Dagmar Berghoff "Hätte ich versagt, wären Männer eingesetzt worden"
60 Jahre wird die Tagesschau alt - 23 davon war Dagmar Berghoff Sprecherin der Sendung. Als sie 1976 begann, war sie die einzige Frau im Team. tagesschau.de sprach mit ihr über Männerdomänen, professionelle Präsentation von Nachrichten - und über den wirklichen Grund für ihren legendären Lachanfall.
tagesschau.de: Sie sind 1976 zur Tagesschau gekommen und waren dann dort für lange Zeit die einzige Frau. Wie ging es Ihnen in dieser Männerdomäne?
Dagmar Berghoff: Der damalige Chefsprecher Karl-Heinz Köpcke vertrat eigentlich die Ansicht, dass Frauen das nicht können, weil sie in Tränen ausbrechen, wenn ein Unglück passiert ist. Die Kollegen haben mich aber sehr freundlich aufgenommen, vor allem, nachdem sie gemerkt hatten, dass ich es doch kann.
Aber ich habe mich selber am Anfang sehr unter Druck gesetzt, weil ich dachte, damit der Beruf der Sprecherin für die Frauen nicht gleich wieder verloren wäre, müsste ich auf Anhieb so gut sein wie die Kollegen. Für mich war damals jeder kleine Versprecher ein mittlerer Weltzusammenbruch und ich habe stundenlang gebraucht, um damit fertig zu werden. Das hörte erst etwa nach einem halben Jahr auf.
tagesschau.de: Und wurden sie auch von anderen dafür kritisiert?
Berghoff: Gar nicht eigentlich. Vielleicht hat die kleinen Fehler außer mir gar keiner wahrgenommen. Ich habe es aber gemerkt. Und habe dann mit heißem Kopf weitergelesen.
"Alice Schwarzer ist eine wunderbare Frau"
tagesschau.de: Im Fragebogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben Sie mal angegeben, Ihre "Lieblingsheldin der Wirklichkeit" sei Alice Schwarzer.
Berghoff: Alice Schwarzer hat ja viel für uns Frauen getan. Und je älter sie wird, desto charmanter wird sie. Ich finde, sie ist eine ganz wunderbare Frau. Und nach wie vor wichtig für die Bundesrepublik.
tagesschau.de: Sehen Sie sich selbst auch als Feministin?
Berghoff: Nein. Obwohl ich eine der ersten Nachrichtensprecherinnen war und damit eine ziemliche Verantwortung hatte, für diesen Beruf und für die Frauen. Wenn ich versagt hätte, wären wieder jahrelang nur noch Männer als Sprecher eingesetzt worden.
"Der Sprecher darf spüren lassen, dass er betroffen ist"
tagesschau.de: Dass Frauen zu emotional für den Sprecher-Beruf sind, haben Sie schnell widerlegt. Grundsätzlich stelle ich es mir aber sowohl für Männer als auch für Frauen schwierig vor, schreckliche Meldungen neutral zu präsentieren.
Berghoff: In diesem Punkt war ich nicht einer Meinung mit Herrn Köpcke und dem späteren Chefsprecher Werner Veigel. Bei traurigen Meldungen fand ich es legitim, beispielsweise durch ein kurzes Verzögern minimales Gefühl mitschwingen zu lassen. Oder dadurch, dass man bei entsetzlichen Meldungen nicht in die Kamera, sondern auf das Blatt guckt. Wenn der Sprecher nicht emotionslos liest, sondern ganz leicht spüren lässt, dass er auch betroffen ist, dann entsteht zwischen ihm und den Menschen vor dem Bildschirm eine winzige Sekunde lang eine Verbindung. Nur in Tränen ausbrechen darf der Sprecher nicht, er muss weiterlesen. Also ich habe das einfach so gemacht. Aber ich weiß, dass das nicht die Linie von Veigel und Köpcke war.
"Die Bilder haben mich entsetzt"
tagesschau.de: Erinnern Sie sich an Meldungen, die Ihnen ganz besonders schwer gefallen sind?
Berghoff: Da gab es viele. Die furchtbaren Attentate in Israel. Oder als der von der RAF entführte Hanns-Martin Schleyer ermordet aufgefunden wurde. Oder das Unglück von Ramstein. Das war erst ein so schöner Sonnabend Nachmittag und dann rannten die Leute vor dieser Feuerwalze davon. Die Bilder haben mich entsetzt.
tagesschau.de: Ich habe gelesen, dass Sie sich an dem Tag, als Schleyer tot gefunden wurde, ganz unpassend angezogen fühlten.
Berghoff: Es war ein sonniger Nachmittag und ich hatte so ein knallgrünes, ausgeschnittenes Kleid an. Ich bin dann zu den Sekretärinnen gerannt und habe gefragt: Habt Ihr einen Blazer? Aber keine hatte einen. Wenigstens ein Tuch konnte ich mir leihen und das habe ich mir umgelegt. Ich habe hinterher einen schwarzen Blazer und eine weiße Bluse gekauft, die ab da auch für meine späteren Sprecher-Kolleginnen immer für den Notfall im Sender hingen. Wir hatten alle etwa die gleiche Größe.
Von Gurkenlastern und Scheidungen
tagesschau.de: Die Tagesschau gilt als die seriöseste Nachrichtensendung überhaupt. Fallen Ihnen trotzdem Beiträge ein, von denen Sie denken: Es wäre besser gewesen, wenn wir sie nicht gemacht hätten?
Berghoff: Beispielsweise Daniel Küblböck, der in der Tagesschau erschien als er einen Unfall mit einem Gurkenlaster hatte. Oder auch die Scheidung von Boris Becker. So etwas gehört nicht in die Tagesschau.
tagesschau.de: Wenn Ihnen heute von zu Hause aus Dinge an der Tagesschau nicht gefallen, rufen Sie dann noch an?
Berghoff: Das mache ich nicht. Jan Hofer ist jetzt Chefsprecher und er hat ein gutes Team. Die werden schon aufeinander aufpassen, so wie wir das auch gemacht haben.
"Der Idiot war ich selber"
tagesschau.de: Sie gelten als die Zuverlässigkeit in Person. Haben Sie eigentlich je einen Dienst vergessen?
Berghoff: Drei Mal. Einmal habe ich im Radio moderiert, da ruft um halb zehn plötzlich der Aufnahmeleiter an und sagt: Sie wissen, dass sie um zehn Uhr die Tagesschau lesen müssen. Die Radiosendung ging aber bis halb eins. Glücklicherweise konnte ein Kollege einspringen.
Beim zweiten Mal habe ich so gegen 19:20 Uhr zu Hause auf den Dienstplan geguckt, weil mich interessiert hat, wer von den anderen wohl dran ist. Dann stand da mein Name. Mein damaliger Lebenspartner hat mich in den Sender gefahren, ich habe mich im Auto geschminkt, saß dann tatsächlich schwer atmend um 20 Uhr auf meinem Stuhl und habe die Tagesschau einwandfrei gelesen.
Und beim dritten Mal, da gucke ich zu Hause gemütlich die 20-Uhr-Tagesschau, sehe Wilhelm Wieben und höre, dass er nicht nur seine Meldung liest, sondern auch noch den Text, den eigentlich der Off-Sprecher vortragen müsste. Und ich denke: Welcher Idiot hat denn vergessen, dass er den Off-Sprecher-Dienst hat? Dann guck ich nach. Und war es selber.
Und wie kam es zu dem Lachanfall?
tagesschau.de: Zum Abschluss müssen wir jetzt noch über Ihren legendärsten Versprecher reden. Anstatt: "Boris Becker hat am Abend das WTC-Turnier gewonnen" lesen Sie "das WC-Turnier" - und dann bekommen Sie einen Lachanfall.
Berghoff: In so einem Moment rauscht Dir das Blut von den Haaren bis in die Fußzehen. Ich hatte Glück, dass danach nur noch die Lottozahlen kamen. Stellen Sie sich vor, es wäre eine ernste Nachricht gewesen, das wäre schrecklich gewesen.
Es gibt dazu übrigens eine Vorgeschichte. Vor der Sendung habe ich in der Redaktion gesagt: Soll ich mal lesen, Boris Becker hat im WC gewonnen? Und dann ging ich raus und die riefen mir noch hinterher: Wie heißt das Turnier? Und dann habe ich mir vorgenommen, im Studio mach ich das jetzt wie eine Schauspielerin. Ich sage: "Boris Becker hat das" – dann wollte ich einen Blick in die Kamera werfen, der nur für die Redaktion gedacht war - um schließlich meinen Satz mit "WTC-Turnier gewonnen" zu beenden. Und was mache ich? Ich werfe einen Blick in die Kamera und sage: "WC-Turnier". Deshalb habe ich einen Lachanfall bekommen.
Das Interview führte Sarah Welk, tagesschau.de