Rettungskräfte versorgen Menschen auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg.
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Weihnachtsmarkt in Magdeburg Rechtsextreme Desinformation über Anschlag

Stand: 21.12.2024 12:31 Uhr

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg haben Rechtsextreme in den sozialen Netzwerken zahlreiche Falschbehauptungen verbreitet. Auch internationale Akteure mischten dabei mit.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Fünf Täter, eine angeblich auf dem Weihnachtsmarkt deponierte Bombe, und vermeintlich 34 Tote: All diese Behauptungen wurden bereits kurz nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg in den sozialen Netzwerken verbreitet. Und alle sind nach jetzigem Stand der Ermittlungen falsch.

Allen voran von rechtsextremen Kreisen aus wurde schnell versucht, die Tat politisch zu nutzen und die Stimmung durch Falschbehauptungen zu befeuern. Ganz vorne mit dabei der rechtsextreme Österreicher Martin Sellner, der unter anderem in seinem Telegramkanal zahlreiche Posts zu Magdeburg verfasste, noch bevor überhaupt Informationen von offiziellen Stellen veröffentlicht worden sind.

Falsche Angaben zur Herkunft des Täters

Sellner und auch viele weitere Akteure aus dem rechten Spektrum behaupteten beispielsweise direkt nach der Tat, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Syrer gehandelt habe. Von einigen Accounts wurde dabei das Bild gezeichnet, dass es sich um einen Geflüchteten gehandelt habe, der im Zuge der Asylkrise 2015/16 nach Deutschland gekommen sei. Auch reichweitenstarke Kanäle aus dem Ausland mit rechter Agenda übernahmen dieses falsche Narrativ, um gegen den Islam und die Politik der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel zu hetzen.

Dabei gab die Polizei gestern Abend bekannt, dass es sich bei dem festgenommenen Tatverdächtigen um einen 50-jährigen Mann handelt, der aus Saudi-Arabien stammt und 2006 nach Deutschland kam. In Sachsen-Anhalt soll er zuletzt als Arzt im Fachbereich der Psychotherapie gearbeitet haben.

Nach bisherigen Erkenntnissen sei er den Behörden nicht als Islamist bekannt gewesen. Seit 2016 hat er den Asylstatus als politischer Flüchtling. Nach eigenen Angaben soll er sich bereits Ende der 1990er-Jahre vom Islam losgesagt haben und gilt als Oppositioneller zum saudi-arabischen Königshaus.

Auf dem mutmaßlichen X-Account des Tatverdächtigen sind sowohl islamfeindliche Inhalte zu finden als auch Posts, die sich explizit gegen Merkel und ihre Asylpolitik wenden. "Merkel müsste den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen als Bestrafung für ihr kriminelles Geheimprojekt, Europa zu islamisieren", heißt es in einem Post von ihm.

Ängste schüren mit Falschbehauptungen

Sellner und Co. verbreiteten zudem auch weitere alarmierende Inhalte, demzufolge es sich nicht bloß um einen Täter gehandelt habe. So teilte er unter anderem eine Grafik, in der es heißt, dass es fünf Täter gegeben habe, wovon drei noch auf der Flucht seien. "Es ist wohl noch mehr geplant", heißt es dort, um Ängste zu schüren. Zudem ist von einer Bombe die Rede, welche auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg platziert worden sei. All das widerspricht den offiziellen Erkenntnissen.

Nach Angaben von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff handelte sich nach jetzigem Ermittlungsstand um einen Einzeltäter. Für die Stadt gehe nach aktuellem Ermessen keine weitere Gefahr aus.

Übertreibung der Opferzahlen

Ebenfalls bereits kurz nach Bekanntwerden der Tat überboten sich die Akteure mit den Angaben zu den getöteten Menschen. So verbreitete auch ein AfD-Abgeordneter noch am Abend, dass es elf Tote gegeben habe. Sellner schrieb in einem Post sogar von 34 Toten. Auch das deckt sich nicht mit den offiziellen Angaben.

So hieß es am Freitagabend von der Polizei, dass es zwei Tote und mindestens 60 Verletzte gegeben habe. Am Samstag ist die Zahl auf fünf Tote und mindestens 200 Verletzte gestiegen.

Ebenfalls von rechtsextremen Accounts wurden alte Videos im falschen Kontext erneut hochgeladen. So wurden unter anderem Videos von den Feiern syrischer Geflüchteter in Deutschland nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad neu hochgeladen mit der Behauptung, die Menschen würden den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg zelebrieren.

Falsches Zitat von Steinmeier

In den sozialen Netzwerken verbreitete sich zudem ein angebliches Zitat vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. In dem vermeintlichen Post des Bundespräsidenten auf X heißt es, dass es jetzt wichtig sei, "die tatbegehende Person nicht zu denunzieren und sich ruhig und geduldig die Gründe anzuhören". Weiter steht in dem Post: "Offene Grenzen tragen zur Sicherheit bei."

Viele Menschen teilten den Screenshot des Posts mit wütenden Worten in Richtung des Bundespräsidenten und der Regierung. Dabei handelt es sich in Wahrheit jedoch nicht um den offiziellen Account von Steinmeier, sondern um einen Satire-Account. Der Post wurde inzwischen gelöscht. Dennoch verbreitet sich der Screenshot von dem Posting weiter.

Auf seinem offiziellen Konto bei Instagram hatte Steinmeier unter anderem geschrieben, dass seine Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen sind und er sich bei allen Rettungskräften für ihren Einsatz bedankt.

Auch anti-israelische Kreise mischen mit

Dass Ereignisse wie Anschläge in den sozialen Netzwerke direkt für politische Ziele missbraucht werden und dabei auch mit Falschbehauptungen befeuert werden, ist eine klassische Methode von Desinformation. Während rechtsextreme Kreise die Tat von Magdeburg instrumentalisieren, um gegen den Islam und Geflüchtete zu hetzen, gibt es auch weitere Beispiele von anderen Gruppierungen.

So hieß es in einigen anti-israelischen Kreisen direkt nach dem Anschlag, dass es sich dabei um eine sogenannte False-Flag-Aktion des israelischen Geheimdienstes gehandelt habe, um angeblich die Unterstützung des Westens für Israel wieder zu stärken, in dem die Tat einem Islamisten zugeschrieben würde.

In türkisch-nationalistischen Kreisen wiederum verbreiteten Accounts die Falschbehauptung, dass kurdische Milizen hinter dem Anschlag stecken würden, als Antwort auf Deutschlands angebliche Unterstützung für die Türkei in Syrien.

Quellen prüfen in sozialen Netzwerken

Nach Amokfahrten, Anschlägen oder schweren Unfällen werden eigentlich immer Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken gestreut. Das liegt unter anderem daran, dass solche Situationen erst einmal nicht eindeutig sind, Menschen schnell nach Informationen und Orientierung suchen - und oft viele Bilder oder Videos von vermeintlichen Augenzeugen im Umlauf sind. Das wird immer wieder ausgenutzt, um gezielt zu desinformieren.

Um Desinformation zu identifizieren, gibt es kein Patentrezept. Grundsätzlich ist die Quelle ein wichtiger Indikator dafür, ob Bilder oder Informationen vertrauenswürdig sind oder nicht. So gelten Nachrichtenagenturen wie beispielsweise dpa, AFP oder AP als vertrauenswürdige Quellen, da sie das Material vor der Veröffentlichung prüfen. Nach Anschlägen wie in Magdeburg sind mit Blick auf Opferzahlen oder Angaben zum mutmaßlichen Täter offizielle Stellen wie die Polizei als Quelle relevant.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. Dezember 2024 um 13:14 Uhr.