Coronavirus Wie groß ist die Gefahr für Kinder?
Bei der Diskussion über eine Öffnung von Schulen und Kitas ist entscheidend, wie ansteckend Kinder in der Corona-Pandemie sind. Wie groß ist die Gefahr, was ist mit dem Kawasaki-Syndrom? Ein Überblick.
Sind Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene?
Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind Kinder seltener von einer Sars-CoV-2-Infektion betroffen als Erwachsene. Noch ist aber nicht endgültig geklärt, ob sie grundsätzlich weniger empfänglich für eine Infektion sind. Es gibt mehrere Studien, wonach sich Kinder seltener anstecken, wenn sie mit einer infizierten Person in einem Haushalt zusammen leben.
Vier medizinische Fachgesellschaften erklärten jüngst, aktuelle Studien legten nahe, dass es vor allem bei jüngeren Kindern eine niedrigere Infektions- und Anstreckungsrate gebe. Kinder seien nicht die treibende Kraft der Pandemie.
Allerdings gibt es nach einer Laborauswertung der Berliner Charité von Ende April durchaus Hinweise darauf, dass Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene. "Im Wesentlichen muss man sagen, es gibt keine nachweisbaren Unterschiede in der Viruslast", erläuterte Institutsdirektor Christian Drosten im NDR-Podcast. Bisher ist diese Studie noch ungeprüft. Der Virologe setzt darauf, dass weitere Großlabore ihre Abstriche auf Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen hin untersuchen, um diese ersten Ergebnisse zu verifizieren. Denn in Berlin wurden nur wenige Kinder erfasst. "Eigentlich müsste man noch zehnmal so viele Kinder haben, aber so viel haben wir nun mal nicht", sagte Drosten.
In China wurde in einer Kontaktstudie die sogenannte Attack Rate untersucht - also die Zahl der Personen, die dem Virus ausgesetzt waren und sich daraufhin tatsächlich infiziert haben. Demnach infizierten sich Kinder genauso häufig wie Erwachsene. Doch auch bei der Studie sind die Datenquellen nicht eindeutig und nicht unbedingt auf Deutschland übertragbar.
Bei wem stecken sich Kinder an?
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Kinder wohl keine bedeutsamen Treiber für Übertragungen. Nach bisherigen Erkenntnissen stecken sich Kinder vor allem bei Erwachsenen an. Allerdings liegen auch dazu bislang nur wenige Daten vor. Studienergebnisse sind kaum auf den Alltag übertragbar, da Schulen und Kitas während der meisten Untersuchungen geschlossen waren.
Beim Blick auf schwere Covid-19-Verläufe bei Kindern in Deutschland scheinen sich die Erkenntnisse zu bestätigen. Der Dresdner Kinderarzt Reinhard Berner berichtete, rund 80 Prozent seiner Kinderpatienten hätten sich bei Eltern oder Verwandten angesteckt.
Welche Symptome haben Kinder bei einer Corona-Infektion?
Infizierte Kinder haben meist nur sehr milde oder gar keine Symptome. Zu den milden Symptome gehören leichter Husten, Schnupfen und manchmal Durchfall. Selbst Fieber bekommen nur weniger als die Hälfte der infizierten Kinder. Allerdings kommt es vermehrt auch zu Entzündungsanzeichen in der Lunge.
Warum verläuft Covid-19 bei Kindern oft so milde?
Auch das ist bisher nicht klar. Es gibt dazu noch keine Studien, nur Vermutungen. Eine These geht davon aus, dass das angeborene Immunsystem bei Kindern das neue Coronavirus effizienter abwehrt als das bereits trainierte Immunsystem der Erwachsenen. Da es kaum Erfahrung mit gängigen Viren habe, seien keine spezifischen Antikörper dagegen gebildet. Um das auszugleichen, sei die unspezifische Abwehr der Kinder stärker.
Eine andere These lautet, dass das Virus an spezielle Rezeptoren andocken muss. Diese Rezeptoren seien bei Kindern möglicherweise noch nicht so weit entwickelt. Deshalb könne sich das Virus nicht richtig festsetzen.
Was ist mit den Fällen schwerer Entzündungen bei Kindern?
Zuletzt wurden vor allem in den USA, Italien, Spanien, Frankreich und der Schweiz schwere Entzündungen bei Kindern festgestellt, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Die Symptome ähnelten dem seltenen Kawasaki-Syndrom, einer Gefäßerkrankung bei Kindern, die bis zum Organversagen führen kann: Die betroffenen Kinder leiden unter anhaltendem Fieber, starken Bauchschmerzen, Ausschlägen und haben eine geschwollene Zunge. Die Blutgefäße entzünden sich, mitunter wird das Herz geschädigt. Mediziner sprechen vom "pädiatrischen entzündlichen Multisystem-Syndrom" (MIS-C). In Europa wurden seit Jahresbeginn etwa 230 Verdachtsfälle beobachtet.
Doch noch ist unklar, ob diese Erkrankungen tatsächlich mit Corona zusammenhängen. Denn nicht bei allen Kindern wurden Hinweise auf eine Sars-CoV-2-Infektion gefunden - und das Kawasaki-Syndrom trat auch schon vor der Corona-Pandemie auf.
Johannes Hübner, stellvertretender Leiter der Kinderklinik an der Uni München, hält es deshalb für verfrüht, auf ein erhöhtes Risiko für Kinder zu schließen. "Aus Deutschland haben wir bisher von keinen derartigen Häufungen von Fällen gehört", sagte Hübner, der auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) ist. Die DGPI sei gerade dabei, ein Meldesystem für Verdachtsfälle zu etablieren und werde die Situation aufmerksam beobachten. "Im Moment ist die Situation in Deutschland aber sicher nicht beunruhigend".
Wann gibt es aussagekräftige Studien?
In Hamburg läuft seit einigen Tagen die Studie C19.Child Hamburg. Sie soll zeigen, wie häufig sich Kinder und Jugendliche infizieren und wie anfällig sie für einen schweren Verlauf der Infektion sind. Neben dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) beteiligen sich auch alle anderen Hamburger Kinderkliniken daran. Die Mediziner wollen Daten von rund 6000 gesunden und chronisch kranken Kindern und Jugendlichen mit und ohne Covid-19-Symptome einbeziehen. Zugleich solle erforscht werden, "wie groß das Risiko einer Verbreitung des neuartigen Coronavirus durch asymptomatische Kinder ist und ob chronisch kranke Kinder ein größeres Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion haben als gesunde Kinder", sagte die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE, Ania Muntau.
Die Ärztin ist skeptisch, ob Kinder nicht oder nicht schwer an Covid-19 erkranken, "weil wir einfach keine Evidenz dazu haben". Es sei bisher gar nicht umfassend untersucht worden. "Insofern ist das eine absolut offene Frage, ob Kinder und wie häufig und wie schwer sie erkranken." Kinder seien auch nur sehr restriktiv getestet worden. "Möglicherweise haben wir dort eine sehr hohe Dunkelziffer und haben einen sehr hohen prozentualen Anteil von positiven Kindern ohne Symptome, die für das Geschehen in der Bevölkerung, die Ausbreitung der Pandemie, eine ganz wichtige Rolle spielen." Gleichwohl räumt sie ein, in Hamburg keine schwer erkrankten Fälle gesehen zu haben. "Ich glaube, die wären uns aufgefallen."