Nach Zuwanderungs-Referendum Diese Folgen drohen der Schweiz
Das Votum der Schweizer Bevölkerung ist in der EU mit Sorge aufgenommen worden. Welche Konsequenzen sind zu erwarten - für die in der Schweiz lebenden Ausländer und die Beziehungen zwischen EU und Schweiz? Fragen und Antworten im Überblick.
Kann die EU die Entscheidung der Schweizer außer Kraft setzen?
Nein, das ist nicht möglich. Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union, insofern handelt es sich beim Ergebnis der Volksabstimmung um eine souveräne Entscheidung der Schweiz.
Allerdings ist de Schweiz als "assoziiertes Land" eng mit der EU verbunden. Nach dem Freihandelsabkommen von 1972 entstanden mittlerweile 120 bilaterale Verträge, die bestimmte Bereiche regeln. Die Abkommen sichern der eidgenössischen Wirtschaft den Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Zusammenarbeit mit der EU bei Forschung, Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur.
Welche Sanktionsmöglichkeiten hat die EU gegenüber der Schweiz?
1999 unterzeichnete die Schweiz ein Paket von sieben Abkommen mit der EU, die sogenannten Bilateralen I. Wichtigster Teil ist die Personenfreizügigkeit, das heißt, die Arbeitsmärkte wurden schrittweise geöffnet. Die sieben Abkommen sind dabei durch eine sogenannte "Guillotine-Klausel" miteinander verknüpft. Sollte die Schweiz die Vereinbarung zur Personenfreizügigkeit aufkündigen, steht deshalb das gesamte Paket zur Disposition.
Hier kann die EU ansetzen und Druck aufbauen, denn die bestehenden Abkommen sind ein völkerrechtlicher Vertrag. Umgekehrt ist die Schweizer Regierung aber durch die Verfassung an das Ergebnis der Abstimmung gebunden. Sollte sie es nun umsetzen, würde die Schweiz gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen. Nach Ansicht von Markus Kotzur, Professor für Völkerrecht an der Universität Hamburg, könnte die EU dann theoretisch Schadensersatz verlangen. Doch das sei unwahrscheinlich. Der Völkerrechtsprofessor erwartet vielmehr eine Neuaushandlung der Verträge.
Welche Konsequenzen muss die Schweiz fürchten?
Enorme - vor allem für Schweizer Unternehmen. Denn die sieben Abkommen machen den Export einfacher. So erleichtert die EU der Schweiz den Handel mit Agrarprodukten - etwa Käse - und die Zulassung von Produkten in Europa. Die EU ist dabei für die Schweiz der mit Abstand wichtigste Handelspartner. 56 Prozent der Ausfuhren - Waren im Wert von 90 Milliarden Euro - gingen 2013 aus der Schweiz in die Länder der Gemeinschaft.
Der wichtigste Handelspartner unter den EU-Staaten ist Deutschland. Fast ein Fünftel aller Exporte gehen an den Nachbarn, knapp 30 Prozent aller Einfuhren kommen von dort. Zudem würden auch die Verträge nichtig, die der Schweiz den Zugang zu den Schienen- und Luftverkehrsmärkten der EU sowie EU-Forschungsprogrammen gewähren.
Was bedeutet die Entscheidung für die Beziehungen der Schweiz zur EU?
Zunächst scheint sich eine Verschlechterung der Beziehungen abzuzeichnen. Eine Sprecherin der EU-Kommission unterstrich bereits, die Freizügigkeit sei der EU "heilig". Sie kündigte zudem an, dass die EU "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen zwischen der Union und der Schweiz" analysieren werde.
Die Schweizer Regierung strebt dagegen bereits Gespräche an, "um über das weitere Vorgehen und die Aufnahme von Verhandlungen zu diskutieren". Alle Seiten seien auch innerhalb der Schweiz angesichts einer florierenden Wirtschaft an einer raschen Lösung interessiert, sagte der Politologe Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern.
Kann das Abkommen nachverhandelt werden?
Das hängt vom politischen Willen aller Beteiligten ab. Wenn die Schweiz der EU mitteilt, dass sie das Abkommen nicht mehr einhalten kann, dann muss die EU entscheiden, ob sie über Änderungen zu verhandeln bereit ist. Ohne Einigung würden sämtliche sieben Verträge von 1999 ihre Gültigkeit verlieren. Allerdings ist davon auszugehen, dass beide Seiten dies vermeiden wollen. Zunächst muss der schweizerische Bundesrat entscheiden, welche Änderungen er der EU vorschlägt.
Wie schnell sind Änderungen zu erwarten?
Von heute auf morgen wird sich nichts ändern, schließlich gibt der Volksentscheid der Regierung eine Umsetzungsfrist. "Der Ball liegt jetzt im Feld der Schweiz", so die Sprecherin der EU-Kommission.
Die Schweizer Regierung erwartet insgesamt allerdings einen "Systemwechsel in der Zuwanderungspolitik" und will noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf ausarbeiten, der die Vorgaben der Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" erfüllt und innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden soll. Da die Einzelheiten allerdings offen sind, ist hier Spielraum für Verhandlungen.
Was bedeutet das Ergebnis für die in der Schweiz lebenden Ausländer?
Nach offiziellen Angaben leben 1,9 Millionen Ausländer in der Schweiz, das sind 23,5 Prozent der Bevölkerung. Die größte Gruppe mit 291.000 sind Italiener, die Deutschen liegen mit 284.000 auf Rang zwei, gefolgt von Portugiesen und Franzosen. Zudem pendeln etwa 270.000 europäische Grenzgänger täglich zur Arbeit in die Schweiz.
Für sie alle ändert sich aktuell noch nichts. Inwiefern sie nach Inkrafttreten eines neuen Gesetzes betroffen sind, wird Experten zufolge auf die neue Regelung ankommen. Auch dann genießen die Ausländer in der Schweiz aber weiterhin rechtsstaatliche Garantien. Allerdings sieht die Volksinitiative vor, den Zuzug zu beschränken.