Protest gegen Umgang mit Timoschenko EU-Kommission will nicht zur EM in die Ukraine
Im Streit über den Umgang der ukrainischen Regierung mit der inhaftierten Ex-Regierungschefin Timoschenko setzt die EU-Kommission ein Zeichen. Keiner der 27 Kommissare wird zu den Spielen der Fußball-Europameisterschaft in die Ukraine reisen. Die Reaktion aus Kiew folgte prompt.
Die 27 Mitglieder der EU-Kommission reisen nicht zu den Spielen der Fußball-Europameisterschaft in die Ukraine. Damit protestieren sie gegen die Politik des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und den Umgang mit der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko.
Der Verzicht auf Reisen zu den Spielen sei ein Signal, "dass man nicht zufrieden ist mit der Art und Weise, wie mit Julia Timoschenko umgegangen wird", erklärte ein Kommissionssprecher. Es handle sich "nicht um einen Boykott". Auch der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton betonte, dass die Kommission die Euro 2012 nicht boykottiere.
Die EU-Delegation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew veröffentlichte eine Erklärung zur Entscheidung. "EU-Kommissionspräsident Barroso hat nicht die Absicht, in die Ukraine zu reisen oder an den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Euro-2012 teilzunehmen", hieß es darin. "Diese Haltung wird von allen EU-Kommissaren geteilt." EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy schloss sich dem Boykott an. "Es gefällt dem Präsidenten nicht, wie sich die Situation in der Ukraine entwickelt", sagte sein Sprecher. "Deswegen wird er nicht dorthin reisen."
Ukraine bezeichnet Boykott als destruktiv
Das ukrainische Außenministerium reagierte umgehend. In einer Mitteilung bezeichnete es "Versuche, sportliche Ereignisse zu politisieren", als destruktiv. Unterstützung erhielt die Regierung in Kiew von FIFA-Präsident Joseph Blatter. "Die Politiker sollten sich jetzt beziehen auf die Werte des Sports. Und bevor sie von Boykott sprechen, sollte man sich überlegen, was das nach sich zieht", sagte der Chef des Fußball-Weltverbandes dem Deutschen Anleger Fernsehen. "Die EM muss durchgeführt werden, wo sie ist. Der Fußball soll die Leute zusammenbringen und nicht trennen", sagte Blatter.
Aus Protest gegen den Umgang der ukrainischen Behörden mit Timoschenko hatten bereits vor der Entscheidung der EU-Kommission zahlreiche Politiker einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine gefordert, wo auch das Endspiel stattfinden soll. Die Bundesbürger unterstützen mehrheitlich einen politischen Boykott der EM-Spiele in der Ukraine. Im ARD-DeutschlandTrend sprechen sich 74 Prozent der Befragten dafür aus, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Minister den Partien fernbleiben. Nur 23 Prozent sind gegen diese Maßnahme.
Amnesty: Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine ansprechen
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hält einen Boykott der EM-Spiele in der Ukraine für falsch. Politiker und Sportfunktionäre, die in die Ukraine reisen, sollten vielmehr die Gelegenheit nutzen, "um auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen", sagte der Generalsekretär von Amnesty-Deutschland, Wolfgang Grenz, dem "Handelsblatt".
Polens Regierung lehnt Boykott ab
Auch Polen, gemeinsam mit der Ukraine Gastgeber der Europameisterschaft, lehnt einen Boykott der Spiele im Nachbarland ab. Sowohl Ministerpräsident Donald Tusk als auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski wiesen solche Forderungen zurück. "Im Vergleich zu der Situation in der Ukraine sind die Forderungen nach einem Boykott unangemessen", sagte Komorowski in einem Interview des polnischen Fernsehsenders TVP1.
Komorowski erinnerte daran, dass es bisher nur bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980 und Peking 2008 Boykottaufrufe gegeben habe: "Diese waren jedoch dem Einmarsch der Russen in Afghanistan und den brutal niedergeschlagenen Freiheitsbestrebungen der Tibeter geschuldet, wo es zu Blutvergießen und Massenverhaftungen kam. Dies ist in der Ukraine aber nicht der Fall." Zudem mahnte Komorowski, ein Boykott könne die Annäherung der Ukraine an den Westen stoppen.
Der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski sprach sich allerdings für einen Boykott der Ukraine während der Fußball-Europameisterschaft aus. Der Druck auf das Nachbarland müsse verstärkt werden, schrieb Kaczynski in einem Beitrag für die polnische Nachrichtenagentur PAP.
Timoschenko setzt Hungerstreik fort
Im Mittelpunkt der Debatte um die Ukraine steht der Umgang der dortigen Behörden mit Timoschenko. Sie leidet an Bandscheibenproblemen und verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs. Die ehemalige Regierungschefin protestiert seit dem 20. April mit einem Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. Sie wirft Präsident Janukowitsch vor, die Prozesse gegen sie seien ausschließlich politisch motiviert.
Timoschenkos Tochter Jewgenija kündigte an, dass die frühere Regierungschefin den Hungerstreik fortsetzen werde. Ihr Gesundheitszustand verschlechtere sich von Tag zu Tag. Sie habe ihre Mutter am Donnerstag besucht, und diese sei "viel schwächer, als sie noch vor ein paar Tagen war", sagte Jewgenija Timoschenko am Abend im ZDF. Ihre Mutter müsse liegen und könne sich zurzeit "praktisch gar nicht bewegen".
Putin bietet Behandlung Timoschenkos an
Der gewählte russische Präsident Wladimir Putin brachte unterdessen eine mögliche Behandlung Timoschenkos in Russland ins Spiel. "Aus humanitären Gründen" übernehme Moskau gerne die Behandlung der erkrankten Oppositionsführerin, falls sie selbst dies wünsche und die Führung in Kiew zustimme, sagte Putin nach Angaben der Agentur Interfax. Zuvor hatte bereits die Bundesregierung der Ukraine eine Behandlung der 51-Jährigen in Deutschland angeboten. Die Führung in Kiew hatte aber mehrfach betont, es gebe keine Rechtsgrundlage für die Pflege von Häftlingen im Ausland.