Blick auf die syrische Hauptstadt Damaskus
interview

Abschiebungen aus Deutschland Wie sicher ist Syrien für Rückkehrer?

Stand: 23.11.2018 19:36 Uhr

Deutschland schiebt keine abgelehnten Asylbewerber nach Syrien ab, aber nach Afghanistan. Warum die Sicherheitslage in den Ländern so unterschiedlich beurteilt wird, erklärt Politikwissenschaftler Ferhad Seyder im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Sicherheitslage für Rückkehrer in Syrien ein?

Ferhad Seyder: Das hängt von der jeweiligen Region in Syrien ab: Zum Beispiel kann man das Gebiet im Norden des Landes, das die Kurden Rojava nennen und das unter der Herrschaft der syrisch-kurdischen Partei PYD steht, vielleicht als sicher betrachten. Aber nur, wenn man kein Gegner der PYD ist. Auch für Islamisten ist es nicht sicher. Sie würden verfolgt werden. Nicht-politische Menschen würden dort durchaus unbehelligt leben können. Gegner der Kurden und Islamisten jedoch nicht. Darüber hinaus gefährlich in der Region sind die ständigen Drohungen des türkischen Präsidenten Erdogan.

Damaskus ist auch bedingt sicher. Alle Gebiete, die der syrische Staat unter Bashar al-Assad in den letzten drei Jahren erobert hat, sind mehr oder weniger sicher. Aber das gilt aber nicht für Gegner des Regimes. Ich vermute, dass die meisten Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, mit Politik überhaupt nichts zu tun gehabt haben. Aber sie fühlen sich dennoch gefährdet.

Ferhad Seyder
Zur Person
Ferhad Seyder ist Politikwissenschaftler. An der Universität Erfurt leitet er den Fachbereich Sozialwissenschaften der Mustafa Barzani Arbeitsstelle für Kurdische Studien. Er wurde im April 1950 im Norden Syriens geboren.

tagesschau.de: Was macht Syrien so gefährlich für Rückkehrer?

Seyder: In keinem anderen Krisenland funktioniert der Staat so präzise wie in Syrien. In Damaskus befinden sich die großen Universitäten des Landes, die großen Produktionsstätten und die großen Krankenhäuser. Die Lehrer und Verwaltungsbeamten bekommen Monat für Monat ihre Gehälter, egal, wo im Land sie leben - auch im kurdischen Gebiet. Die Älteren bekommen ihre Renten.

Aber Syrien ist kein Paradies, nur weil der Staat funktioniert. Es ist zwar kein gescheiterter Staat, aber dennoch ein fragiler Staat. In Damaskus sitzen keine Engel. Der Staat ist immer noch ein autoritärer Staat. Jeder, der zurückkommt, wird verhört. Wenn er kein Gegner des Regimes ist, kann er theoretisch nach Hause gehen. Aber wenn er ein Gegner ist, dann wird er verhaftet und geht ins Gefängnis.

Syrien mit Damaskus

Zwei Länder, aus denen Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ...

tagesschau.de: Welche Unterschiede gibt es zwischen Syrien und Afghanistan in Bezug auf die staatlichen Strukturen?

Seyder: Die Idee des Staates hat sich in Afghanistan nie verwurzelt. Das Recht des Staates, das Gewaltmonopol in der Hand zu halten, haben die meisten Afghanen niemals akzeptiert. Dafür braucht es noch lange. Mehrere gesellschaftliche Gruppen beanspruchen für sich das Recht, Gewalt anzuwenden. Die Gesellschaft in Afghanistan ist stärker als der Staat.

In Syrien ist die Idee der Staatlichkeit allgemein akzeptiert. Der syrische Staat ist auch international legitimiert. Niemand hat ihn bislang in Frage gestellt.

tagesschau.de: Aber Assads Regime wurde und wird massiv in Frage gestellt, auch wenn er Verbündete hat.

Seyder: Dennoch ist Syrien Mitglied der UN. Die syrische Regierung sitzt in allen internationalen Gremien und verhandelt.

"Nur für den Dienstgebrauch"
Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, auf dessen Grundlage das Bundesinnenministerium entschied, keine Asylbewerber nach Syrien abzuschieben, wurde Mitte November fertig gestellt. Er ist als "Verschlusssache" und "Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft. Deshalb ist über den Inhalt kaum etwas bekannt.

Der Bericht dient Behörden und Gerichten als eine von mehreren Informationsquellen, wenn es um Asyl- und Aufenthaltsfragen geht.

Das Erstellen eines solchen Situationsberichtes für Syrien ist den Angaben des Auswärtigen Amtes zufolge nicht einfach. Denn Deutschland hat keine funktionierende Botschaft in dem Land. Erkenntnisse gewinnen die Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes beispielsweise von Organisationen der Vereinten Nationen, aus Medienberichten oder auch von Staaten, die eine diplomatische Vertretung in Syrien haben.

tagesschau.de: Wie unterschiedlich lässt sich die Gefahr für Rückkehrer in Syrien und die in Afghanistans beschreiben?

Seyder: Wenn jemand als Flüchtling zurück nach Afghanistan kommt, hat er vom Staat keine Repressalien zu erwarten. Auch nicht von den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen. Das ist in Syrien anders. Der afghanische Staat hat kein Interesse, Flüchtlinge zu verfolgen. Ich habe nie bei meinen Recherchen und Arbeiten gehört, dass der afghanische Staat Flüchtlinge verhört hat, sie ins Gefängnis gesteckt oder gefoltert hat, wie es in Syrien sein kann. Der afghanische Staat ist sehr tolerant. Es ist jedoch eine Toleranz aus Schwäche.

tagesschau.de: Aber in Afghanistan geht die entscheidende Gefahr ja von den Extremisten aus - zum Beispiel von den Taliban oder den Ablegern der Terrormiliz "Islamischer Staat", die regelmäßig Anschläge verüben.

Seyder: Aber die Taliban haben nicht das Ziel, Flüchtlinge zu verfolgen. Sie haben andere Ziele, politische Ziele. Viele Beobachter sagen, wenn die ausländischen Truppen Afghanistan verlassen, dann werde es nicht lange dauern, und die Taliban werden die Macht in Kabul übernehmen. Einfache Leute werden jedoch nicht verfolgt. Sie sind strategisch nicht wichtig für die Taliban. Die Taliban wollen die Elite, die mit dem Westen zusammenarbeitet, von der Macht vertreiben.

Das Gespräch führte Günter Marks, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 23. November 2018 um 20:00 Uhr.