Angebliche Doppelgänger Wie viele Putins gibt es wirklich?
Das Gerücht gibt es schon seit Jahren: Russland Präsident Putin soll Doppelgänger seine öffentliche Auftritte wahrnehmen lassen. Zuletzt sollten "Super-Recognizer" verdächtige Bilder untersuchen. Auch sie konnten keine Beweise liefern.
Ob bei einem angeblichen Besuch der russischen Truppen in Cherson, beim Treffen mit Studenten in einer Universität oder bei der Trauerfeier für einen verstorbenen Politiker - immer wieder wird behauptet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin durch einen Double ersetzt worden sei. Mal soll es aufgrund gesundheitlicher Probleme sein, mal aus Angst vor Anschlägen oder Infektionen.
Mehrere Indizien für Doppelgänger-Auftritte
Die angeblichen Indizien: Unsicherheit, angeblich veränderte Gesichtsformen, eigenartige Gesten, Änderungen im Verhalten. So gab es Bilder, die Putin, der selbst bei Staatsbesuchen auf physische Distanz bedacht ist, beim Bad in der Menge zeigen.
Auch aus der ukrainischen Regierung kamen immer wieder entsprechende Behauptungen. So sagte Kyrylo Budanow, der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Putin sei schwer erkrankt und habe nicht weniger als drei Doppelgänger, deren Gesichter chirurgisch an sein äußeres Erscheinungsbild angepasst wurden. Der ukrainische Präsident Selenskyj erklärte im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos, er sei sich nicht sicher, ob der auf den Bildschirmen gezeigte Mann wirklich Putin sei.
"Super-Recognizer" sehen Double im Einsatz
Nun ließ die "Neue Zürcher Zeitung" zusammen mit Neurowissenschaftlern an der Uni Lausanne sogenannte "Super-Recognizer" umstrittene Putin-Bilder begutachten. Diese haben eine besondere Begabung, sich Gesichter zu merken und sie auch dann wiederzuerkennen, wenn sich diese stark verändert haben, zum Beispiel durch Alterung oder Schminke.
Bei dem Versuch, der ausdrücklich nicht als wissenschaftliche Untersuchung konzipiert wurde, sah die Mehrheit der "Super-Recognizer" bei mehreren Anlässen Doppelgänger am Werk: bei einem Besuch Putins in Dagestan sowie bei seinen Reisen nach Cherson und Mariupol in der Ukraine.
Bei einem Video aus dem August 2023, das angeblich zeigt, wie ein Doppelgänger vergeblich seine Uhr am linken Handgelenk sucht, während Putin seine am rechten Arm trägt, glauben die "Super-Recognizer" nicht an den Einsatz eines Doubles. Allerdings zeigte auch schon eine vorherige Szene, dass er seine Uhr abgelegt hatte und deshalb nicht finden konnte.
In Mariupol soll ein Doppelgänger als Putin aufgetreten sein.
Kreml weist Behauptungen zurück
Vom Kreml wurden entsprechende Behauptungen immer wieder dementiert. Putin selbst hatte 2020 erklärt, dass der Einsatz von Doppelgängern aus Sicherheitsgründen erwogen worden sei, er die Idee jedoch abgelehnt habe. "Putin - haben wir einen", erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow.
Beweise für den Einsatz von Putin-Doubles hat es bis heute nicht gegeben. Dieses ist auch schwierig, weil es gerade von Auftritten, bei denen Putins Identität infrage gestellt wurde, oft nur ausschließlich offizielle Aufnahmen und keine Bilder aus neutraler dritter Quelle gab. Oft waren diese auch von geringer Auflösung und Qualität, wie bei Putins angeblichem Truppenbesuch in Cherson.
Anthropologe zweifelt an "Super-Recognizer"-Ergebnissen
Prinzipiell kann man mit morphologischen Merkmalsdifferenzen eine Nichtidentität durchaus wissenschaftlich belegen. Die Methode findet in Deutschland auch in Strafverfahren Anwendung.
Der forensische Anthropologe Wolfgang Huckenbeck hat für den ARD-faktenfinder Foto- und Videomaterial von mehreren Auftritten Putins gesichtet, bei denen dessen Identität in Zweifel gezogen wurde. Konkret ging es dabei um Putins Besuche in Cherson, Derbent und Mariupol sowie einen Auftritt an der Moskauer Lomonossow-Universität. "Ich sehe überall nur Putin, Differenzen sind nicht erkennbar", erklärte Huckenbeck zu den Aufnahmen.
Beim forensischen Lichtbildvergleich werden Merkmale des Gesichts oder auch der Hände untersucht. Hierzu gehören Kopf- und Gesichtsform, Gesichtsproportionen sowie Haaransatz, Stirn-, Augen-, Nasen-, Mund-, Kinn-, Unterkiefer-, Wangen-, Ohrregion und Hals.
Dabei wird deren Erkennbarkeit eingeschätzt und deren Bevölkerungshäufigkeit eingegrenzt, um sie dann mit Merkmalen auf dem Bild eines Betroffenen zu vergleichen. Ebenso werden mögliche Veränderungen berücksichtigt, wie sie zum Beispiel durch Alterung, Krankheiten, Gewichtsveränderung, plastische Chirurgie, Verletzungen und Frisur entstehen können.
Der Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der eine Identität festgestellt werden kann, hängt stark von der Qualität des Bildmaterials und damit der Anzahl der feststellbaren Merkmale ab. Um eine Identität ausschließen zu können, genügt ein gut erkennbarer Widerspruch. Auch in dem Fall muss man jedoch prüfen, ob sich dieser durch Faktoren wie Belichtung, Bildqualität, Kontrastverhältnisse, Verdeckungen und Artefakte, erklären lässt. Eine absolut positive Identitätsfeststellung ist nur in den seltensten Fällen möglich.
Den Einsatz von "Super-Recognizern" zum Fotovergleich sieht Huckenbeck kritisch. "Diese sind das positive Gegenstück zu genetisch bedingten 'Gesichtsblinden', die sich Gesichter einfach nicht merken können", so der Anthropologe.
Sie seien ausgezeichnet für Videoauswertungen mit vielen Personen geeignet, zum Beispiel bei Demonstrationen und Fußballpublikum, da sie sich Gesichter hervorragend merken können. Daher werden Personen mit diesen Fähigkeiten innerhalb der Polizei gesucht. "Es ist ein reines Wiedererkennen, mit Bild-zu-Bild-Vergleich haben deren Fähigkeiten nichts zu tun."