Mutmaßliche Kriegsverbrechen Kosovos Ex-Präsident Thaci vor Gericht
Kosovos Ex-Präsident Thaci und drei früheren UCK-Kommandeuren werden fast hundert Morde sowie Verschleppung und Folter vorgeworfen. In Den Haag hat der Prozess begonnen, der sich lange ziehen dürfte.
Es ist der prominente Kern der Führungsriege der UCK, der sogenannten Kosovo-Befreiungsarmee, dem jetzt - fast ein Vierteljahrhundert nach dem Kosovo-Krieg - vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag der Prozess gemacht wird. Allen voran der damalige UCK-Kommandeur Hasim Thaci. Als er vor drei Jahren verhaftet wurde, war er noch Präsident des Kosovo.
Mord, Folter und Verschleppung
Die Anklage wiegt schwer: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Folter, Verschleppung. In der Anklageschrift ist von einer "gemeinsamen kriminellen Unternehmung" die Rede - nicht von einer "Befreiungsarmee". Die Opfer, so die Anklage, waren vor allem politische Gegner der UCK: Viele Kosovo-Albaner, vor allem aus der Partei Ibrahim Rugovas, der Symbolfigur des gewaltfreien Kampfes für die Unabhängigkeit des Kosovo. Sie galten der UCK als Verräter. Ermordet wurden aber auch Serben und Roma.
Für die Anklage kommt es nicht darauf an, ob Thaci und seine Mitangeklagten selbst gemordet und gefoltert haben. Es reicht, wenn sie von den Verbrechen wussten, aber nichts unternommen haben, um sie zu verhindern. Sie hätten schließlich die Befehlsgewalt gehabt. Thaci wies zum Prozessauftakt alle die Vorwürfe zurück und plädierte in sämtlichen Anklagepunkten auf nicht schuldig.
Tausende demonstrieren für Thaci
Am Tag vor Prozessbeginn gingen in der Hauptstadt Pristina Tausende Menschen auf die Straße, um für Thaci zu demonstrieren - für sie ist er ein Kriegsheld. Eine Demonstrantin erklärt: "Wir protestieren gegen die Ungerechtigkeit gegenüber den Befreiern des Kosovo. Die Serben haben uns in unserem Land angegriffen. Also hatten wir keine andere Wahl als zurückzuschlagen und unser Land zu verteidigen."
Die Demonstranten singen: "UCK - das Herz des Kosovo", und sie schwenken die roten Fahnen mit dem UCK-Doppeladler. Sie blicken voller Misstrauen nach Den Haag - und voller Trotz. Ein Mann meint: "Dieses Gericht wird nichts Gutes bringen. Es wird dem Ansehen unseres Landes schaden. Aber die Wahrheit wird ans Licht kommen. Sie kann nicht vertuscht und nicht verschleiert werden."
Ein Tag vor Prozessbeginn gingen Tausende Menschen auf die Straße, um für Thaci zu demonstrieren.
Kurti: "Völlig unnötig"
Auch Kosovos Premierminister Albin Kurti hält das Sondertribunal für einen der größten Fehler in der kurzen Geschichte des jungen Staates. Dieser Sondergerichtshof sei "völlig unnötig", sagt Kurti. Er traf sich mit den Anwälten der Angeklagten. Für deren Honorar sind 16 Millionen Euro im Haushalt des Kosovo eingeplant.
Das Sondertribunal in Den Haag ist international besetzt, formal aber Teil der Kosovo-Justiz. Es wurde vor acht Jahren durch das kosovarische Parlament eingerichtet - allerdings auf erheblichen Druck der westlichen Verbündeten, die der Justiz in Pristina nicht genügend Unabhängigkeit zutrauten. Vor allem aber wurde befürchtet, Zeugen könnten bedroht werden und verstummen, wenn die ehemaligen UCK-Größen im Kosovo vor Gericht stehen - und nicht im fernen Den Haag.
UCK eine Truppe von Freiheitskämpfern?
Die UCK gehört zum Gründungsmythos des jungen Staates - nach einem blutigen Krieg, in dem 13.000 Menschen getötet wurden und der nur durch einen NATO-Einsatz beendet werden konnte. Für die meisten ist die UCK eine Truppe von Freiheitskämpfern, keine kriminelle Vereinigung. Der Prozess gegen Thaci und die anderen relativiere die serbischen Kriegsverbrechen, heißt es.
Es dürfte ein langer Prozess werden: 312 Zeugen der Anklage sind benannt. Die vier Hauptangeklagten sitzen bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft. Neben Ex-Präsident Thaci auch Kadri Veseli, Ex-Geheimdienstchef der UCK, ehemaliger Sprecher des Kosovo-Parlaments und zuletzt Vorsitzender der "Demokratischen Partei", dann Rexhep Selmimi, zuletzt Fraktionsvorsitzender der Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Kurti, und Jakup Krasniqi, Ex-UCK-Sprecher und zuletzt die Nummer zwei der Sozialdemokratischen Partei im Kosovo.
"Wir sagen nicht, dass keine Dinge passiert sind"
Thacis Anwalt will als Argument nutzen, dass die UCK keine reguläre "Armee" mit klaren Befehlsketten gewesen sei - sondern eine Art "Graswurzel-Truppe" mit Männern aus den Dörfern der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo, die sich gegen die Angreifer, die serbische Armee des damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic, wehrten.
Ex-Präsident Thaci habe nie Befehle an Einzelpersonen erteilt, er sei nie für Kampfeinsätze zuständig gewesen: "Er war immer eine politische Person", so die Verteidigung. Die Verteidigung stellt im Übrigen nicht infrage, dass Verbrechen begangen wurden. Zitat: "Wir sagen nicht, dass vor Ort keine Dinge passiert sind."