Budapest löst Brüssel ab Ungarns Vorsitz unter schlechten Vorzeichen
Das ungarische Mediengesetz hat für viel Unruhe in Europa gesorgt. Kritiker halten es sogar für unvereinbar mit den europäischen Grundwerten. Kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft wollte Premier Orbán deshalb über andere Themen reden: Reformen, stabile Verhältnisse, Pálinka-Schnaps.
Von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkstudio Südosteuropa
Ungarns Regierungschef tritt die EU-Ratspräsidentschaft selbstbewusst an. Ungarn habe es nicht nötig, das Licht unter den Scheffel zu stellen, betont Viktor Orbán. Viel sei erreicht worden, trotz ernster finanzieller Sorgen Ungarns. Das Land sei aus eigener Kraft gut aufgestellt in der EU und habe Vorbildliches geleistet: "Wir haben das bislang strengste Gesetz gegen Kriminalität geschaffen, wir bewältigen die Giftschlammkatastrophe im Oktober in Südungarn mit nationaler Geschlossenheit. Und wir haben - das darf man nicht vergessen - den Ungarn sogar wieder erlaubt, den beliebten Pelinka-Schnaps selbst zu brennen!"
Doch diese Leistungen sind zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft in den Hintergrund gerückt. Ungarn steht als Land mit EU-Vorsitz unter strenger Beobachtung. Auch die europäischen Partner sind aufmerksam geworden, seit ein neues Mediengesetz verabschiedet wurde. Kritiker sehen darin den Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken und durch die Hintertür die Zensur einzuführen.
Mahnung von Kanzlerin Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte Orbán daran, dass Ungarn als künftige EU-Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung für das Bild der gesamten Europäischen Union in der Welt trage. Hinter den Kulissen in Brüssel laufen schon Gespräche mit dem Ziel, das umstrittene Gesetz zu entschärfen.
In Ungarn halten sich die Proteste gegen das Gesetz in Grenzen. Schwerer wiegen die Einschnitte im Sozialbereich für die Menschen, deren Einkommen oft nicht mehr als 700 Euro im Monat betragen. "Es ist Ruhe im Land", sagt ein Taxifahrer in Budapest. Der Grund dafür sei einfach: Die Gegner der Regierung Orbán seien nicht so lautstark wie die Anhänger der regierenden Fidesz-Partei.
Orbán wirbt mit Stabilität und Reformen
Bei den Wahlen 2010 erreichte Orbán mit patriotischen Parolen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Mit dieser politischen Stabilität will er in den kommenden sechs Monaten punkten. Er hofft dabei auch auf die Unterstützung der abgewählten Sozialisten. Davon sehen viele in Orbán jedoch einen autoritären und streng-nationalistischen Politiker ohne große EU-Ambitionen.
"Wir haben mit den Wahlen den größten nationalen Zusammenschluss in ganz Europa geschaffen", verteidigt Orbán seinen politischen Kurs. "Wir haben die größte Steuersenkung der vergangenen 20 Jahre durchgeführt. Und wir waren es, die als erste in Europa für eine gerechte Lastenverteilung in der Wirtschaftskrise die Bankensteuer eingeführt haben."
Zündstoff gibt es genug
In der Euro-Krise steht Ungarn als Nicht-Mitglied der Euro-Zone vor einer heiklen Aufgabe. Auch von Ungarn werden hier stabile Ergebnisse erwartet. Budapest will sich außerdem für den raschen Beitritt Kroatiens zur EU einsetzen.
Insgesamt ist die rotierende EU-Ratspräsidentschaft nicht mehr so wichtig wie in den vergangenen Jahren. Seit mehr als einem Jahr ist der Lissabon-Vertrag in Kraft. Der ehemalige belgische Ministerpräsident Herman van Rompuy leitet für zweieinhalb Jahre als ständiger Ratspräsident die EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Und als eine Art EU-Außenministerin reist die Britin Catherine Ashton durch die Welt. Für Ungarn bleibt der Vorsitz der Ministerräte. Und auch hier gibt es noch immer genügend Zündstoff in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Justiz, Sicherheit oder Landwirtschaft.