Ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr Zurückgelassen in Afghanistan
Vor einem Jahr eroberten die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul. Tausende hofften auf eine Evakuierung. Doch viele blieben zurück - auch ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr.
222 Tage war Marcus Grotian als Bundeswehr-Offizier im Afghanistan-Einsatz, die meiste Zeit in Kundus. Schon am zweiten Tag seines Aufenthalts gab es einen versuchten Bombenanschlag auf den Lagerkommandanten. "Der ist 400, 500 Meter Luftlinie von mir gewesen und ich sah die Detonation. Auch ins Gedächtnis gebrannt hat sich mir ein Raketenbeschuss, wo ich die Rakete noch an uns habe vorbeifliegen sehen."
Mehr als zehn Jahre ist das her, aber die Kriegsbilder gehen ihm nicht aus dem Kopf. Im Rückblick sagt Grotian: Ohne die afghanischen Ortskräfte wäre die Aufgabe der Bundeswehr nicht erfüllbar gewesen.
Sie wurden als Übersetzer gebraucht, aber auch als Wachleute oder Küchenhilfen. So ging das über viele Jahre - bis zum hastigen Abzug im vergangenen Sommer. Immer noch sitzen Tausende frühere Helfer in Afghanistan fest, und ihre Lage schätzt Grotian nach wie vor als bedrohlich ein. "Man sagt ab und zu: 'Das ist ja gar nicht so, dass die Leute da alle umgebracht wurden.' Aber die, die umgebracht wurden - die melden sich auch nicht mehr bei mir."
"Es wurde zu spät evakuiert"
Der 45-Jährige ist inzwischen bei der Bundeswehr beurlaubt und konzentriert sich auf seine Aufgabe beim "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte". Er ist Vorsitzender des Vereins, der über soziale Netzwerke den Kontakt zu Betroffenen hält und ihnen dabei hilft, sich in Sicherheit zu bringen. Meist geht es über den Landweg in den Iran oder nach Pakistan und dann von dort aus weiter nach Deutschland. 334 Menschen hat der Verein bisher aus Afghanistan geholt, sagt Grotian.
Und die Bundesregierung? Kritiker werfen ihr vor, die Ortskräfte im Stich zu lassen. Doch der Grünen-Abgeordnete Robin Wagener verweist auf Fehler, die die Vorgänger-Regierung zu verantworten habe. "Es wurde zu spät evakuiert und deswegen sind Menschen gestorben."
Tausende warten immer noch auf Ausreise
Dagegen sei es der neuen Bundesregierung gelungen, viele Betroffene aus dem Land zu holen. Wie es aus dem Auswärtigen Amt heißt, haben es bisher mehr als 23.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland geschafft: Ortskräfte, andere Schutzbedürftige und enge Angehörige. Das seien knapp dreiviertel aller, die eine Aufnahmezusage bekommen hätten. Aber: Aktuell warten noch mehr als 9000 Menschen mit so einer Zusage darauf, Afghanistan zu verlassen.
Dass es mit den Ausreisen nicht so vorangeht wie erhofft, führt das Auswärtige Amt auf die Taliban zurück. Die Islamisten würden Menschen ohne Pass zurzeit daran hindern, das Land zu verlassen. Pässe würden in Afghanistan aber kaum noch ausgestellt.
Konzept gefordert
Aus Sicht von Unionsfraktionsvize Johann Wadephul ist es nicht akzeptabel, dass immer noch so viele Ortskräfte am Hindukusch festsitzen:"Ich glaube, dass die Taliban auf Druck reagieren. Aber der Druck muss auch ausgeübt werden." Die Bundesregierung führt dazu Gespräche mit den Machthabern in Kabul. Bisher allerdings ohne greifbares Ergebnis.
Marcus Grotian vom Patenschaftsnetzwerk fordert ein Konzept dafür, wie Deutschland generell mit Ortskräften umgehen will. Auch mit Blick auf die schwierige Lage in Mali.