Angebliche Folge der mRNA-Impfung Kein "Turbokrebs"-Notstand in Japan
Weder erklärt Japan wegen ansteigender Krebsmortalitätsraten den Gesundheitsnotstand, noch hat eine Studie nachgewiesen, dass die mRNA-Impfung gegen Covid-19 der Auslöser des Anstiegs ist. Beides kursiert unter Verschwörungsanhängern.
Es ist eine Behauptung, die seit mehreren Jahren immer wieder in der Verschwörungsmythiker-Szene kursiert: Impfungen gegen das Coronavirus, insbesondere durch die mRNA-Variante, lösen einen "Turbokrebs" aus. Mal soll die Anzahl der Krebserkrankungen gestiegen sein, mal der Anteil der Erkrankten, die durch den Krebs sterben.
"Notstand" frei erfunden
Nun belegt angeblich eine japanische Studie einen solchen Zusammenhang. Sie soll die Regierung des Landes dazu veranlasst haben, einen Gesundheitsnotstand auszurufen. Diese Behauptungen sind gleich in mehrerlei Hinsicht falsch: So hat die japanische Regierung zu keinem Zeitpunkt einen Gesundheitsnotstand wegen Krebsfällen ausgerufen. Das bestätigte die japanische Botschaft in Berlin gegenüber dem ARD-Faktenfinder.
Zudem stellen noch nicht einmal die Autorin der angegebenen japanische Studie die Behauptung auf, dass die mRNA-Impfung "Turbokrebs" auslöse - ein angebliches Phänomen, das wissenschaftlich nicht definiert und von seriösen Forschern nicht verwendet wird.
Studie bestätigt eigenen Titel nicht
Laut der von der Kinderärztin Miki Gibo geleiteten Studie "Erhöhte altersbereinigte Krebssterblichkeit nach der dritten mRNA-Lipid-Nanopartikel-Impfstoffdosis während der Covid-19-Pandemie in Japan" wurden 2022 "nach der Massenimpfung mit der dritten Dosis" signifikant erhöhte Sterblichkeitsraten beobachtet.
Allerdings erfüllt die Studie nicht, was ihr Titel verspricht: Tatsächlich blieb die Zahl der Krebstoten praktisch stabil. Während bei anderen Krebsarten die Mortalität zurückging, war sie bei Eierstockkrebs, Leukämie, Prostatakrebs, Lippen-, Oral-, Rachen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie Brustkrebs erhöht.
Andere Faktoren ausgeblendet
Die Autoren weisen insbesondere auf die höhere Todesrate bei Brustkrebs hin. Sie geben jedoch zu, dass die Zahl nach einem deutlichen Rückgang in den ersten Pandemie-Jahren wieder auf den Vor-Pandemie-Niveau lag. Trotzdem führen sie die Zahl als Indiz zur Unterstützung ihrer These an.
Die Deutsche Krebsgesellschaft weist auf Anfrage des ARD-Faktenfinders darauf hin, dass im Verlauf der Pandemie Krebsvorsorgeuntersuchungen ausgesetzt oder aufgeschoben wurden. Die langfristigen Folgen verspäteter oder ausgesetzter Untersuchungen könnten aktuell noch nicht beziffert werden, da die Zahlen zur Mortalität oder zur Diagnostik fortgeschrittener Erkrankungen sich erst viel später in den Krebsregistern zeigten.
Problematische Methode
Die Studie hat zudem gleich mehrere methodische Probleme: So gibt es keine Kontrollgruppe, wie sie bei medizinischen Untersuchungen eigentlich notwendig ist. Sie beruht zudem nicht auf eigenen Erhebungen, sondern auf öffentlich verfügbaren Statistiken, die keine Daten zum Impfstatus der Verstorbenen enthielten.
Dies sollte den Nachweis eines kausalen Zusammenhangs allein schon verbieten - insbesondere in Japan, wo nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung dreimal geimpft wurde und dabei auch andere Impfstoffe als die mRNA-Vakzine verwendet wurden.
Thesen teils nicht begründet
Trotzdem behaupten die Autoren, dass der Anstieg der Sterblichkeitsraten eher auf die mRNA-Impfung als auf die Covid-19-Infektion selbst, das Aussetzen von Vorsorgeuntersuchungen oder eine schlechtere Versorgung von Krebspatienten aufgrund des Lockdowns zurückzuführen sei - ohne dies jedoch wirklich zu begründen. Allerdings geben sie zu: "Es sind weitere analytische statistische Untersuchungen nach Impfstatus erforderlich."
In Deutschland wurde bisher keine steigende Mortalität bei bestimmten Krebsarten beobachtet. Hierfür gebe es keine Hinweise, erklärte Sibylle Kohlstädt vom Deutschen Krebsforschungszentrum dem ARD-Faktenfinder.