Rechte für Geimpfte "Gerichte könnten das vor der Politik lösen"
Mehr Freiheiten für Geimpfte - zu diesem umstrittenen Thema blieben die Beschlüsse des Impfgipfels vage. Das könnte dazu führen, dass Gerichte der Politik in dieser Sache zuvorkommen, erklärt ARD-Rechtsexperte Bräutigam.
tagesschau24: Mehr Rechte für Geimpfte - liegt das im Ermessen der Politik. Oder steht sie auch rechtlich unter Druck?
Frank Bräutigam: Es liegt nicht im freien Ermessen, und die Politik steht auch nach dem Impfgipfel weiter unter Druck. Denn sehr konkret bezüglich dieses Punktes - hebt man Beschränkungen für Geimpfte wieder auf - war das nicht, was da auf der abschließenden Pressekonferenz gesagt wurde. Um das noch mal ein wenig aufzudröseln: Wenn der Staat Grundrechte einschränkt - also sagt, ihr dürft euch nicht mehr mit bestimmten Leuten treffen - braucht man dafür einen guten Grund. Und wenn von geimpften Personen keine Gefahr mehr ausgeht, dann fällt dieser Grund weg. Dann ist also das Argument des Staates nicht mehr da.
Nehmen wir als Beispiel ein Alten- oder Pflegeheim, in dem alle Menschen geimpft sind, auch die Pflegerinnen und Pfleger. Dürfen die sich dann wieder in der Cafeteria treffen? Da sagen fast alle Juristinnen und Juristen: Ja, das dürfen die schon jetzt. Es gibt keinen Grund mehr, deren Rechte einzuschränken. Wenn ich das aber mit der Pressekonferenz vergleiche: Da wurde betont, es ist ein wichtiges Thema, man sieht die Grundrechte der Menschen, aber es wurde auch kontrovers diskutiert. Vielleicht löse man das bis Ende Mai, hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller gesagt. Aber der Grund für die Einschränkungen ist schon jetzt weggefallen. Deswegen glaube ich, wenn die Politik sich mit diesem Thema und der konkreten Lösung zu lange Zeit lässt, dann werden das die Gerichte zeitnah und vor der Politik lösen.
tagesschau24: Wenn Geimpfte aber mehr dürfen als nicht Geimpfte, ist das nicht ungerecht? Sorgt das nicht für eine gesellschaftliche Schieflage?
Bräutigam: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, und den darf man auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Natürlich kann man hier diskutieren. Jeder muss sich auch seine eigene Meinung bilden, was zum Beispiel der Begriff Solidarität in so einer Situation bedeutet. Sagen vielleicht die geimpften Personen: Ich bin so solidarisch mit den anderen und warte noch, bevor ich meine Freiheiten wieder ausüben darf. Oder sagen die, die noch ein bisschen länger auf die Impfung warten müssen: Ich gönne es den Geimpften, dass sie früher wieder nach draußen können. Da kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Rein rechtlich aber zu sagen: Aus Gerechtigkeitsgründen dürfen alle gleich wenig - das ist aus meiner Sicht rechtlich schwer zu begründen. Insofern ist das kein Gegenargument. Aber dass das natürlich in einer Gesellschaft für Diskussionen sorgt und streitig diskutiert wird, das ist völlig normal und auch richtig.
tagesschau24: Wie ist das mit alltäglichen Einschränkungen, wie Maskenpflicht in Unternehmen? Kann man das dann allen zumuten?
Bräutigam: Also da ist meine Prognose, dass man die weiterhin auch der gesamten Gesellschaft zumuten kann - auch rechtlich. Das hat ganz konkrete Gründe. Die hängen auch mit der Kontrolle zusammen. Denn es ist natürlich schwierig in der Straßenbahn oder auf einem öffentlichen Platz - wenn da jemand keine Maske mehr anhat - sofort sehen zu können: Ist der jetzt geimpft oder nicht? Da kommen schon relativ praktische Schwierigkeiten auf einen zu. Genauso wie Abstand zu halten. Das könnte zumutbar sein, wenn wir es mit anderen, sehr harten Einschränkungen vergleichen. Ich kann mir also vorstellen, dass diese einfachen Alltagseinschränkungen noch relativ lange gelten werden - auch für Geimpfte. Für andere Kontaktbeschränkungen, Quarantäne usw. ist eigentlich die rechtliche Pflicht, die möglichst schnell wieder aufzulösen.
Das Interview führte Kirsten Gerhard, tagesschau24