Interview zur Lage im Sudan "Der Südsudan wird schwach und instabil sein"
Außenminister Westerwelle besucht den Sudan. Was kann er erreichen? Deutschland hat in der Region wenig Einfluss, meint Sudan-Experte Wolfram Lacher. Im Interview mit tagesschau.de spricht er von der schwierigen Zukunft des Südsudans, eines neuen Staats mit vielen Konflikten und Machtkämpfen.
tagesschau.de: Was kann Außenminister Westerwelle mit seiner Reise bewirken?
Wolfram Lacher: Die gegenwärtige Situation im Sudan ist sehr kritisch. Im Süden wie im Norden wüten zahlreiche Konflikte, die Streitfragen zwischen Nord- und Südsudan sind weitgehend ungelöst. Das heißt, es gibt für externe Akteure viel zu tun. Allerdings ist Deutschland im Sudan kein großer Akteur. Eine sehr viel größere Rolle spielen die USA, Großbritannien, China und die Nachbarstaaten. Der Spielraum des deutschen Außenministers, auf die Lage Einfluss zu nehmen, ist begrenzt.
Wolfram Lacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sudan, das Horn von Afrika und die Umbruchssituation in Libyen. Zur Situation im Sudan hat er zahlreiche Schriften veröffentlicht.
tagesschau.de: Seit einigen Tagen ruhen die Kämpfe in Abyei. Nach Appellen der USA, der EU und der UNO haben sich beide Seiten auf einen Rückzug aus der Grenzregion geeinigt. Weckt dies Hoffnung auf Frieden zwischen Nord- und Südsudan?
Lacher: Das Abkommen ist nur ein erster Schritt, es könnte aber die Grundlage schaffen für eine Einigung über den endgültigen Status des Gebiets. Die Region muss demilitarisiert werden, auch die Milizen müssen entwaffnet oder abgezogen werden, und die äthiopischen UN-Truppen müssen Zugang zu der Region bekommen, um die Waffenruhe zu kontrollieren. Ob das gelingt, ist ungewiss.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt das Erdöl in den Konflikten zwischen dem Norden und dem Süden?
Lacher: Während des langen und blutigen Bürgerkriegs hat der Kampf um die Ölfelder den Konflikt geschürt. Mit dem Friedensabkommen von 2005 wurden die Einnahmen aus der Ölförderung des Südens aufgeteilt, das war ein wichtiger Anreiz zur Einhaltung des Abkommens und hat die Situation stabilisiert. Auch nach der Unabhängigkeit wird der Süden weiter auf die Pipelines durch den Norden angewiesen sein, um sein Erdöl zu exportieren. Der Norden ist in einer stärkeren Position, denn für den Süden sind die Erdöl-Exporte die einzige Einnahmequelle. Entscheidend ist, ob beide Seiten ein nachhaltiges Abkommen über die Erdölförderung schließen werden. Es ist aber im Interesse beider Seiten, und das könnte eine Chance sein.
tagesschau.de: Heftige Kämpfe gibt es auch in den Nuba-Bergen. Droht dieses Gebiet zu einem zweiten Darfur zu werden?
Lacher: In den Nuba-Bergen im Zentralsudan ist die Lage dramatisch. Dort kämpft die Armee des Nordens gegen Truppen, die ehemals zur Armee des Südens gehört haben. Tausende sind auf der Flucht. Die Lage für die Zivilbevölkerung ist furchtbar. Da droht in der Tat eine neue humanitäre Katastrophe.
tagesschau.de: Wird sich durch die offizielle Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli die Situation beruhigen?
Lacher: Der Südsudan wird ein sehr schwacher und instabiler Staat sein mit zahlreichen Konflikten, mit Rebellion und Machtkämpfen. Die Frage ist, ob die UN-Friedenstruppe für den Südsudan es schaffen wird, das Land zu stabilisieren. Die Herausforderungen für die UN im Südsudan sind immens.
tagesschau.de: Der Westen hat die Unabhängigkeitsbewegung im Südsudan früh unterstützt. War das falsch?
Lacher: Spätestens seit dem Friedensvertrag von 2005 gab es keine wirkliche Alternative zur schrittweisen Unabhängigkeit. Alle Versuche, dem Südsudan die Unabhängigkeit zu verwehren, hätten zu einem neuen Krieg geführt.
tagesschau.de: Was kann die Internationale Gemeinschaft tun, um das friedliche Miteinander zu fördern?
Lacher: Die Internationale Gemeinschaft kann nachhaltige Kompromisslösungen zwischen beiden Seiten unterstützen, in dem sie zum Beispiel im Gegenzug einen Schuldenerlass gewährt. Und natürlich muss sie die Einhaltung eines noch ausstehenden Abkommens für die gesamte Grenzregion überwachen.
tagesschau.de: Der Konflikt in Darfur spielt kaum mehr eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung. Ist er tatsächlich beigelegt?
Lacher: In Darfur wird täglich gekämpft. Die Bevölkerung leidet weiter unter Unsicherheit, Gewalt und Vertreibung. Darfur ist von der Bildfläche des internationalen Interesses verschwunden, weil die ganze Aufmerksamkeit auf den Spannungen zwischen Nord und Süd liegt.
tagesschau.de: Sudans Präsident Omar al Baschir ist noch immer in Amt und Würden, obwohl gegen ihn ein Haftbefehl vorliegt wegen der Kriegsverbrechen in Darfur. Warum lässt man ihn unbehelligt?
Lacher: Die USA und andere westliche Staaten wollen die Regierung in Khartum zur Kooperation mit dem Südsudan und zur Konfliktlösung in Darfur bewegen. Eine Politik gegen al Baschir würde diese Bereitschaft untergraben. Dann würde die Situation gänzlich eskalieren.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de
Der Sudan wurde jahrzehntelang vom Bürgerkrieg zwischen dem Norden und Süden des Landes geprägt, dem schätzungsweise zwei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Der Süden wird überwiegend von Christen und Anhängern von Naturreligionen bewohnt, während der bislang die Zentralgewalt ausübende Norden muslimisch geprägt ist.
2005 schlossen beide Parteien einen Friedensvertrag, in dem ein Referendum über die Loslösung des Südsudans vom Norden vereinbart wurde. Im Januar 2011 stimmten schließlich fast 99 Prozent der Bevölkerung im Südsudan für die Unabhängigkeit. Die offizielle Unabhängigkeitserklärung soll am 9. Juli erfolgen, während Deutschland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat.
Dennoch gibt es weiter Konflikte, etwa um die Zugehörigkeit der ölreichen und fruchtbaren Grenzregion Abyei. Auch in den Nuba-Bergen wird weiter gekämpft. Zwar gehört die Region geografisch zum Nordsudan, die Bevölkerung fühlt sich aber eher dem Süden zugehörig.
Neben dem Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden dauern die Kämpfe in der Krisenregion Darfur weiter an. Seit 2003 liefern sich dort schwarzafrikanische Rebellen einen blutigen Bürgerkrieg mit arabischen Reitermilizen ("Dschandschawid"), die von der Regierung in Khartum unterstützt werden. Hunderttausende Menschen wurden getötet, Millionen sind auf der Flucht.