Protest im Bundestag Argumente oder Transparente?
Plakate mit den Namen der Opfer des Luftangriffs in Kundus - sie waren der Grund, warum Abgeordnete der Linkspartei während der Bundestagsdebatte zum ISAF-Einsatz der Bundeswehr des Saales verwiesen wurden. Zu Recht? tagesschau.de erklärt die Hintergründe.
Warum können Abgeordnete ausgeschlossen werden?
Abgeordnete können vom Bundestagspräsidenten wegen Protestaktionen, Beschimpfungen oder anderen Störungen von einer Sitzung des Bundestages ausgeschlossen werden. Der Ausschluss ist die schärfste Disziplinarmaßnahme des Parlaments. Geregelt wird er von der Geschäftsordnung des Bundestages. Der Präsident handelt dabei auf Grundlage des Paragrafen 38 der Geschäftsordnung des Bundestages.
Dort heißt es unter anderem: "Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann der Präsident ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss der Präsident bekanntgeben, für wieviel Sitzungstage der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des Bundestages kann bis zu 30 Sitzungstage ausgeschlossen werden."
Laut Geschäftsordnung muss der Abgeordnete den Plenarsaal unverzüglich verlassen. Bei einer Weigerung kann der Präsident aufgrund seines Hausrechts und der Polizeigewalt den Abgeordneten zwangsweise entfernen lassen. Ausgeschlossene Parlamentarier dürfen aber auf der Besuchertribüne Sitzungen verfolgen. Ein Ausschluss hat auch eine Kürzung der Kostenpauschale zur Folge. Mildere Ordnungsmaßnahmen des Parlaments sind Rügen, Ordnungsrufe und Wortentziehungen.
(1) Wegen gröblicher Verletzung der Ordnung kann der Präsident ein Mitglied des Bundestages, auch ohne daß ein Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus dem Saal verweisen. Bis zum Schluß der Sitzung muß der Präsident bekanntgeben, für wieviel Sitzungstage der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des Bundestages kann bis zu dreißig Sitzungstage ausgeschlossen werden. (...)
(3) Der Betroffene hat den Sitzungssaal unverzüglich zu verlassen. Kommt er der Aufforderung nicht nach, wird er vom Präsidenten darauf hingewiesen, daß er sich durch sein Verhalten eine Verlängerung des Ausschlusses zuzieht. (...)
Können ausgeschlossene Abgeordnete trotzdem abstimmen?
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags lässt keine Differenzierung zu zwischen dem Ausschluss von der Sitzung und dem Ausschluss von Abstimmungen. Aber es gibt trotzdem eine Möglichkeit ausgeschlossene Abgeordnete an einer Abstimmung im Bundestag teilnehmen zu lassen.
Der Bundestag kann nach Paragraf 126 der Geschäftsordnung Abweichungen von der Geschäftsordnung beschließen. Diese Abweichung von der Geschäftsordnung kann der Bundestagspräsident den nicht ausgeschlossenen Abgeordneten empfehlen. Allerdings müssen zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens muss der Deutsche Bundestag die Abweichung mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließt und zweitens dürfen die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegen stehen. Kommt dieser Beschluss zustande, dann dürfen die ausgeschlossenen Abgeordneten wieder in den Plenarsaal und an einer Abstimmung teilnehmen.
Werden oft Abgeordnete ausgeschlossen?
Vom einem Sitzungsausschluss wurde bisher relativ sparsam Gebrauch gemacht. Seit 1949 wurden lediglich 23 Abgeordneten vorübergehend die Teilnahme untersagt. Seit 1990 wurde kein Ausschluss mehr verhängt. Als letzte Abgeordnete traf es damals Jutta Oesterle-Schwerin von den Grünen.
Zu einem spektakulären Ausschluss kam es 1984, als die beiden Grünen-Abgeordneten Joschka Fischer und Jürgen Reents für zwei Sitzungen aus dem Plenarsaal verbannt wurden. Der spätere Außenminister Fischer hatte Parlamentspräsident Richard Stücklen (CSU) zugerufen: "Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub."
Am häufigsten wurde in der Frühzeit der Bonner Republik von Ausschlüssen Gebrauch gemacht. Den ersten Ausschluss - gleich für 20 Sitzungstage - traf 1949 Kurt Schumacher. Der SPD-Fraktionschef hatte von der Rednertribüne aus den CDU-Regierungschef Konrad Adenauer als "Kanzler der Alliierten" beschimpft.
Schumachers späterer Nachfolger Herbert Wehner durfte nach rhetorischen Ausfällen für zehn Tage nicht ins Plenum kommen. Die "Höchststrafe" von 30 Sitzungstagen bekam als bislang einziger Abgeordneter überhaupt 1950 der KPD-Parlamentarier Walter Fisch wegen Pöbeleien. Kurz zuvor waren vier andere KPD-Abgeordnete für 20 Sitzungen ausgeschlossen worden.
Zu Protestaktionen von Abgeordneten ist es aber auch in den letzten Legislaturperoiden immer wieder gekommen. Besonders Mitglieder der Linksfraktion haben ihren Protest bei Debatten um Hartz IV und den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan immer wieder gezeigt. Da sie jedoch der Aufforderung des Bundestagspräsidenten, die Aktionen zu beenden folgten, wurden sie nicht ausdrücklich des Saales verwiesen.
War der Ausschluss berechtigt?
Das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Lammert selbst bezeichnet sein Vorgehen als "alternativlos" und zwar "unter Berücksichtigung der Geschäftsordnung und der Übereinkunft aller Fraktionen des Hauses".
Die designierte Chefin der Linkspartei, Gesine Lötzsch, sieht im Ausschluss ihrer Fraktion von der Afghanistan-Debatte eine "deutliche Überreaktion" des Parlamentspräsidenten. Lammert sei ihr "sehr unsicher" erschienen. Es gebe Signale, dass sein Verhalten auch in anderen Fraktionen "heftig diskutiert" werde.
Die Linksfraktion lasse nun durch ihre Parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann "ganz präzise überprüfen", ob die Geschäftsordnung des Bundestages richtig angewendet wurde.