Medikamente in Umwelt Nebenwirkungen weiter zu befürchten
Reste vieler Medikamente gelangen in die Umwelt und schaden dieser. Die EU-Kommission will im Juni ein Strategiepapier dagegen verabschieden. Nach NDR-Recherchen wird es wohl keine scharfen Vorgaben enthalten.
Hormone aus Antibaby-Pillen, Schmerzmittel oder Antibiotika: Viele Medikamente landen in der Umwelt mit Folgen für Pflanzen, Tiere und Menschen. Das Problem will die EU-Kommission nun angehen - mit einem Strategiepapier, das diesen Monat nach jahrelangen Beratungen verabschiedet werden soll. In dem Entwurf des Papiers, das dem NDR vorliegt, heißt es: Die Verschmutzung durch Medikamente sei ein wachsendes Problem mit Risiken auch für die menschliche Gesundheit - insbesondere durch Antibiotika-Resistenzen. Doch wie das Problem angegangen werden soll, ist umstritten.
Pharma-Industrie für Aufklärung von Ärzten und Patienten
Die wirksamste Maßnahme sei einfach die Aufklärung, sagt Britta Ginnow vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Aus Sicht der Industrie müssen vor allem Ärzte und Verbraucher besser informiert werden - über den Einsatz von Medikamenten und deren Entsorgung.
Genau diese Maßnahmen empfiehlt tatsächlich die neue Strategie der Europäischen Union nach dem jetzigen Stand. Was allerdings darin fehlt, sind konkrete Gesetzes-Vorschläge. Nicht-Regierungsorganisationen, die den Prozess bis zum Entwurf des Papiers lange Zeit begleitet haben, sind deshalb verärgert. Natasha Hurley von Changing Markets etwa kritisiert, dass beispielsweise die Forderung nach Umweltkontrollen bei Pharma-Herstellern in Ländern wie Indien nicht mehr enthalten sei. Schon jetzt besuchen zwar EU-Kontrolleure solche Fabriken, Umweltaspekte spielen dabei aber bislang keine Rolle.
Wasserwirtschaftsverband fordert konkrete Gesetzesänderungen
Insgesamt sei das zu wenig, was sich in der Strategie wiederfinde, kritisiert auch Martin Weyand vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Er fordert konkrete Gesetzesänderung etwa bei der Zulassung von Arzneimitteln. Da müsse die Umweltverträglichkeit eine größere Rolle spielen. Nur so könne das Problem gelöst werden, sagt Weyand.
Doch diese Forderung findet sich nicht in dem Entwurf des Strategiepapiers - aus Sicht der Pharmaindustrie zu Recht. "Es wäre sicherlich ethisch nicht vertretbar aufgrund von Umweltrisiken, ein Arzneimittel nicht zuzulassen oder dem Patienten eine Therapieoption jetzt vorzuenthalten", sagt Britta Ginnow.
Doch soweit würde es gar nicht kommen, entgegnet Martin Weyand. Niemandem würde ein wichtiges Medikament weggenommen. Als Beispiel für eine mögliche Maßnahme nennt er das Schmerzmittel Diclofenac. Dies ist seit einiger Zeit auch ohne Rezept zu bekommen und seitdem steigen dessen Verkaufszahlen. Gleichzeitig ist ein Mittel, das in der Umwelt nur schwer abzubauen ist, im Gegensatz zu einem ähnlichen Mittel: Ibuprofen.
Druck wächst
Weyand sagt, die Zeit dränge. Der Druck auf die Gewässer wachse. Denn die Menge der Arzneimittel, die verbraucht wird, steigt stetig. Der Grund dafür: Die Gesellschaft wird immer älter. Zudem nehmen auch jüngere Menschen mehr Medikamente ein als früher. Und über die Ausscheidungen gelangen Reste der Mittel in Gewässer und Böden.
Auch andere Verbände sowie die schwedische Regierung und das deutsche Umweltbundesamt haben sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass Umweltaspekte bei der Zulassung von Arzneimitteln stärker berücksichtigt werden. Aber diese - wie auch weitere konkrete Forderungen - werden offenbar nicht Teil der offiziellen EU-Strategie.
Umweltbundesamt reagiert enttäuscht auf Entwurf
Jutta Klasen vom Umweltbundesamt ist deshalb enttäuscht. Das Papier sei zwar eine "gut zusammengestellte Problemerkennung", und es seien auch durchaus Handlungsfelder aufgezeigt, wo man etwas tun müsste, sagt Klasen. "Aber es ist eben nicht benannt, wer was bis wann tun sollte und mit welchem konkreten Ziel. Das fehlt."