Krieg gegen die Ukraine Der Zorn russischer Soldatenfrauen
Verletzt, unerfahren, alleingelassen: Im Netz kursieren Dutzende Appelle wütender Soldatenfrauen. Ein "Rat der Mütter und Frauen" übt nun landesweit Druck auf die Regierung aus. Wladimir Putin versucht zu beschwichtigen.
Das Video dauert nur drei Minuten und zeigt doch vieles von dem, was Russland nicht über seinen Krieg in der Ukraine öffentlich sehen will: Es ist eine chaotische Szene, dunkel und verwackelt. Zu sehen sind Männer in Uniform, zu hören Frauenstimmen. Laut russischen Medienberichten gut 20 Frauen, die Anfang November in die Nähe der ukrainischen Grenze reisten, um ihre Männer zu suchen und aus den besetzten Gebieten herauszuholen.
Ein Militärangehöriger warnt die Frauen, sie würden unnötig Panik schüren. "Wie aber kann ich nicht in Panik geraten", entgegnet die Frau aus dem Off, "wenn sie losgegangen sind und ihnen aber noch nicht mal ein Auto gegeben wurde?" Mutmaßlich geht es dabei um die Angehörigen der Frauen, die sich bereits auf den Weg raus aus dem Kampfgebiet gemacht haben sollen. Einer der Militärs versucht zu beschwichtigen: Die gesuchten Männer würden nicht in seiner Division dienen. Die Frauen entgegnen wütend: "Reden Sie keinen Unsinn!" So etwas hörten sie schon die ganze Zeit.
Keine generelle Kritik am Krieg
Seit Wochen kursieren im russischen Internet Videos wie dieses: von wütenden oder verzweifelten Frauen. Meist ist es Kritik an Regionalverwaltungen, manchmal auch an der Führung in Moskau - selten aber generelle Kritik am Krieg.
Elena Kuznetsowa ist die Ehefrau eines mobilisierten Soldaten aus Wologda. In einem Video erzählt sie, umringt von anderen Frauen, dass ihre Männer lediglich viermal zum Schießstand gegangen seien, bevor sie in die Ukraine gemusst hätten. Danach zählt sie eine Menge Fragen auf: "Warum gab es keine richtige militärische Ausbildung? Warum keine Kommandeure und klare Aufgaben? Warum keine technische Ausstattung?" Am Ende fordert sie "die Rückkehr unserer Ehemänner und Söhne aus der Hölle."
Eine andere Soldatenfrau, Irina Vitalinka, hat auf dem sozialen Netzwerk "VKontakte" eine Petition gestartet. Sie fordert, dass Mobilisierte nur in zweiter oder dritter Reihe kämpfen sollten. Doch sie schreibt im Text zu ihrer Petition auch, dass Russland eine "zuverlässige Verteidigungslinie" brauche. Dass ihre Jungs "für ihre Heimat und ihre Familien einstehen." Als Deserteure oder ähnliches sollen die mobilisierten Soldaten demnach nicht gesehen werden. Krieg ja, nur bitte nicht so. Nicht mit Mobilgemachten, die trotz fehlender Ausbildung an vorderster Front kämpfen müssen.
Fast 50.000 Menschen haben Vatilinkas Petition bislang unterschrieben. Eine Interviewanfrage des ARD-Studios Moskau lehnte sie allerdings ab: Sie befürchte, schrieb sie, dass ihre Aussagen zu "ukrainischen Kriegsverbrechen und dem Mitwirken europäischer Staaten" rausgeschnitten würden und stattdessen lediglich "ihre Unzufriedenheit gegenüber Russland" übrig bleibe.
"Rat der Frauen und Mütter" übt scharfe Kritik
Erst am Mittwoch hatte sich in Moskau der "Rat der Frauen und Mütter" zu einem runden Tisch getroffen. Es ist eine mittlerweile landesweite Bewegung, der Soldatenfrauen aus fast 90 russischen Städten angehören sollen, wie Olga Tsukanowa, eine Vertreterin des Rates gegenüber dem Online-Medium Doszhd erklärte. Fast drei Stunden lang wurde diskutiert und live gestreamt.
Am Ende stand eine scharf formulierte gemeinsame Erklärung: "Wir, die Bürger Russlands" beginnt diese, "drücken unser Misstrauen gegenüber dem Machtsystem aus". Die Führung des Landes sei korrupt, heißt es dort. So korrupt, dass es die Bevölkerung selbst sei, die Soldaten mit Schuhen und Kleidung versorgen müsse. Es herrsche ein "katastrophaler Mangel an Kommandeuren". Seit Jahren sei die russische Armee heruntergewirtschaftet worden.
Doch statt "Korruption und Gesetzlosigkeit in der Armee und an der Kontaktlinie nachzugehen", so die Erklärung, werde die Rede- und Meinungsfreiheit eingegrenzt. Die Vertreterin des Rates, Olga Tsukanowa, berichtete davon, wie ihr vermummte Männer bis nach Hause folgen würden. Wie Autos hinter ihr herführen. Und der Journalist Ilja Baltabajew, der den Rat bei seiner Arbeit unterstütze, soll sogar angegriffen worden sein.
Putin trifft sich persönlich mit Frauen
Nur einen Tag nach dem Runden Tisch in Moskau kündigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dann an, Wladimir Putin wolle sich persönlich mit Soldatenmüttern treffen. Der Rat der Frauen und Mütter allerdings wurde nicht eingeladen. Dabei seien sie extra nach Moskau gereist, erklärte Tsukanowa, und bereit, einen Dialog zu führen. "Aber aus irgendeinem Grund laden sie keine echten Leute ein", kritisierte das Ratsmitglied vorab. Stattdessen seien es "behördennahe Mütter", wenn es überhaupt Mütter seien, mutmaßte Tsukanowa vorab. Das Treffen eine Art Backstage-Meeting - "das war's."
Wladimir Putin traf in Moskau eine Gruppe von ausgewählten Frauen, die Mütter getöteter sowie derzeit kämpfender Soldaten sein sollen. "Ich möchte, dass Sie wissen, dass wir diesen Schmerz mit Ihnen teilen, und dass wir natürlich alles dafür tun werden, damit Sie sich nicht vergessen fühlen", so der russische Präsident.
Ob Tsukanowa Recht behalten sollte, ist schwer zu sagen. Denn von dem heutigen Treffen wurde lediglich Putins eigene Einleitung öffentlich übertragen. Darin versprach er anlässlich des anstehenden Muttertages mit fast brüchiger Stimme, dass er persönlich den Schmerz der Anwesenden teile. Die Führung des Landes werde "ihr Bestes tun", erklärte er, damit sich die Soldatenmütter nicht vergessen fühlen würden, damit sie "eine Schulter neben sich spüren".
Doch bei all den scheinbar warmen Worten warnte Putin auch lang und breit vor Fakes und Lügen in den Medien. Denn auch das sei eine Waffe, so der russische Präsident. Allen hier sei allerdings klar, dass das Leben komplexer und vielfältiger sei als das, was es im Netz zu sehen gebe. Was die anwesenden Soldatenmütter darauf geantwortet haben, hätte man gerne gehört - doch da, war die Übertragung schon vorbei.