Visafreiheit für Türken Erdogan weist EU-Forderung zurück
"Wir gehen unseren Weg, geh du deinen": Der türkische Staatspräsident Erdogan ist nicht bereit, die EU-Forderung nach neuen Anti-Terror-Gesetzen zu erfüllen. Zuvor hatte die Bundesregierung noch versucht, die politischen Folgen des Davutoglu-Rücktritts kleinzureden.
Nur einen Tag nach dem angekündigten Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sich gegen die EU-Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetzgebung in seinem Land gewandt. "Die Europäische Union fordert von uns: Ändert das Anti-Terror-Gesetz für Visa!", sagte Erdogan im türkischen Fernsehen. "In diesem Fall werden wir sagen: 'Wir gehen unseren Weg - und ihr geht euren.'"
Die geforderten Änderungen an den Anti-Terror-Gesetzen gehören zu den 72 Kriterien, die von der Türkei für die Visafreiheit abgehakt werden müssen. Die EU-Kommission hatte vor wenigen Tagen erklärt, in einigen Bereichen müsse die Türkei noch die Bedingungen erfüllen. Die Anti-Terror-Gesetze gehören dazu. Die weitreichenden Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei entsprechen nach Auffassung der EU-Staaten nicht den europäischen rechtsstaatlichen Normen. Bislang führte Ministerpräsident Davutoglu die Verhandlungen mit der EU.
Die Bundesregierung hatte kurz vor Erdogans Auftritt noch versucht, die politischen Folgen nach dem angekündigten Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten kleinzureden. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe gut mit Davutoglu zusammengearbeitet, "und wir gehen davon aus, dass diese gute und konstruktive Zusammenarbeit auch mit einem neuen türkischen Ministerpräsidenten fortgesetzt wird", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter.
"Vereinbarungen unabhängig von Personen"
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich gegenüber "Spiegel Online" ähnlich. "Das Vereinbarte muss nun von beiden Seiten weiter konsequent umgesetzt werden, und das völlig unabhängig von handelnden Personen", sagte Steinmeier. Einen Politikwechsel fürchtet Steinmeier nach dem angekündigten Rücktritt Davutoglus nicht. "Vereinbarungen werden mit Staaten und Regierungen abgeschlossen, nicht mit Einzelpersonen."
"Schlechte Nachrichten für Europa"
Der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen schätzte die Lage kritischer ein. "In allen für Europa wichtigen Fragen wollte Davutoglu die Türkei in Richtung Europa bringen. Erdogan will das dezidiert nicht, darum sind das schlechte Nachrichten für Europa und auch für die Türkei", sagte Röttgen im Deutschlandfunk.
Die EU reagierte zurückhaltend auf den angekündigten Rückzug des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Welche Folgen der Wechsel im Amt des Regierungschefs für die Verhandlungen mit der Europäischen Union haben werde, ist nach Angaben der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zufolge noch unklar. Es sei noch zu früh, aus dem Schritt von Davutoglu Rückschlüsse zu ziehen, sagte sie. "Wir werden das zunächst mit der Türkei besprechen und zusammen festlegen, wie wir weiter vorgehen", sagte Mogherini.
Diplomaten sehen Abkommen mit Türkei in Gefahr
Diplomaten in Brüssel sind sich einig, dass der Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten keine gute Nachricht für die EU ist und das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei gefährdet. Dieses Abkommen hatte Angela Merkel persönlich mit Ahmed Davutoglu im März in der türkischen EU-Botschaft in Brüssel ausgehandelt. Die Visa-Freiheit für türkische Bürger ist ein wesentlicher Teil des Abkommens mit der EU. Die EU-Kommission empfahl die Aufhebung der Visumspflicht unter der Bedingung, dass die Regierung in Ankara unter anderem die Terrorgesetze reformiert die in der Türkei auch zur Verfolgung regierungskritischer Journalisten herangezogen werden.
Besorgte Stimmen aus Deutschland
In Deutschland äußerten Politiker die Sorge, dass Davutoglus Niederlage im Machtkampf mit Präsident Recep Tayyip Erdogan als weiteres Signal für Einschränkungen der Demokratie in der Türkei zu verstehen sei. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht die Annäherung des Landes an Europa in Gefahr. "Immerhin war Herr Davutoglu ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Europäer, und er war einer, der die Öffnung der Türkei in Richtung Europa wollte", sagte sie im Morgenmagazin. "Das kann man von Herrn Erdogan ja offenbar nicht sagen."
Der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Niels Annen, erwartet, dass Erdogan seine Verfassungsänderung für größere Machtbefugnisse "nun ohne Widerstand aus den eigenen Reihen vorantreiben" werde. "Angesichts des vorherrschenden Klimas der Repression und der laufenden Debatte über die Aufhebung der Immunität von Oppositionsabgeordneten ist dies eine schlechte Nachricht", sagte Annen.