekommen. Zu diesen Ländern gehörten im ersten Halbjahr 2023 unter anderen Montenegro, Algerien, Tunesien, Albanien, Ghana, Kosovo und Georgien. Hier wurde nur bei wenigen Antragstellern Asyl anerkannt, ein Flüchtlingsstatus zugesprochen, subsidiärer Schutz gewährt oder ein Abschiebeverbot verhängt.
Bezahlkarte und begrenzter Familiennachzug
Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einigten sich weiterhin auf die Forderung nach der Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende und die Begrenzung des Familiennachzugs. Gemeinsam werden demnach auch eine Wiederbelebung des EU-Türkei-Abkommens, effektivere Binnengrenzkontrollen und eine Weiterentwicklung des Asylrechts in einer parteiübergreifenden Kommission gefordert.
Auf diese Positionen hatten sich die Länderchefs im Grundsatz bereits bei ihrem Treffen im Oktober in Frankfurt am Main verständigt.
Einigung auf "Beschleunigungspakt"
Beim Thema Planungsbeschleunigung verkündeten Länder und Bund bereits eine Einigung. Ein neuer "Beschleunigungspakt" soll mehr Tempo in Planungs- und Genehmigungsverfahren bringen, damit Windräder, Stromtrassen, Bahnstrecken und Wohnungen schneller gebaut werden können.
Es gehe darum, "dass nicht noch ein Politiker sagt, 'alles soll schneller werden', sondern dass es tatsächlich passiert", so Kanzler Olaf Scholz (SPD). In den vergangenen Jahrzehnten hätten Bund und Länder "mit großer Liebe und Zuneigung" immer mehr Vorschriften erfunden. Diese sollten nun vereinfacht werden.
Das Paket umfasse dazu an die 100 Einzelregelungen, unter anderem zu Autobahnen und Zugtrassen, zum Bau von Wohnungen, dem Ausbau von Dachgeschossen und das Aufstellen von Mobilfunkmasten. Weitere Vereinfachungen etwa im Gesundheitswesen und der Wasserstoffindustrie sollten folgen, kündigte Scholz an.
"Ich freue mich sehr darüber, dass wir einig sind als Bund und Länder, und das ist im Föderalismus eben wichtig", sagte auch Rhein, der derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist. Unter anderem beim Thema Bauen werde vieles erleichtert. Einmal erteilte Typengenehmigungen für serielles Bauen sollten etwa bundesweit gelten. Um- und Ausbau von Wohnungen werde nicht mehr an Auto-Stellplätzen scheitern. Ein Windrad könne ohne Genehmigung an der gleichen Stelle durch ein anderes ersetzt werden.
Umweltverbände hatten die Bund-Länder-Pläne zuvor scharf kritisiert. Sie fürchten, es könne auf Kosten der Natur gehen, wenn Regelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen und Artenschutz verändert werden.
Länder wollen Weiterführung des Deutschlandtickets
Beim Deutschlandticket bekannten sich die Länder zu einer Fortsetzung des Angebots, forderten aber ein Bundes-Signal zur weiteren gemeinsamen Finanzierung. Das Ticket sei ein Erfolgsmodell, und man wolle es weiterführen, sagte Rhein. "Aber wir müssen jetzt ein Zeichen setzen gegenüber den Verkehrsverbünden."
Weil erläuterte, dass nach Vorstellung der Länder in diesem Jahr nicht verbrauchte Bund-Länder-Mittel übertragen werden könnten. Dies schaffe die Grundlage, dass das Ticket auch im nächsten Jahr weitergehen könne. "Ob und in welcher Form das Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben wird, das müssen uns die Verkehrsminister sagen."