Alltag in Venezuela Sogar die Geldscheine gehen aus
Wirtschaftskrise, Mangel an Alltagsprodukten, Strom- und Wasserknappheit treffen die Bevölkerung in Venezuela wie nie zuvor. Kleinen Unternehmern geht die Luft aus. Maßnahmen der Regierung vergrößern ihre Probleme noch. Nun werden sogar die Geldscheine knapp.
Von Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko Stadt
Im Waschsalon der Portugiesin Maria in Caracas laufen nur noch vier der acht Maschinen. Die anderen sind defekt. Ersatzteile gibt es nicht. Waschmittel auch kaum.
Deshalb muss Maria ihr Geschäft nach 35 Jahren aufgeben: "Ich lebe seit 1966 hier, habe aber noch nie so viel Traurigkeit erlebt. Wegen der Gewalt, weil es nichts zum Essen gibt, man für alles Schlange stehen muss. Es ist zum Verzweifeln. Dabei ist Venezuela ein so schönes Land, hat ein herrliches Klima, tolle Menschen. Ich weiß nicht, was hier geschieht. Es tut mir weh, das zu sehen."
Aus Angst vor Repressalien will Maria ihren Nachnamen nicht nennen. Wie so vielen ist ihr unverständlich, warum die Politiker es nicht schaffen, die Lage der Bevölkerung zu verbessern. Die Regierung stellt die Zeit um, damit es abends länger hell ist und die Menschen weniger Strom verbrauchen. Sie lässt die Beamten aus dem gleichen Grund nur noch an zwei Tagen in der Woche arbeiten. Sie schaltet den Strom stundenweise ab.
Doch an der Wurzel packt sie das Übel der Krise nicht. Das ölreiche Venezuela gewinnt Elektrizität fast ausschließlich aus Wasserkraft, obwohl bei jeder Dürreperiode zuerst das Wasser und dann der Strom knapp werden.
Unternehmern den Krieg erklärt
Getränkeverkäufer David stapelt leere Bierkisten. Bier verschwindet allmählich vom Markt, nachdem der größte Hersteller wegen Mangels an Zutaten seine Produktion einstellen musste. David verkauft nur noch einige Erfrischungsgetränke. Doch auch die könnten bald verschwinden, denn es gibt kaum noch Zucker. In diesen Tagen macht sich David aber vor allem Sorgen um seine teuren Kühltruhen. Sie können kaputt gehen, wenn der Strom abgeschaltet wird.
Gebetsmühlenartig schiebt die sozialistische Regierung die Schuld für die Krise auf die Unternehmer: Sie führten einen Wirtschaftskrieg gegen das Land. Doch auch David muss stundenlang anstehen, um in den leeren Läden wenigstens etwas zum Essen ergattern zu können.
Auch der Mangel kennt noch eine Steigerung
Nur dank des Erfindungsreichtums von Kleinunternehmerinnen wie Fernanda können die Venezolaner noch Fast Food am Straßenrand kaufen. Die kräftige 28-jährige verkauft Hot Dogs. Für die Zutaten steht sie täglich Schlange: "Wir müssen diese Situation irgendwie überstehen. Manchmal passiert es mir sogar, dass ich umsonst anstehe, weil schon alles ausverkauft ist."
Wenn sie dann mit ihren beiden kleinen Töchtern nach Hause kommt, ist kein Wasser da: "Sie haben uns schon für eine oder sogar zwei Wochen das Wasser abgedreht. Wie soll man zuhause ohne Wasser zurechtkommen? Auch für ein Geschäft ist es lebenswichtig. Wenn es mal Wasser gibt, sammle ich es in Kübeln oder Plastikflaschen, in allem, was ich habe. Was anderes bleibt mir nicht übrig bleibt. Schlimm ist das."
Kaum Wasser, oft kein Strom, wenige Lebensmittel - aber in Venezuela kennt selbst der Mangel noch eine Steigerung: Die Zentralbank bekommt keine neuen Geldscheine mehr. Auch die müssen, wie fast alles, importiert werden. Da Venezuela den ausländischen Druckereien aber Devisen schuldet, liefern die nicht mehr. Das bei einer horrenden Inflation, in der der größte Geldschein, 100 Bolívares, nur noch etwa acht Eurocent wert ist. Jeder Kauf erfordert so Tüten voller Scheine, aber der Nachschub versiegt: Kein Geld für Geld.