Interview

Interview mit Ströbele zum Fall al Masri "Menschenrechte galten nicht mehr"

Stand: 13.12.2012 16:34 Uhr

Khaled al Masri hat Recht bekommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht von Folter und schweren Verstöße gegen die Menschenrechte. Der Grünen-Politiker Ströbele begrüßt im Interview mit tagesschau.de das Urteil. Er fordert eine offizielle Entschuldigung der USA und spricht von einer Mitverantwortung Deutschlands.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?

Hans-Christian Ströbele: Die Richter haben eine ganz klare Sprache gesprochen. Sie nennen es Folter und unmenschlicher Behandlung. Wir haben es damals im Untersuchungsausschuss zu dem Fall übrigens genau so gebrandmarkt. Es war eine durch nichts zu rechtfertigende Behandlung eines deutschen Staatsbürgers, der sich ja nichts anderes zu Schulden hat kommen lassen, als damals nach Mazedonien einzureisen und dann, offenbar aufgrund einer Verwechslung, festgenommen wurde. 

Mit diesem Urteil holt uns - die USA, Mazedonien und auch Deutschland - die Vergangenheit ein. Es ist eine große Schande, wie diese drei Länder mit Khaled al Masri umgegangen sind. Er wurde in Mazedonien durch die CIA gefoltert und später dann noch einmal fast ein halbes Jahr in Afghanistan. Mazedonien hat ihn an den amerikanischen Geheimdienst ausgeliefert und war an seiner Misshandlung in Skopje beteiligt.

Zur Person
Hans-Christian Ströbele ist Abgeordneter im Bundestag für Bündnis 90/ Die Grünen und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Rechtsausschuss sowie im Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste. Er besuchte Snowden letztes Jahr in Moskau.

tagesschau.de: Und wo liegt eine deutsche Mitverantwortung?

Ströbele: Die rot-grüne Bundesregierung, so muss ich leider sagen, hat al Marsi nach seiner Rückkehr nach Deutschland damals nicht zur Seite gestanden. Im Gegenteil: Sie hat zugelassen, dass anderthalb Jahre lange niemand den Erzählungen al Masris Glauben schenkte. Dabei wusste die Bundesregierung es besser. Schon bevor al Masri zurück nach Deutschland kam, war Innenminister Schily durch den US- Botschafter und einen Geheimdienstmann von dem Fall informiert worden. Dieses Wissen hat die Regierung für sich behalten und al Masri wie einen Deppen durch Deutschland laufen lassen. Niemand wollte ihm glauben, bis die Staatsanwaltschaft durch ein Gutachten eine Bestätigung fand und dann die Sache aufgeflogen ist.

"In der Hysterie nach dem 11. September war Recht nicht mehr Recht"

tagesschau.de: Warum hat sich die Bundesregierung damals so verhalten?

Ströbele: Das ist für mich bis heute unbegreiflich. Offenbar wurde dem US-Botschafter Vertraulichkeit zugesichert. Und man hat dabei vernachlässigt, dass da einem unschuldigen deutschen Staatsbürger schwerstes Unrecht geschehen war. Der ganze Fall ist nur zu erklären mit der Hysterie, die damals nach den Anschlägen vom 11. September 2001 herrschte. Da war Recht nicht mehr Recht - Menschenrechte galten nicht mehr. In der Verfolgung und Behandlung vermeintlicher oder tatsächlich Beteiligter hat man jedes Maß verloren und die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit völlig außer Acht gelassen.

tagesschau.de: Es wurde ja immer wieder spekuliert, ob die Festnahme al Masris auch durch die Weitergabe deutscher Geheimdienstinformationen erfolgte. Deutet das damalige Verhalten der Bundesregierung auf eine Verstrickung deutscher Geheimdienstbehörden?

Ströbele: Ob die Festnahme al  Masris durch Informationen aus Deutschland gefördert oder gar veranlasst wurde, haben wir im Untersuchungsausschuss damals nicht mit letzter Sicherheit feststellen können. Wir wissen aber, dass in der Folterhaft in Kabul auch ein Deutsch sprechender Mann an der Seite der CIA-Vernehmer aufgetreten ist. Wir haben bis zuletzt  leider nicht klären können, wer dieser  Mann war. Die Frage der Verstrickung deutscher Behörden ist noch nicht restlos geklärt.

"Die USA müssen sich auf höchster Ebene bei al Masri entschuldigen"

tagesschau.de:  Sind denn 60.000 Euro Schmerzensgeld angesichts der Schwere und Länge der Folter verhältnismäßig?

Ströbele: Das ist ein symbolischer Betrag. Wichtig ist, dass die Richter von Folter und unmenschlicher Behandlung sprechen. Das Schmerzensgeld ist darüber hinaus eine materielle Anerkennung dessen, was al Masri zugefügt wurde. Aber natürlich kann dieser Geldbetrag das menschliche Leid nicht aufwiegen. Dieses Urteil richtet sich ja nur gegen mazedonische Behörden, die al Masri festgenommen und ausgeliefert haben und an der Misshandlung in Skopje beteiligt waren. Wenn es in den USA zu einem Entschädigungsverfahren gekommen wäre, dann wären das natürlich ganz andere Beträge gewesen.

tagesschau.de:  Warum werden die USA in diesem Urteil nicht in die Pflicht genommen?

Ströbele: Das Europäische Gericht hält sich wohl in Bezug auf die USA nicht für zuständig. Al Masri hatte ja versucht, in den USA die Schuld der CIA durchzusetzen und Schadenersatz zu bekommen. Das wurde abgewiesen, wohl weil in den USA die Interessen des Geheimdienstes über die des Opfers gestellt wurden. Ich kann der  CIA und der US-Regierung jetzt nur raten, das Urteil ernst zu nehmen und endlich das zu tun, was sie schon lange hätten tun müssen und sich ganz öffentlich und von höchster Ebene aus bei al Masri zu entschuldigen und ihm auch in den USA einen Schadensersatz zu gewähren.

"Dieser Mann war auch nach Jahren gravierend traumatisiert"

tagesschau.de:  Al Masri hatte nach seiner Rückkehr nach Deutschland Kontakte zur extremistischen Szene. Und er hat eine ganze Serie von Straftaten begangen, weshalb er derzeit inhaftiert ist. Sein Anwalt begründete die späteren Straftaten mit der schweren Traumatisierung seines Mandanten. Muss dieses Verfahren jetzt nicht neu aufgerollt werden?

Ströbele: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich an dem Prozess nicht beteiligt war. Ich kann nur sagen, wie ich al Masri damals im Untersuchungsausschuss erlebt habe.  Dieser Mann war auch Jahre nach seiner Rückkehr aus der Folterkammer von Kabul noch zutiefst erschüttert, gravierend traumatisiert  und desorientiert. Inwieweit seine späteren Straftaten mit diesen grausigen Erfahrungen in Zusammenhang stehen, das müssen die Mediziner beurteilen. Es wäre gut, wenn der Fall auf Grundlage des heutigen Urteils noch einmal neu bewertet würde.

Das Gespräch führte Simone von Stosch, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 13. November 2012 um 12:00 Uhr.