Hamas-Angriff auf Israel Falsche Schuldzuweisungen und Whataboutism
Die Hamas-Angriffe werden für Desinformation genutzt: Russland macht die Ukraine mitverantwortlich, propalästinensische Kreise verbreiten antisemitische Verschwörungserzählungen.
Die Schuldigen für die verheerenden Anschläge der militant-islamistischen Hamas in Israel standen für die russische Führung schnell fest: Nicht etwa die Hamas selbst wurde verurteilt, sondern der Westen: "Die USA und Brüssel haben die Ukraine mit Waffen überflutet. Und die ukrainische Führung hat die an die Länder im Nahen Osten weiterverkauft", sagte Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin.
Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow und Präsident Wladimir Putin beschuldigten direkt die USA, die Verantwortung für den Angriff auf Israel zu tragen - Putin nannte den Angriff etwa ein "klares Beispiel für das Scheitern der Politik der USA im Nahen Osten". Eine deutliche Verurteilung der Anschläge durch die Hamas gab es von russischer Seite hingegen nicht.
"Russland instrumentalisiert auf zynische Weise diese Tragödie, um vor allem antiwestliche und antiukrainische Narrative zu verbreiten", sagt Julia Smirnova, Senior Researcherin am Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD). Dabei würden russische Medien und prorussische Kanäle unter anderem bei Telegram eifrig mithelfen.
Gefälschter BBC-Bericht als angeblicher Beweis
Ein viel verbreitetes Narrativ dabei ist, dass die Waffen, die die militant-islamistische Hamas für den Angriff benutzt hat, angeblich aus westlichen Waffenlieferungen für die Ukraine stammen sollen. So postete RT Deutsch beispielsweise: "Hamas-Angriff: Waffen aus der Ukraine?" und bezog sich dabei auf einen Post der US-amerikanischen Politikerin Marjorie Taylor Greene von den Republikanern, die diese Frage ebenfalls gestellt hatte.
Zudem wurde in prorussischen Kanälen ein angeblicher Bericht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt des Vereinigten Königreichs, BBC, vielfach geteilt. Darin wird behauptet, dass Recherchen der Organisation Bellingcat ergeben hätten, dass von der NATO an die Ukraine gelieferte Waffen an die Hamas verkauft worden seien. Doch diesen Bericht hat es nie gegeben, wie sowohl Bellingcat als auch BBC mitteilten.
Versuch der Diskreditierung der Ukraine
Auch ein weiteres Video, das dieses Narrativ unterstützen soll, konnte bislang nicht eindeutig verifiziert werden. Darin zu hören ist ein angeblicher Hamas-Terrorist, der sich bei der Ukraine für Waffen bedankt, die in dem Video zu sehen sind. Das Video wurde von einem Account auf dem Kurzmitteilungsdienst X (früher: Twitter) verbreitet, der nach Recherchen von "The Guardian" mit der russischen Söldnergruppe Wagner in Verbindung steht.
"Wir haben schon vor dem Angriff der Hamas mehrere Versuche von russischen Propagandisten gesehen, die Ukraine in Verbindung mit diversen terroristischen Organisationen zu bringen", sagt Smirnova. "Das heißt, es gab auch vor Monaten immer wieder komplett unbelegte Behauptungen, dass angeblich Waffen aus der Ukraine irgendwo im Mittleren Osten auftauchen." Das Ziel solcher Kampagnen sei es, die Ukraine zu diskreditieren und als einen korrupten Staat darzustellen, um so Stimmung gegen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine zu machen.
In einigen prorussischen Kanälen wie dem von Alina Lipp wurde sogar geschrieben, dass angeblich ukrainische Geflüchtete "gegen Geld für die Hamas arbeiten und ihnen Fotos/Videos von den benötigten Anlagen gaben, die nun angegriffen und erobert wurden". Als Quelle hierfür dient ein "Russischer Analysekanal". Auch für diese Behauptung gibt es keinerlei Beweise.
Verschwörungserzählung von fingiertem Angriff
In einigen propalästinensischen und auch verschwörungsideologischen Kreisen wiederum liegt der Fokus bei der Desinformation stärker auf Israel. Dabei spielen auch proiranische Akteure eine wichtige Rolle, wie Analysen des ISD zeigen. Iran ist einer der größten Unterstützter der militant-islamistischen Hamas. In einigen Kanälen wird hier das Narrativ verbreitet, Israel habe die Angriffe nur inszeniert.
Als vermeintlicher Beweis dazu wird eine manipulierte Version eines CNN-Beitrags geteilt, in dem der Anschein erweckt wird, dass die Korrespondenten vor Ort von einem Kontrollraum aus Anweisungen erhalten hätten, wie sie sich zu verhalten haben. Dazu hieß es: "CNN wurde dabei erwischt, wie es einen Angriff der Hamas in Israel vortäuschte." In dem Video suchen die Journalisten nahe der Grenze zwischen Israel und Gaza Schutz vor Raketen.
Ein Sprecher von CNN wies die Vorwürfe bereits zurück. "Der Ton in dem Video, das auf X gepostet und geteilt wurde, ist gefälscht, ungenau und verzerrt in unverantwortlicher Weise die Realität des Moments, über den CNN live berichtet hat", sagte der Sprecher der "New York Times". Im Originalmaterial sind die vermeintlichen Anweisungen der Hintergrundstimme nicht zu hören.
Auch eine Aufnahme hinter den Kulissen der Dreharbeiten des palästinensischen Kurzfilms "Empty Place" wird in einigen Kanälen mit falschem Kontext verbreitet. Zu sehen ist ein kleiner Junge, der in einer Blutlache auf dem Boden liegt. Über ihm ist eine Kamera zu sehen und ein Mann gibt dem Jungen Anweisungen. Geteilt wurde dieses Video von dem Filmset jedoch mit der Behauptung, dass es zeige, wie Israel gefälschtes Filmmaterial von Todesfällen erstelle.
Dämonisierung des Landes Israel
Eine weitere verbreitete Verschwörungserzählung sei, dass Israel die Angriffe bewusst habe passieren lassen, um so einen Vorwand zu haben, selbst anzugreifen, sagt Josef Holnburger, Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Dass Israel am Ende sogar profitieren würde von den Anschlägen, ist eine starke Umkehr der Täter-Opferperspektive. Das macht Israel plötzlich zum Täter der Morde an der eigenen Bevölkerung. Und das geistert im Moment auf sehr vielen deutschsprachigen verschwörungsideologischen Kanälen herum."
Ein ebenfalls geläufiges Narrativ sei die Dämonisierung des Landes Israel, sagt Holnburger. So wurde in mehreren Kanälen ein falsches Zitat des israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant verbreitet, in dem er behauptet haben soll, dass Israel alle Regeln der Kriegsführung aufgehoben hätte und die israelischen Soldaten für nichts verantwortlich gemacht würden. Galant hat dies jedoch nie gesagt.
Angriffe der Hamas werden instrumentalisiert
In einigen propalästinensischen und linken Kreisen werde der Angriff der militant-islamistischen Hamas zudem mit Whataboutism gerechtfertigt, sagt Holnburger. Beim Whataboutism wird versucht, einen Missstand durch den Verweis auf einen anderen zu relativieren. "Da ist eben häufiger der Vorwurf, dass man Israel eine Teilschuld oder sogar eine vollständige Schuld an den Angriffen gibt. Dass Israel zum Beispiel vorgeworfen würde, sich nicht an Menschenrechte zu halten. Das ist umso makaberer, weil die Hamas die Menschenrechte verletzt hat, nicht Israel."
In rechten Kreisen werde der Angriff der Hamas und die Reaktionen auf propalästinensischen Kundgebungen in Deutschland für die eigene Agenda instrumentalisiert, sagt Holnburger. "Der Antisemitismus im Land wird als reines Problem von migrantisch gelesenen Menschen dargestellt. Es gibt ein Problem innerhalb Bevölkerungsgruppen mit Migrationsgeschichte, aber nicht ausschließlich: Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem." Beispielsweise seien einige AfD-Politiker immer wieder auf sogenannten Alternativplattformen aktiv gewesen, auf denen Antisemitismus verbreitet werde.
Aus Sicht von Holnburger zeigen die unterschiedlichen Desinformationsnarrative, dass in den vergangenen Jahren der Israel bezogene Antisemitismus nicht als große Bedrohung wahrgenommen wurde. "Man sieht derzeit, wie problematisch das ist. Und das ist ein grundsätzliches Problem, was wir auf jeden Fall angehen müssen in der Gesellschaft."