Zahlen zu Antiziganismus Mehr Übergriffe auf Sinti und Roma
Diskriminierung, Drohungen oder Gewalt: Die registrierte Zahl solcher Vorfälle gegen Sinti und Roma ist stark gestiegen. Das liegt zwar vor allem an besserer Erfassung. Dennoch verschärfen sich Probleme - auch mit der Polizei.
Beleidigungen, Drohungen, Vorurteile bei Behörden aber auch überzogene Polizeieinsätze sind Formen des Antiziganismus in Deutschland. Im vergangenen Jahr haben sich die registrierten Fälle verdoppelt, wie aus dem Jahresbericht 2023 hervorgeht. Er listet 1.233 Vorfälle auf, die sich gegen Roma und Sinti richteten. Im Jahr 2022 hatte die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) 621 Fälle registriert.
MIA führt die steigenden Zahlen allerdings in erster Linie auf den Aufbau des Meldesystems mit Anlaufstellen in inzwischen sechs Bundesländern zurück. Es werde gleichwohl nur ein Bruchteil der tatsächlichen Fälle erfasst, erklärte der MIA-Vorstandesvorsitzende Silas Kropf.
50 tätliche Übergriffe
Die Meldestelle ordnet die registrierten Vorfälle unterschiedlichen Kategorien zu. MIA erfasste zehn Fälle "extremer Gewalt". Hinzu kamen 40 Angriffe, 46 Bedrohungen und 27 Sachbeschädigungen. Kropf berichtete etwa, dass eine Grabstätte von Sinti und Roma mit Hakenkreuzen beschmiert worden sei. In Solingen habe es einen Fall von Brandstiftung gegeben. Antiziganistische Parolen etwa in Fußballstadien und Propaganda rechter Parteien stachelten Gewalt gegen Sinti und Roma an, sagte Kropf.
Bei der Mehrzahl der gemeldeten Fälle handelt es sich um Verunglimpfung, Ausgrenzung und Diskriminierung. So seien 600 Fälle "verbaler Stereotypisierung" erfasst worden, also herabwürdigende Äußerungen im Alltag. Kropf nannte als Beispiel den Satz, den eine Lehrerin bei der Anmeldung einer Romni zum Abitur gesagt haben soll: "Warum gibst du dir so viel Mühe, obwohl du sowieso nicht lange bleiben und wahrscheinlich in einem Monat heiraten wirst?"
Bei weiteren 502 gemeldeten Vorfällen ging es um Diskriminierung, und davon wiederum ein Viertel bei Behörden wie Sozial- oder Jugendämtern oder auch bei der Polizei. "In 83 der gemeldeten Vorfälle waren Polizeikräfte in unterschiedlicher Weise beteiligt", sagte Kropf. Eine deutliche Steigerung im Vergleich zu 34 Fällen 2022.
Polizei oft Ursache von Problemen
Der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, wies besonders auf die Probleme mit der Polizei hin - ein Schwerpunkt des zweiten MIA-Jahresberichtes. Bei drei von zehn dokumentierten Vorfällen extremer Gewalt handele es sich um Polizeieinsätze, sagte er. In einem Fall wurde laut Bericht in einem westdeutschen Flüchtlingsheim ein Polizeihund auf einen bereits in Handschellen am Boden liegenden Mann losgelassen. Der Hund habe mehrfach zugebissen, der Mann leide bis heute an den Verletzungen.
Dem Bericht zufolge glauben viele Polizistinnen und Polizisten weiterhin, dass Roma und Sinti generell zur Kriminalität neigten und begegneten selbst Opfern von Gewalt oder Diskriminierung mit einer allgemeinen Verdachtshaltung. So sei ein Vater, der rechtsradikale Sprüche in der Schule seines Sohnes anzeigen wollte, auf der Polizeidienststelle abgewiesen worden, mit den Worten: "Soll ich mal nachschauen, was du alles auf dem Kerbholz hast?" Es werde daher häufig berichtet, dass die Betroffenen polizeiliches Fehlverhalten nicht meldeten, weil sie kein Vertrauen in die Behörden hätten.
Paus fordert mehr Engagement gegen Diskriminierung
Daimagüler und der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, machten auch den Rechtsruck, das Schweigen der Politik zu den Übergriffen und den überkommenen Antiziganismus in den Behörden verantwortlich. Sie forderten, Antiziganismus müsse genauso bekämpft werden wie Antisemitismus.
Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus sagte, Antiziganismus sei trauriger Alltag für Sinti und Roma. Die Grünen-Politikerin verlangte von Gesellschaft und Behörden, sich gegen diese Diskriminierung genauso zu stellen wie gegen Antisemitismus und Rassismus.
Schätzungen zufolge leben in Deutschland bis zu 150.000 deutsche Sinti und Roma sowie etwa 100.000 zugewanderte Roma.