Hafturteile in der Türkei "Absurde Justizfarce"
"Haltlos" seien die Vorwürfe gegen vier in der Türkei verurteilte Menschenrechtler, sagt der deutsche Amnesty-Generalsekretär Beeko im Interview. Wichtig sei jetzt internationaler Druck auf die Türkei.
tagesschau24: Was steckt hinter diesem Prozess?
Markus Beeko: Es ist ein absurdes Verfahren, in dem die Hafturteile gegen die vier Vertreter von Amnesty International, darunter den Ehrenvorsitzenden, Taner Kilic, und die ehemalige Amnesty-Direktorin in der Türkei, Idil Eser, gefallen sind. Das ist eine massive Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien und auch der Menschenrechte.
Von der Verhaftung, über die Untersuchungshaft, die für einige vier Monate, für Kilic aber sogar über ein Jahr gedauert hat, bis zum heutigen Prozesstag sind es drei Jahre und zwölf Prozesstage, die im Prinzip eine absurde Justizfarce sind.
Alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wurden Prozesstag für Prozesstag entkräftet. Es blieb nichts übrig. Die Vorwürfe - Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Unterstützung von Terrororganisationen - sind haltlos. Wenn es nach halbwegs rechtsstaatlichen Prinzipien zugegangen wäre, hätte heute nur ein Freispruch für alle Angeklagten stehen dürfen.
tagesschau24: Wie ist Ihre Beobachtung - unter welchem Druck stehen Richter in der Türkei?
Beeko: Wir haben gesehen, wie beispielsweise nach dem Freispruch von Osman Kavala in dem Gezi-Verfahren die Richter extrem unter Druck gerieten. Wir haben gehört, dass es heute keine einvernehmliche Entscheidung der Richter war. Dass es also sehr wohl Richter gab, die gesehen haben, dass hier alle Angeklagten hätten freigesprochen werden müssen. Das belegt nochmal die Instrumentalisierung der Justiz durch die türkischen Behörden
"Bundesregierung muss Druck ausüben"
tagesschau24: Setzt sich die deutsche Regierung hinreichend für Rechtsstaatlichkeit in der Türkei ein?
Beeko: Wir haben gesehen, wie wichtig internationaler Druck war. Die internationale Aufmerksamkeit war wichtig, um die Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Und jetzt ist es wichtig, dass die Bundesregierung, die Europäische Union, aber auch die internationale Staatengemeinschaft insgesamt massiven Druck auf die türkische Regierung ausüben, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten und die verurteilten Amnesty-Vertreter freizusprechen.
Hier ist akuter Handlungsbedarf gegeben. Die Türkei muss ein klares Signal bekommen, dass so massive Verletzungen der Menschenrechte nicht duldbar sind.
tagesschau24: Gleichzeitig setzt sich die Türkei gerade dafür ein, wieder als sicheres Reiseland eingestuft zu werden - so gestern der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Berlin. Kann man das losgelöst von der rechtsstaatlichen Situation in der Türkei sehen?
Beeko: Das zeigt noch einmal die Ironie, die an den Tag gelegt wird. Wenn die Türkei als Mitglied der Staatengemeinschaft anerkannt werden will, wenn sie auf eine Normalisierung der Beziehungen, auf den Ausbau von wirtschaftlichen Beziehungen hinwirken will, dann ist es elementar, dass all die willkürlich verfolgten Journalisten und Menschenrechtler freigesprochen werden. Es ist wichtig, dass die Einschüchterung der unabhängigen türkischen Zivilgesellschaft aufhört und dass die Türkei sich wieder wirksam für die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention einsetzt.
Hier ist noch ein weiter Weg zu gehen. Und es ist wichtig, dass die Bundesregierung - wie alle anderen Regierungen auch - hier den Druck nicht nachlässt und das weder den wirtschaftlichen Interessen noch einem EU-Türkei-Deal oder ähnlichem unterordnet.
"Instrumentalisierung der Justiz ist offensichtlich"
tagesschau24: Die türkische Regierung hatte mehrfach betont, die Justiz in der Türkei sei unabhängig. Wie glaubwürdig ist das?
Beeko: Das heutige Urteil ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden. Wie haltlose Anklagen benutzt werden, um Menschen über Monate und Jahre in Untersuchungshaft zu halten, sie einzuschüchtern und jetzt sogar Vertreter von internationalen Menschenrechtsorganisationen zu verurteilen. Insofern - die Instrumentalisierung der Justiz ist hier offensichtlich.
Das Interview führte Constantin Schreiber, tagesschau24