Das Facebook-Icon spiegelt sich in einer Pupille

Wahlkampf in den USA Facebook als mächtiger Helfer

Stand: 11.12.2017 09:22 Uhr

In den USA sind neue Werbeformen bei Facebook längst Teil der politischen Kampagnen. Massen an Daten und deren Verknüpfung machen zielgenaue Botschaften möglich. Kombiniert mit Offline-Datenbanken wird Facebook-Werbung noch mächtiger.

Von Von Max Muth, BR

Eine der Firmen der neuen Ära des digitalen Wahlkampfs heißt "Harris Media". In den USA war das Unternehmen aus Austin im Bundesstaat Texas unter anderem für Donald Trump tätig und ist weit bekannt: "Sie sind ziemlich gut", sagt Ryan Irvin anerkennend. Der 31-Jährige arbeitete selbst jahrelang für politische Organisationen von Ex-Präsident Barack Obama, bevor er sich mit seiner Firma "Change Media" selbstständig machte. Über die Konkurrenz aus Austin sagt er: "Harris verschiebt ständig die Grenzen, was in digitalen Kampagnen gemacht werden kann. Allerdings würde ich auch sagen, dass sie ein zumindest flexibles Verhältnis zur Wahrheit haben."

Republikaner: tonangebend im Digitalwahlkampf

Irvin ist in der Sache nicht ganz neutral: Seine Firma "Change Media" berät überwiegend demokratische Kunden, wie sie in der digitalen Welt ihre Botschaften unters Volk bringen. "Harris Media" tut das Gleiche, nur eben auf der konservativen Seite. Und auch in Deutschland war "Harris Media" bereits aktiv: Die Agentur verantwortete die digitale Wahlkampagne der AfD. Wie der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg berichtete, half "Harris Media" der Partei über eine Funktion namens "Lookalike Audience", ihre Reichweite für Facebook-Posts deutlich zu steigern. Zudem kaufte "Harris Media" demnach die Anzeige eines Suchergebnisses, das bei der Google-Suche nach "Angela Merkel" ausgespielt wurde. Wer darauf klickte, landete auf einer Webseite, die die Bundeskanzlerin als Eidbrecherin verunglimpfte.

Ryan Irvin von "Media Change"

Laut Ryan Irvin ist Negativ-Werbung typisch für die neue Ära des digitalen politischen Marketings.

Kampagnen wie die Negativ-Werbung gegen die Kanzlerin sind laut Irvin typisch für die neue Ära im politischen Marketing: "Eine Spezialität dieser Agenturen ist es, eine Marke aufzubauen, die sich als neutrale Organisation ausgibt, und dann über diese Plattform politische Botschaften verteilt." Diese Webseiten werden dann über Facebook Ads promoted. Wer hinter der Seite steckt, erfahren die Nutzer meist nicht.

Demokratische Wahlkämpfer sträubten sich laut Irvin länger, solche Taktiken einzusetzen. In der jüngeren Vergangenheit sieht er sie aber auch verstärkt bei liberalen Aktivisten und Kampagnen-Machern in den USA.

"Lookalike Audiences"
Mit "Lookalike Audiences" (deutsch: ähnliche Zielgruppe) errechnet Facebook aus seinen Nutzern eine neue Zielgruppe für Werbetreibende. Der Clou: Sie ähnelt einer Zielgruppe, die der Werbetreibende vorher definiert hat - beispielsweise über bestehende E-Mail-Listen oder über ein bestimmtes Nutzerverhalten, wie das Kommentieren eines bestimmten Facebook-Posts. Die Ausspielung an sogenannte "statistische Zwillinge" wird von Marketing-Experten geschätzt, weil schnell viele potenziell an den Inhalten einer Marke interessierte Menschen zu erreichen sind.

Facebooks Trumpf: passgenaue Werbung

Kiri Walton arbeitete als Journalistin, jetzt managt sie digitale Wahlkämpfe. Gerade hat Walton mit dafür gesorgt, dass in New Orleans mit LaToya Cantrell zum ersten Mal eine Frau die Stadt am Mississippi regiert. Walton glaubt, dass die Strategie der Kampagne auf Facebook einen guten Teil zu diesem Erfolg beigetragen hat.

Die meisten Menschen schauen mindestens drei Mal am Tag auf Facebook vorbei. Morgens nach dem Aufstehen, einmal wenn sie in der Arbeit ein bisschen müde werden und dann Abends. Und jedes Mal sind wir mit dabei. Das kannst du mit Fernsehwerbung nicht erreichen.

Auch in den USA spielt das Fernsehen nicht mehr die herausragende Rolle wie früher. Und Fernsehwerbung ist teuer, Facebook-Ads dagegen sind deutlich günstiger. Der Hauptvorteil von Facebook ist laut Walton jedoch, wie passgenau politische Kampagnen ihre Botschaften ausrichten können.

Screenshots von aus Russland finanzierten Facebook-Wahlkampfseiten

In den USA war auch vor Facebook ziemlich genaues Targeting - also zielgerichtetes Werben - möglich, sagt Digitalberater Irvin:

Wo du lebst, ob du registriert bist zu wählen und ob und wie du in der Vergangenheit gewählt hast, das sind alles öffentliche Daten. Ich zum Beispiel wähle laut diesen Daten zu 92 Prozent die Demokraten und gehe zu 75 Prozent zur Wahl. Dazu kommen Daten aus Konsumstudien. Darin steht, ob du schwarz oder weiß bist, welche Magazine du liest oder ob du ein Eigenheim besitzt.
"Microtargeting"
"Microtargeting" ist ein Begriff aus dem Marketing. Er bezeichnet die gezielte Ansprache bestimmter Zielgruppen durch Werbeformen wie Briefe, Telefonanrufe oder über soziale Medien. In den USA ist Microtargeting etwa per Brief wegen deutlich weniger strengen Datenschutzbestimmungen schon länger üblich.

Über Plattformen wie Facebook ist es mittlerweile auch in Deutschland möglich, sehr spezifische Zielgruppen mit Werbung anzusprechen. Durch die verfügbaren Daten ist das in sozialen Netzwerken wie Facebook besonders gut möglich. Werbung kann hier per Werbeanzeigen-Manager nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Standort, Verhalten und zusätzlichen Interessen gefiltert werden. Für das "Microtargeting" können mehrere dieser Merkmale beliebig kombiniert werden.

Mächtiger Werkzeugkasten

Solche bestehenden Offline-Datenbanken verstärken noch einmal die Bedeutung von Facebook für Werbende: Denn sie können bei Facebook anonymisiert hochgeladen werden und mit Daten des sozialen Netzwerks abgeglichen werden. Mit den Werbefunktionen von Facebook können in den USA so beispielsweise ausschließlich schwarze Hausbesitzer ab einem Alter von 55 Jahren angesprochen werden, die sich für Schusswaffen interessieren - oder weiße gut verdienende demokratische Frauen zwischen 20 und 40, die Haustiere halten. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt.

Für Wahlkämpfer ist das eigentlich ein Segen, sagt Irvin: "Über Facebook kannst du mit Leuten über die Dinge reden, die ihnen am Herzen liegen." Das heißt: Wer sich für Umweltthemen interessiert, bekommt die Position der Demokraten zu Fracking und Klimawandel geliefert, wer sich eher für die Regulierung von Schusswaffen begeistert, der bekommt dazu Material.

Wenn Wahlkämpfer Irvin schnell viele Demokraten mit einer Botschaft erreichen will, nutzt er beispielsweise die Voreinstellung "vermutlich liberaler Aktivist". Eine entsprechende Zielgruppe gibt es auch auf der konservativen Seite.

Russische Desinformation

Problematisch wird es, wenn die Botschaften nicht aufrichtig sind. Und das passiert laut Irvin viel zu häufig. Ein prominentes Beispiel landete vor ein paar Wochen vor dem US-Kongress: Dort mussten die Anwälte von Facebook, Google und Twitter zum Rapport antreten, weil sie sich im Präsidentschaftswahlkampf 2016 zu Erfüllungsgehilfen einer russischen Desinformationskampagne gemacht hatten.

Facebook zeigte 126 Millionen Usern politische Anzeigen, die von russischen Akteuren bezahlt wurden und die laut Irvin dem Zweck dienten, die politischen Lager noch weiter auseinanderzutreiben: "Es gab einerseits Black-Lives Matter-Seiten, die Fake-News-Stories bei den Linken verbreitet haben. Und auf einer anderen Facebook-Seite haben sie die Rechten mit Fake News über Immigration aufgewiegelt."

Auf die Spitze getrieben wurde dieser Ansatz im Mai 2016. An diesem Tag standen sich in Houston in Texas bei einer Demonstration Islamgegner und Verteidiger der Religionsfreiheit gegenüber, angestachelt von zwei Facebook-Gruppen, die beide mutmaßlich von russischen Akteuren betrieben wurden. Möglich wurde das unter anderem durch Dark-Ads. Bei dieser Facebook-Werbeform wird eine Anzeige ausschließlich der Zielgruppe angezeigt und taucht sonst nirgends auf. Eine einzige Firma könnte so zwei völlig gegensätzliche Botschaften an zwei unterschiedliche Zielgruppen ausspielen.

"Dark Ads"
Als "Dark-Ads" werden Werbeanzeigen bezeichnet, die ausschließlich einer anvisierten Zielgruppe auf Facebook gezeigt werden. Im klassischen Marketing kann das sinnvoll sein, wenn etwa durch ein Gewinnspiel neue Facebook-Fans gewonnen werden sollen. Dieses Gewinnspiel auch Menschen zu zeigen, die bereits Fan einer Marke sind, würde die Effektivität der Werbung beeinträchtigen.

Für politische Anzeigen ist diese Werbeform hochumstritten, weil sie vor allem für negative Wahlwerbung geeignet ist. Die Firma Cambridge Analytica behauptete nach der US-Wahl 2016, sie hätte für Donald Trump die Wahl entschieden, indem sie potenziellen Clinton-Wählern "Dark-Ads" zeigte, die die Demokratin gezielt bei den jeweiligen Gruppen diskreditierte. So sollten die Wähler frustriert und dazu gebracht werden, am Wahltag zu Hause zu bleiben.

Bleiben "Dark-Ads" dunkel?

Wahlkampfberater Irvin glaubt, dass hier eine Regulierung seitens der Politik nötig wäre. Bei politischer Fernsehwerbung in den USA etwa sei immer ein Hinweis dabei, wer die Anzeige bezahlt hat. Warum sollte die gleiche Regel im digitalen Raum nicht gelten? Dass die US-Politik Facebook regulieren wird, glaubt er dennoch nicht: "Es sieht nicht so aus, als würde es in dieser Frage politischen Konsens geben." Eher, so glaubt er, werden die Tech-Unternehmen selbst mit technischen Lösungen versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.

In Kanada testet Facebook dazu gerade eine neue Funktion: Wer eine Anzeige zu sehen bekommt, für die bezahlt wurde, der kann durch einen Klick herausfinden, wer für die Anzeige bezahlt hat - und kann zudem alle anderen Anzeigen sehen, die die Firma oder Person ausgespielt hat. Doch ob das ausreicht, ist alles andere als klar. Immerhin dürfte es laut Irvin dadurch für Journalisten leichter werden, unlautere Werbekampagnen bei Facebook aufzudecken.

Screenshot eines Handys mit Facebookseite Wahlwerbung USA

In Kanada testet Facebook derzeit eine neue Funktion für mehr Transparenz von Wahlwerbung. Im kommenden Jahr soll die Funktion auch in den USA aktiviert werden.

Wahlkämpferin Kiri Walton glaubt aber nicht, dass deswegen Facebook als politischer Werbepartner weniger wichtig wird. Im Gegenteil. "In Zukunft werden wir immer mehr Kandidaten sehen, die auf Social-Media-Werbung setzen. Früher hat man Werbung auf dem Marktplatz gemacht. Aber damit erreichst du die Leute heute nicht mehr." Die neuen Marktplätze - sie heißen Facebook, Twitter und Instagram.