Razzien in Istanbul und Ankara Verhaftungswelle in der Türkei
Bei landesweiten Razzien hat die türkische Anti-Terror-Polizei mehr als 100 mutmaßliche Unterstützer der Proteste verhaftet. Die Justiz prüft derweil Einträge in sozialen Netzwerken. Denn schon der Aufruf zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration gilt als Straftat.
In der Türkei hat die Regierung ihre Ankündigung wahr gemacht und ist in einer ersten landesweiten Verhaftungswelle gegen mutmaßliche Unterstützer der Proteste vorgegangen. In den Morgenstunden wurden allein in Istanbul über 100 Menschen bei Razzien festgenommen. Auch in der Hauptstadt Ankara wurden - so bislang bekannt - 30 Personen von der Anti-Terror-Polizei abgeholt.
Polizei untersucht Facebook-Einträge
Gestern hatte der türkische Innenminister Güler angekündigt, dass Twitter- und Facebook-Einträge der vergangenen drei Wochen nach strafrechtlich relevanten Inhalten überprüft würden. Darunter fiele auch der Aufruf zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration. Überdies kündigte das Justizmisterium in Ankara an, ein Gesetz zur schärferen Überwachung der sozialen Medien erarbeiten zu wollen.
Eine Passantin am Istanbuler Taksim-Platz ist darüber empört: "Sie nennen die Demonstranten Provokateure. Aber ich finde, die Regierung und der Ministerpräsident sind die größten Provokateure! Sie wollen oder können nicht sehen, was diese Menschen wollen. Ein Minister hat sogar gesagt, wenn ihr weiter auf den Taksim-Platz demonstrieren geht, dann seid ihr Terroristen!"
Erneut stiller Protest geplant
Vermutlich auch unter diesem staatlichen Druck sind die landesweiten Proteste seit Sonntag deutlich zurückgegangen. Aufsehen erregte der stille Protest eines einzelnen jungen Mannes, der stundenlang stumm auf dem Taksim-Platz verharrte. Er wolle nur seine innere Unruhe zum Ausdruck bringen, sagte der Mann. "Als sich ihm weitere Menschen anschließen wollten, wurden diese von der Polizei abgeführt", erzählt ein Demonstrant. Im Internet rufen Aktivisten dazu auf, heute Abend um 20:00 Uhr ebenfalls fünf Minuten in stummem Protest auf der Straße zu verharren.
Erdogan poltert gegen EU
Wegen der Kritik aus Europa an den gewaltsamen Polizeieinsätzen hat die türkische Regierung die Beziehungen zur EU faktisch auf Eis gelegt. Ein geplanter Besuch des türkischen Justizministers in Brüssel wurde ebenso abgesagt wie zwei Treffen mit Delegationen des Europaparlaments.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ging die EU in einer Rede gestern frontal an. In der Türkei habe es undemokratische Aktionen gegeben, indem Parks und öffentliche Gebäude besetzt wurden. "Und da kommt ihr vom Europaparlament und verabschiedet eine Resolution gegen die türkischen Sicherheitskräfte. Dann seid ihr auch undemokratisch. Dann habt ihr auch keinen Respekt vor der Demokratie."