Daten und Fakten zu syrischen Flüchtlingen Nur ein Tropfen auf den heißen Stein

Stand: 22.10.2015 12:56 Uhr

Nach langem Hin und Her hat Deutschland beschlossen weitere 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Wie ist das einzuschätzen? Und was tut Deutschland darüber hinaus für die Menschen aus dem Bürgerkriegsland? Informationen dazu hat tagesschau.de zusammengestellt.

Von Sandra Stalinski, tagesschau.de

Wie viele Syrer sind auf der Flucht?

Das UN-Flüchtlingswerk spricht aktuell von etwa 2,9 Millionen Syrern im Exil. Die meisten davon haben in den Nachbarländern Zuflucht gefunden: 1,1 Millionen syrische Flüchtlinge leben zur Zeit im Libanon - bei einer Einwohnerzahl von 4,4 Millionen Menschen. Etwa 790.000 sind in die Türkei geflüchtet, mehr als 600.000 nach Jordanien und etwa 225.000 in den Irak. Etwa 138.000 Flüchtlinge haben sich nach Ägypten durchgeschlagen. Zudem sind Schätzungen zufolge weit mehr als 6,5 Millionen Syrer Vertriebene im eigenen Land.

Im Vergleich dazu ist das Engagement Europas bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge gering: Zwar nimmt Deutschland innerhalb Europas die meisten Flüchtlinge auf. In Anbetracht der Flüchtlingszahlen ist das bislang zugesagte Kontingent von 25.500 syrischen Flüchtlingen durch Bund und Länderprogramme dennoch wenig.

Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Europa
Land Aufnahme über Sonderprogramme
Deutschland 25.500
Österreich 1500
Schweden 1200
Norwegen 1000
Finnland 500
Frankreich 500
Niederlande 250
Schweiz 500
Dänemark 140
Spanien 130 (Quelle: UNHCR)

Wie viele Syrer hat Deutschland bereits aufgenommen?

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) haben seit Beginn der Krise 2011 bisher etwa 43.000 Flüchtlinge in Deutschland Zuflucht gefunden, die Mehrheit davon sind Asylbewerber. Etwa 31.000 davon haben sich auf eigene Faust nach Deutschland durchgeschlagen.

Der Bund hat sich verpflichtet, in mehreren humanitären Aufnahmeprogrammen insgesamt 20.000 syrische Flüchtlinge auf. Die Einreise läuft allerdings langsam. Aus dem ersten Aufnahmeprogramm, beschlossen im Mai 2013, sind mit Charterflügen inzwischen alle 5000 Flüchtlinge eingereist. Über das zweite Aufnahmeprogramm, beschlossen im Dezember 2013, sind bislang etwa 1500 Syrer gekommen. Im Juni 2014 einigten sich die Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern auf ein drittes Aufnahmeprogramm, mit dem weitere 10.000 Flüchtlinge aufgenommen werden sollen. Dass der Bedarf jedoch wesentlich höher ist, zeigt die hohe Zahl der Einreisewilligen: Allein für das zweite Aufnahmeprogramm gab es 76.000 Anträge.

Zudem haben alle Bundesländer - bis auf Bayern - eigene Sonderprogramme zur Aufnahme von Syrern gestartet, für die laut BMI bereits etwa 6000 Visa erteilt wurden. Die Bundesländer machen die Aufnahme der Flüchtlinge aber davon abhängig, dass sich in Deutschland ein Verwandter oder Bekannter verpflichtet, für den Unterhalt der Flüchtlinge aufzukommen. Künftig werden, nach einem Beschluss der Innenminsiterkonferenz, in allen Bundesländern die Krankenkosten jedoch übernommen.

Seit Beginn des Konflikts gab es zudem etwa 37.000 Asylbewerber aus Syrien, zwischen 1500 und 2000 neue Asylanträge werden jeden Monat gestellt. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) liegt die Schutzquote für syrische Flüchtlinge bei knapp 90 Prozent. Das heißt, knapp 90 Prozent der Asylbewerber wird ein Schutzstatus (Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz) in Deutschland gewährt. Da seit 2011 ein Abschiebestopp für Syrien gilt, werden aber auch die anderen nicht des Landes verwiesen, sondern in Deutschland geduldet.

Welchen Status haben die Flüchtlinge in Deutschland?

Die syrischen Flüchtlinge, die in die Sonderprogramme des Bundes oder der Länder aufgenommen werden, müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Sie brauchen aber ein Visum, das sie zumeist in den deutschen Botschaften der syrischen Nachbarstaaten beantragen können. Sie erhalten sofort für zunächst zwei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis, die wiederum später verlängert werden kann. Im Gegensatz zu Asylbewerbern dürfen sie in Deutschland arbeiten.

Ein Asylantrag hingegen muss persönlich in Deutschland gestellt werden. Vom Ausland aus ist dies nicht möglich. Über den Antrag entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Nach welchen Kriterien werden die Flüchtlinge ausgewählt?

Bei den drei Aufnahmeprogrammen des Bundes wurden Syrer bevorzugt, die bereits Verwandte in Deutschland haben. Außerdem wurde nach humanitären Kriterien entschieden, beispielsweise durften besonders schutzbedürftige Eltern mit Kindern bevorzugt einreisen, genauso wie Menschen, die nach dem Ende des Konflikts einen besonderen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes leisten können.

Seit dem zweiten Aufnahmeprogramm des Bundes wurde vereinbart, dass der überwiegende Teil der Vorschläge von den Ländern kommt. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Aufnahme von Personen, die bereits Verwandte in Deutschland haben.

Was tut Deutschland darüber hinaus für die Menschen in Syrien?

Laut Bundesinnenministerium beläuft sich Deutschlands Unterstützung für die Syrienkrise seit 2012 auf rund 548 Millionen Euro. Davon entfallen rund 290 Millionen Euro auf humanitäre Hilfe. Das restliche Geld fließt in strukturbildende Übergangshilfe und Krisenbewältigung. Beispielsweise leistet das Technische Hilfswerk (THW) in der Region, insbesondere in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Nordirak, Hilfe durch die Bereitstellung der Wasserversorgung. Außerdem wird unter anderem im Norden Syriens, wo weite Landstriche seit Jahren in oppositioneller Hand sind, dafür gesorgt, dass Müllabfuhr, Bäckereien oder Schulen wieder funktionieren.

Welche Kritik gibt es?

Menschenrechtsorganisationen kritisieren den jüngsten Beschluss, lediglich 10.000 weitere Flüchtlingen aufzunehmen. Amnesty International forderte ein wesentlich höheres Aufnahmekontingent, die Gesellschaft für bedrohte Völker nannte die Zahl von mindestens 50.000.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl plädierte sogar für die Aufnahme von 80.000 syrischen Flüchtlingen. Nach ihren Angaben haben so viele Angehörige von in Deutschland lebenden Syrern einen Antrag auf Einreise gestellt. Die müsse ihnen auch gestattet werden. "Angesichts der humanitären Katastrophe in Syrien ist die Zahl von weiteren 10.000 Flüchtlingen aberwitzig", sagt Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt im Gespräch mit tagesschau.de. In Deutschland gebe es die größte syrische Community in Europa und es sei ganz natürlich, dass die Menschen gerne dorthin kommen wollen, wo sie bereits Verwandte haben. "Und die Erfahrung zeigt uns, dass sie sich dann auch besser integrieren", sagt Burkhardt.

Auch die Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter forderte einen stärkeren Einsatz Deutschlands. Die zugesagten weiteren 10.000 Flüchtlinge, seien nicht mehr als "ein Tropfen auf den heißen Stein". Es sei "abscheulich", dass syrische Bürgerkriegsflüchtlinge auf brutalste Art und Weise an den Außengrenzen der EU zurückgewiesen würden, sagte Peter weiter. "Sie brauchen eine sichere Einreise in die EU." Die Bundesregierung solle sich für ein gemeinsames Europäisches Aufnahmeprogramm einsetzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 12. Juni 2014 um 12:00 Uhr.