Neues Datenleck beim US-Militär 75.000 Afghanistan-Geheimakten im Netz
Die Internetplattform WikiLeaks hat mehr als 75.000 vornehmlich geheime US-Militärdokumente zum Afghanistankrieg online gestellt. Medien halten die Berichte für authentisch. Was vorher nur vermutet wurde, lässt sich nun nachvollziehen - etwa, dass Pakistans Geheimdienst die Taliban unterstützt.
Es ist wohl eines der größten Datenlecks der Geschichte: Mehr als 75.000 vornehmlich als geheim eingestufte US-Militärdokumente über den Krieg in Afghanistan sind von der Internetplattform WikiLeaks im Netz veröffentlicht worden. Wie WikiLeaks an die Berichte kam, ist unbekannt. Die "New York Times", der britische "Guardian" und der "Spiegel" konnten die Papiere jedoch prüfen und kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass das Material authentisch sei.
Insgesamt wurden WikiLeaks nach eigenen Angaben mehr als 91.000 Dokumente zugespielt. Rund 15.000 seien noch aus Sicherheitsgründen zurückgehalten worden, schreiben die Betreiber. Diese Dokumente sollen jedoch zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden - wenn es die Sicherheitslage zulässt.
Was teilweise nur vermutet oder bruchstückhaft über den Krieg in Afghanistan bekannt wurde, lässt sich anhand der Dokumente nunmehr oft präzise nachvollziehen und dürfte noch für viele Schlagzeilen sorgen. Denn die Militärberichte, Meldungen und Abhörprotokolle aus den Jahren 2004 bis 2009 zeichnen ein anderes Bild von dem Konflikt als es die US-Regierung öffentlich darstellt.
Gezielte Tötungen durch geheime Task Force
Mehrere Dokumente beschreiben laut "Spiegel" die gezielte Ausschaltung von Taliban, Terroristen und Drogenbaronen durch die "Task Force 373", eine Sondereinheit aus Elitesoldaten, die streng von den anderen Truppen abgeschirmt ist und die ihre Aufträge direkt aus dem Pentagon erhält. Sie sollen führende Aufständische entweder gefangen nehmen oder töten.
Dabei kommen laut den Dokumenten auch immer wieder Zivilisten ums Leben, wie bei dem Angriff auf eine Koranschule, bei dem sieben Kinder getötet wurden. Die "Task Force 373" soll auch von dem deutschen Feldlager Camp Marmal in Masar-i-Scharif aus operieren.
Kritik am deutschen Afghanistan-Einsatz
Die Dokumente lassen auch den deutschen Einsatz in Afghanistan in einem schlechten Licht erscheinen. Demnach sei die Bundeswehr nach US-Einschätzung weitgehend unvorbereitet in den Krieg gezogen und habe die Gefahr in den zunächst noch relativ ruhigen Nordprovinzen unterschätzt.
Doch auch dort sei der Widerstand gegen die internationalen Truppen gezielt angeheizt worden - durch Bestechung und Bedrohung der einheimischen Bevölkerung. Über die Tragödie von Kundus geben die Dateien keine weiteren Einblicke - diese wurde offenbar als ein Vorfall unter vielen abgehandelt.
Pakistan - mehr Feind als Freund?
Eine entscheidende Rolle im Krieg spielt laut den Dokumenten Afghanistans Nachbarstaat Pakistan: Obwohl das Land der weltweiten Anti-Terror-Koalition angehört, sei der pakistanische Geheimdienst ISI der wohl wichtigste Helfer der Taliban außerhalb Afghanistans. So hätten sowohl die Taliban um Mullah Omar als auch der Mudschaheddin-Führer Gulbuddin Hekmatjar und der Warlord Haqqanis Stützpunkte in dem Land. Osama bin Laden habe ebenfalls in Pakistan Zuflucht gefunden, schreibt der "Spiegel".
Pakistans Geheimdienst würde den Kriegsverlauf entscheidend mitbestimmen und auch präzise Mordbefehle ausgeben, zum Beispiel gegen den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Insbesondere gegen Inder in Afghanistan plane der Geheimdienst Missionen und ordne gezielte Tötungen an. Eine entscheidende Rolle spiele dabei der ehemalige ISI-Chef Hamid Gul, der den afghanischen Widerstand mit aufgebaut habe.
Ernüchterung über "Wunderwaffe"
Auch die von der US-Militärführung immer wieder als Wunderwaffe bezeichneten unbemannten Drohnen sind laut den Dokumenten deutlich weniger effektiv als behauptet: Sie seien äußerst störanfällig, immer wieder komme es zu Abstürzen und Systemausfällen. Sicherungssysteme hätten versagt. Mehrmals seien zudem abgestürzte Drohnen samt der enthalten Militärtechnik in die Hände von Aufständischen gefallen.
Insgesamt legen die Dokumente den Eindruck nahe, dass das US-Militär und die internationale Schutztruppe ISAF in Afghanistan eher reagieren, statt das Geschehen zu bestimmen. Ein Ende des Konfliktes ist demnach nicht abzusehen.
Weißes Haus empört über Veröffentlichung
Das Weiße Haus reagierte verärgert auf die Enthüllungen. Diese könnten "das Leben der Amerikaner und ihrer Partner gefährden und unsere nationale Sicherheit bedrohen", sagte der Nationale Sicherheitsberater James Jones.
Der pakistanische Botschafter in den USA, Husain Haqqani, bezeichnete die Veröffentlichung der Geheimdokumente als "unverantwortlich", da sie nicht die "tatsächlichen Gegebenheiten" widerspiegelten. Die USA, Afghanistan und Pakistan seien "strategische Partner", die militärisch wie politisch das Terrornetzwerk Al Kaida und dessen Verbündete der Taliban bekämpfen wollten.
Bundesregierung lässt Akten prüfen
Das Bundesverteidigungsministerium prüft jetzt mögliche Auswirkungen der Veröffentlichung auf die Sicherheit der deutschen Truppen in Afghanistan. Ein Sprecher von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bewertete in Berlin das "Erlangen" und "Offenlegen" der Unterlagen als "äußerst bemerkenswerten Vorgang", da vor allem die nationale Sicherheit des größten Alliierten, der USA, und die Sicherheit der NATO-Operation ISAF insgesamt berührt sein könnten. "Im Sinne des Nachrichtenwerts" ergebe sich jedoch nichts Neues, betonte er.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle kündigte eine Prüfung der Dokumente an. "Es muss jetzt ausgewertet werden, was es hier an neuen Erkenntnissen gibt", sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Der britische Außenminister William Hague spielte den Bericht dagegen herunter: "Wir verbringen unsere Zeit nicht damit, Enthüllungen anzuschauen, wir setzen die international abgestimmte Strategie fort", sagte Hague in Brüssel.
"WikiLeaks", die Kombination aus "Wiki", dem hawaiianischem Wort für "schnell" und "Leaks", dem englischen Wort für "Lecks", ist eine Internetplattform, auf der jeder anonym Dokumente veröffentlichen kann. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem der freien Enzyklopädie "Wikipedia". Allerdings möchte "WikiLeaks" vorwiegend Dokumente, die als geheim gelten, an die Öffentlichkeit bringen und damit möglichst schnell "informelle Lecks" für die Leser schließen.
"WikiLeaks" gibt es seit 2006. Gegründet wurde das Portal nach eigenen Angaben von "chinesischen Dissidenten, Journalisten und Mathematikern sowie Technikern von Startup-Unternehmen aus den USA, Taiwan, Europa, Australien und Südafrika." Seit der Gründung wurden mehr als 1,2 Millionen geheime Dokumente auf die Seiten gestellt.