Interview zu den Razzien bei Hells Angels und Bandidos in Berlin "Streng hierarchisch und strikt militärisch"
Trotz vieler Razzien bleiben die Machenschaften der Hells Angels und Bandidos weitgehend im Dunkeln. Wie gefährlich sind die Rocker? Was ist ihr Ehrenkodex? Der Journalist Stefan Schölermann schildert gegenüber tagesschau.de das abgeschottete, männerbündische Milieu und sagt: "Den Banden geht es vor allem ums Geschäft."
tagesschau.de: Wie überraschend kam für Sie diese Berliner Großrazzia gegen die Bandidos?
Stefan Schölermann: Der Einsatz kam nicht unerwartet, da es in der vergangenen Woche im Berliner Raum Einsätze gegen die Hells Angels gab. Klar war, dass nun auch die andere der beiden Rockerbanden im Visier der Ermittler ist.
Stefan Schölermann ist Redakteur bei NDRInfo. Der Journalist beschäftigt sich seit langem mit dem Rocker-Milieu und dem Rechtsextremismus. Schölermann hat dazu unter anderem das Buch "Rechtsabbieger. Die unterschätzte Gefahr: Neonazis in Niedersachsen" veröffentlicht.
tagesschau.de: Bandidos und Hells Angels bekriegen sich seit Jahren. Wo sind die Gemeinsamkeiten der Rockerclubs?
Schölermann: Die Hells Angels sind die größere und mächtigere Organisation. Und sie sind auch älter als die Bandidos. Es gibt zwischen beiden eine permanente Konkurrenzsituation, dennoch sind Wertesystem und Organisationsstruktur sehr ähnlich. Sie sind männerbündisch organisiert, und dieser Bund gilt fürs Leben.
"Das Gewaltgehabe der Rocker ist nicht zu übersehen"
tagesschau.de: Wie gefährlich sind die Rockerclubs?
Schölermann: Sie werden bei den Landeskriminalämtern von den Spezialeinheiten für Organisierte Kriminalität observiert - von Spezialisten also, die abgeschottet agieren. Das lässt darauf schließen, dass die Ermittler das Gefahrenpotential als sehr groß einschätzen. Bei Rockerveranstaltungen stehen Beamte mit Maschinenpistolen. Zwar sagen die Rockerclubs, das seien überzogene Maßnahmen, die der Diskriminierung dienen, aber das Gewaltgehabe der Rocker ist nicht zu übersehen.
tagesschau.de: Leben die Rockerbanden in einer kriminellen Parallelgesellschaft?
Schölermann: Die Mitglieder führen ihr Clubleben streng abgeschottet. Man gibt sich ganz bewusst antibürgerlich und vermeidet jeden Kontakt mit der Polizei. Die Rocker pflegen einen gemeinsamen Ehrenkodex und strikte Statuten. Mutmaßlich geht es innerhalb dieses Rahmens nicht nur um Motoradfahren und Feste.
Es gibt viele Verbindungen einzelner Mitglieder ins Rotlichtmilieu. Nehmen wir zum Beispiel Frank Hanebuth, Chef des wohl einflussreichsten Verbandes der Hells Angels in Hannover. Er ließ sich ablichten vor einem Hamburger Großbordell - die Bildüberschrift lautete: "Der Kiez braucht uns." Dennoch konnten ihm laut Polizeidirektion Hannover seit Jahren keine Straftaten nachgewiesen werden.
tagesschau.de: Das erinnert an Mafiastrukturen - ist der Vergleich passend?
Schölermann: Eines haben beide Organisationen gemeinsam: Es gilt das strikte Schweigegelübde. Das heißt: keine Aussagen vor Gericht, keine Angaben gegenüber der Polizei. Sie leben also nach ihren eigenen Gesetzen.
"Fälle, in denen Beamte Sympathien für das Rocker-Dasein hegen"
tagesschau.de: Andererseits scheint es aber Verbindungen zwischen Polizei und den Rockern zu geben. Der Präsident der "Bandidos des Este" in Henningsdorf bei Berlin ist ehemaliger Polizist. Immer wieder sickern vor Razzien Informationen an die Rockerclubs durch - sie werden gewarnt. Wie sind die Verbindungen zwischen Polizei und Rockerclubs?
Schölermann: Zumindest in den Statuten der Hells Angels steht ausdrücklich, dass kein Polizeibeamter aufgenommen wird. Dennoch mag es Fälle geben, in denen Beamte Sympathie hegen für das Rocker-Dasein. Ich war sehr erschrocken, als im Zuge der Ermittlungen in Kiel gegen die Hells Angels auch ein Polizist aufflog, der im Verdacht steht, den Rockern dienstbar gewesen zu sein. Außerdem wird gegen einen Beamten einer Justizvollzugsanstalt ermittelt, weil er Handys an Haftinsassen der Hells Angels verkauft haben soll. Es geht also um Korruption, und es zeigt auch, dass die Rockerbanden nicht mehr nur eine gesellschaftliche Randerscheinung sind, sondern ihr Milieu bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht.
tagesschau.de: Den Bandidos und Hells Angels wird immer wieder ihre Nähe zu den Rechtsextremisten vorgeworfen. ist der Vorwurf berechtigt?
Schölermann: Es mag - gerade im Osten der Republik- personelle Überschneidungen geben: Da sind auch schon mal Leute von einem Lager ins andere gewechselt. Die Milieus ähneln sich ja auch: das Macho-Gehabe, die streng hierarchische Ausrichtung. Andererseits versuchen die Rockerclubs sich demonstrativ abzugrenzen, denn die Rechtsextremisten sind schlecht fürs Geschäft. Sie stehen unter Beobachtung, damit wollen die Rocker nichts zu tun haben. Erklärtes Ziel der Rocker ist, unpolitisch zu sein. Man darf auch nicht vergessen, dass in diesen Clubs viele Nationen vertreten sind. Auch das passt nicht zur rechtsextremistischen Ideologie.
Von ehemaligen Soldaten gegründet und militärisch organisiert
tagesschau.de: Was ist der Ehrenkodex der Rocker?
Schölermann: Die offiziellen Werte sind Kameradschaft, Loyalität, Respekt. Aussteiger sagen etwas anderes: Der Höhere profitiere von den Mitgliedern unter ihm. Es gehe im Wesentlichen ums Geschäft. Und natürlich geht es um ein sehr martialisches Heldenbild. Dann wird deutlich über das Outfit nach außen getragen. Es soll einschüchternd wirken - auch als eine Art Drohgebärde im kriminellen Milieu.
Die Hells Angels wurden in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg von US-Soldaten gegründet. Der Name stammt von einer US-amerikanischen Bomberstaffel. Die Organisation ist streng hierarchisch und strikt militärisch mit Dienstgraden und Abzeichen. Ähnliches gilt für die Bandidos: Sie sind zwei Jahrzehnte später von Vietnam-Veteranen gegründet worden.
tagesschau.de: Wie halten es die Rocker mit den Frauen - gibt es auch weibliche Mitglieder?
Schölermann: Frauen sind als Mitglieder strikt nicht erlaubt - auf Festen aber sehr gewünscht. Dort stehen sie dann für Stripveranstaltungen auf der Bühne zur Verfügung. Man kann trefflich darüber spekulieren, ob das weibliche Bühnenpersonal aus dem Rotlichtmilieu kommt. Viele Rocker sind übrigens verheiratet und führen eine ganz normale Ehe und ein Leben in der Mitte der Gesellschaft.
"Verbote sind vor Gericht sehr schwer durchzusetzen"
tagesschau.de: In Berlin wurde die einflussreichste Gruppe der Hells Angels jetzt verboten. Ist das der richtige Weg?
Schölermann: Die Frage ist, ob so ein Verbot vor Gericht Bestand haben wird. Können die Ermittler also nachweisen, dass nicht nicht Einzelpersonen Straftaten begehen, sondern der Club darauf ausgelegt ist, Straftaten auszuführen - ob es sich also um Organisierte Kriminalität handelt. Das vor Gericht zu beweisen, ist bisher selten gelungen.
tagesschau.de: Wie kann man sonst noch gegen die Rockerclubs vorgehen?
Schölermann: Wichtig ist, die Strukturen schon im Entstehen zu bekämpfen und ganz klar zu machen, dass man den Rockerclubs ganz genau auf die Finger schaut. Dass also nicht der Fall eintritt, wie wir ihn in Hannover erlebt haben, dass die Hells Angels über Jahre relativ unbehelligt das Rotlichtmilieu kontrolliert haben. Die Ermittlungsbehörden müssen den Einfluss der Rockerclubs mit Macht zurückdrängen. Leider wird dies nicht immer konsequent umgesetzt.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.