Neue Einkommensgrenze Wen treffen die Änderungen beim Elterngeld?
Die Pläne des Familienministeriums, die Einkommensgrenze für das Elterngeld zu senken, werden heiß diskutiert. Doch was genau bedeuten die Änderungen? Und wie viele Familien wären davon betroffen?
"NEIN zur Elterngeld-Streichung" - so heißt eine am Montag gestartete Petition, die binnen kurzer Zeit bereits mehr als 300.000 Unterschriften gesammelt hat. Der Grund: Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen hatte zuvor bekannt gegeben, die Einkommensgrenze für das Elterngeld von 300.000 Euro auf 150.000 Euro zu senken. In der Petition wird das als "Schlag ins Gesicht für all die hart arbeitenden Paare in Deutschland" kritisiert. Auch aus Reihen der Opposition hagelte es Kritik am Vorstoß des Familienministeriums. Aber was bedeutet die geplante Änderung überhaupt?
Das im Jahr 2007 eingeführte Elterngeld unterstützt Eltern finanziell, die nach der Geburt des Kindes weniger oder gar nicht arbeiten. Es soll die wirtschaftliche Selbstständigkeit beider Elternteile ermöglichen und kann frei untereinander aufgeteilt werden. Die Höhe hängt vom monatlichen Nettoerwerbseinkommen vor der Geburt ab. Im Monat beträgt das Basiselterngeld mindestens 300 Euro und maximal 1800 Euro, was je nach Einkommenshöhe 65 bis 100 Prozent des Nettomonatsgehalts sind. Den Mindestbetrag erhalten auch Elternteile, die vor der Geburt nicht erwerbstätig waren. Nehmen beide Elternteile Elterngeld, beträgt die Bezugsdauer maximal 14 Monate. Beim ElterngeldPlus verlängert sich dies auf maximal 28 Monate bei halben Bezügen. Mit Elterngeld kann in Teilzeit bis zu 32 Stunden pro Woche gearbeitet werden.
Einkommensgrenze bedeutet nicht Bruttoeinkommen
Bislang lag die Einkommensgrenze für das Elterngeld bei Paaren bei 300.000 Euro, für Alleinerziehende bei 250.000 Euro. Diese Einkommensgrenze soll für Paare und Alleinerziehende ab dem kommenden Jahr nun auf 150.000 Euro gesenkt werden.
Wichtig ist zunächst, dass es sich bei der Einkommensgrenze nicht um das Bruttoeinkommen handelt, sondern um das zu versteuernde Einkommen (zvE). "Das zvE ergibt sich aus dem Bruttoeinkommen abzüglich Werbungskosten, sonstige Aufwendungen und Freibeträge", heißt es auf der Seite des Bildungsministeriums. "Deshalb ist das zvE immer niedriger als das Bruttoeinkommen."
Das bedeutet, dass das Bruttoeinkommen von Paaren für die neue Einkommensgrenze höher sein kann als 150.000 Euro und sie trotzdem ein Anrecht auf Elterngeld hätten. "Vom Bruttoeinkommen müssen noch sämtliche Freibeträge, Sonderausgaben, Werbungskosten, Vorsorgeaufwendungen und so weiter abgezogen werden", sagt Katharina Wrohlich, Professorin für öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam und Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Das heißt, ein zu versteuerndes Einkommen von 150.000 Euro ergibt sich - je nach Einzelfall unterschiedlich - ungefähr bei einem Bruttoeinkommen von 180.000 Euro oder mehr."
Wie viele Paare sind betroffen?
Nach Angaben von Familienministerin Paus könnten etwa 60.000 Familien von den Änderungen betroffen sein. Das wären laut Sprecher des Familienministeriums bei etwas über einer Million Elterngeldbeziehenden im Jahr 2020 rund fünf Prozent. Allerdings schließt das Paare, die potenziell noch Kinder bekommen könnten, nicht mit ein.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt mit einer Auswertung auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2020 daher auf andere Zahlen. Demnach lebten im Jahr 2020 435.000 Paare unter 50 Jahre in Deutschland, die gemeinsam ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von mehr als 150.000 Euro hatten. Davon waren 125.000 unverheiratet und 310.000 in einer Ehe. Insgesamt wären demnach potenziell etwas weniger als fünf Prozent der Paare unter 50 Jahre von der neuen Einkommensgrenze betroffen.
Auf Grundlage der Lohn- und Einkommensteuerstatistik für das Jahr 2019 vom Statistischen Bundesamt (Destatis) fallen die Zahlen nochmal anders aus. Von insgesamt gut 41 Millionen Steuerpflichtigen hatten demnach etwa 819.000 ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 150.000 Euro - das entspricht 1,99 Prozent. Bei den etwa 15,6 Millionen Steuerpflichtigen, die Ehegattensplitting nutzen, hatten etwa 638.000 ein zvE von mehr als 150.000 Euro, das entspricht etwa 4,1 Prozent. Allerdings gelten die Zahlen jeweils für alle Altersgruppen, eine Unterteilung in verschiedene Altersstufen liegt nicht vor.
"Aus sozialpolitischer Perspektive kann man die Senkung der Einkommensobergrenze beim Elterngeld rechtfertigen", sagt Wrohlich. "Aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist es allerdings kein gutes Signal - man wollte mit dem Elterngeld einerseits die ökonomische Unabhängigkeit der Elternteile von ihrem Partner beziehungsweise ihrer Partnerin ermöglichen, das wird dadurch für manche konterkariert. Außerdem wollte man die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit erhöhen - auch diesem Ziel steht die Senkung der Einkommensgrenze (zumindest teilweise) im Weg."
Gefahr für die Gleichberechtigung?
Laut Destatis haben 2022 knapp 1,4 Millionen Frauen und 482.000 Männer in Deutschland Elterngeld erhalten - der Anteil der Männer lag damit bei 26,1 Prozent. Frauen beziehen mit durchschnittlich 14,6 Monaten nach wie vor wesentlich länger Elterngeld als Väter mit 3,6 Monaten.
Ein Blick auf die Zahlen aus dem Jahr 2022 zeigt auch: Der Anteil der Männer in Elternzeit steigt mit deren Einkommen: So sind unter denjenigen, die vor ihrer Elternzeit 2770 Euro oder mehr verdient haben, 53 Prozent Männer. Der Anteil der Männer aller Beziehenden von Elterngeld liegt hingegen nur bei 31 Prozent.
Das IW geht davon aus, dass durch die Inflation mehr Paare über die Grenze von 150.000 Euro kommen. Zudem bewirke die Inflation, "dass der Elterngeldhöchstsatz von 1.800 Euro an Wert verliert - Eltern können sich von dem Geld immer weniger leisten." Die Beträge sind seit der Einführung im Jahr 2007 nicht angepasst worden.
Welche Folgen die neue Einkommensgrenze in der Praxis haben wird, sei noch nicht abzusehen, sagt Wrohlich. "Was Elternteile mit sehr hohen Einkommen betrifft, ist festzuhalten, dass der Maximalbetrag von 1.800 Euro pro Monat für diese Gruppe bereits jetzt nur einen geringen Teil ihres Nettoeinkommens ersetzt hat", sagt sie. "Das Elterngeld dürfte für diese Gruppe also schon bisher keine wirklich relevante Rolle in den Überlegungen zur Aufteilung der Elternzeit gespielt haben."
Wrohlich sieht "dringenden Reformbedarf"
Es sei aber keine Seltenheit, dass bei sehr hohen Haushaltseinkommen die beiden Partner sehr ungleich verdienen. Nach Angaben des IW verdienen Männer in einer Partnerschaft mit einem zvE von mehr als 150.000 Euro im Schnitt 140.000 Euro, Frauen 65.000 Euro. "Für den Elternteil, der vor der Geburt ein niedrigeres Einkommen hat und für den künftig der individuelle Anspruch auf das Elterngeld aufgrund der gemeinsamen Einkommensgrenze wegfällt, kann durch diese Sparmaßnahme eine finanzielle Abhängigkeit vom Partner entstehen, die das Elterngeld eigentlich abbauen wollte", sagt Wrohlich.
Der Zeitpunkt der geplanten Senkung der Einkommensgrenze komme ausgerechnet zu einer Zeit, in der "über dringende Reformen des Elterngeldes, insbesondere, was eine Anhebung des Mindest- und des Höchstbetrages betrifft, als auch eine Ausweitung der Partnermonate" debattiert wurde, so Wrohlich. "Es ist sehr schade, dass aufgrund des Sparzwanges jetzt diese wichtigen Reformen offenbar nicht angegangen werden."
Generell halte sie es für keine gute Idee, beim Elterngeld zu sparen, da "man ausgerechnet an einer erfolgreichen familienpolitischen Leistung den Sparstift ansetzt". Zahlreiche wissenschaftliche Evaluationsstudien hätten positive Effekte seit der Einführung des Elterngeldes nachgewiesen. So seien beispielsweise Mütter mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr seither häufiger erwerbstätig, die Löhne von Müttern nach der Elternzeit seien höher als früher und die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit sei ebenfalls gestiegen.
"Es gibt andere, deutlich teurere Leistungen, wie zum Beispiel das Ehegattensplitting, das keine so positive Bilanz in Bezug auf seine Auswirkungen hat. Selbst moderate Reformen des Ehegattensplittings könnten zu deutlich größeren Einsparungen führen als die geplanten Sparmaßnahmen beim Elterngeld", sagt Wrohlich.