Vorwahlen in den USA "Die Republikaner haben sich selbst radikalisiert"
Groteske Debatten, peinliche Kandidaten und kein Favorit: Die Vorwahlen um die US-Präsidentschaftskandidatur verdeutlichen, wie unzufrieden die Anhänger der Republikaner seien, sagt ARD-Korrespondent Klaus Scherer im Interview mit tagesschau.de. Die Nachteile der eigenen Radikalisierung zeigten sich jetzt.
tagesschau.de: Noch sind vier Kandidaten im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Schauen wir zunächst auf die beiden stärksten: Was zeichnet Mitt Romney und Rick Santorum aus?
Klaus Scherer: Romney ist erfahren sowohl als Unternehmer wie als früherer Gouverneur von Massachusetts. Und ihm wird weithin angerechnet, dass er die Olympischen Spiele von Salt Lake City aus dem Desaster zum Erfolg führte. Vielen Konservativen ist er allerdings zu pragmatisch, um nicht zu sagen: wendig in rechten Grundpositionen zu Waffen, Abtreibung, Schwulenrechten oder Umweltschutz. Ihnen redete er zuletzt doch erkennbar nach dem Mund. Santorum hat das umgekehrte Problem. Er ist streng religiös, nennt Evolution und Klimawandel Unsinn, lehnt Abtreibung selbst nach Vergewaltigung ab und vertritt die Tea-Party-Position, wonach die US-Regierung Kriege gewinnen soll, sonst nichts. Das verschreckt jeden moderaten Konservativen, der der Partei noch gewogen war. Dennoch brachte Santorum es zum Senator, und auch Kritiker halten ihm zu gute, er sei ein ehrenwerter Mensch. Er lebe nur leider im falschen Jahrhundert.
tagesschau.de: Der eine ist ein schwer reicher Kapitalist, der andere ultrakonservativer Tea-Party-Christ - wer von den beiden spricht die republikanische Seele am meisten an?
Scherer: Wenn sie Pech haben, keiner von beiden. Denn diese Seele ist seit Obamas Wahlsieg tief gespalten. Der Partei ging es nur noch darum, Obamas Amtszeit zu begrenzen und ihm jeden Erfolg zu verbauen, also keinerlei Kompromisse einzugehen. Ihr Zuwachs bei den Midterm-Wahlen 2010 gab ihnen zwar recht, ging jedoch auf Kosten gemäßigter Abgeordneter, die die Partei nun kaum noch hat. Das hat sie in groteske Debatten zurückgeworfen, etwa über die Moral von Verhütungsmitteln. Eine solche Polarisierung wollen die Amerikaner nicht. Obama radikalisierte nicht Amerika, wie die Republikaner behaupten. Sie radikalisierten sich selbst, zum eigenen Nachteil. Das wird jetzt sichtbar.
"Gingrich könnte zum Königsmacher werden"
tagesschau.de: Was ist von Newt Gingrich zu halten? Er reagierte auf eine klare Niederlage bei einer Vorwahl zuletzt unbeeindruckt mit Ankündigungen, was er als Präsident machen werde.
Scherer: Gingrich ist ein schillernder Kandidat, der zwar kämpft, aber gerade im Erfolg dann wieder Fehler macht. Beides hat er bewiesen. Nach dem Scheitern verschiedener Tea-Party-Frontleute von Michele Bachmann bis Rick Perry sah es so aus, als könne er deren verwaisten Thron besteigen. Aber dann verbiss er sich in Attacken gegen die Medien und wollte auf dem Mond eine Kolonie errichten. Auch seine Biografie ist widersprüchlich. Zu viele Skandale für die Religiösen, zu sehr Washingtoner Insider, zu viele Millionenhonorare aus dem Immobiliensumpf. Das verstößt bei vielen gegen das Reinheitsgebot. Trotzdem könnte Gingrich noch zum Königsmacher werden. Wenn er aussteigt und Santorum unterstützt, wird es für Romney womöglich noch mal eng.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt Ron Paul in diesem Rennen um die Kandidatur?
Scherer: Bei allem Respekt: keine. Seine Anhänger sind eine treue, libertäre Clique, die sich ohne ihn verläuft oder gar nicht wählt. Zahlenmäßig entscheiden sie nichts.
tagesschau.de: Aus Europa betrachtet stellt sich die Frage: Was sind das nur für Kandidaten und für welches Amerika stehen sie?
Scherer: Nicht nur aus Europa. Auch Amerikaner schütteln darüber den Kopf, schon lange. Die peinlichsten Kandidaten haben sich ja zuvor schon aussortiert. Sie mit Amerika zu verwechseln, wäre so falsch wie deren Dauervorwurf, Europa sei eine sozialistische Hölle. Man sollte nicht den Auswahlzirkus der hochmotivierten Ultrarechten, auf denen seit Monaten ein Fokus der Berichterstattung liegt, mit dem Gesamtspektrum gleichsetzen. Wie viele Wähler ihnen folgen, zeigen erst die Wahlen im November.
"Anhänger der Republikaner möglicherweise mit allen unzufrieden"
tagesschau.de: An diesem Dienstag, dem Super Tuesday, gehen die Republikaner in zehn US-Bundesstaaten zu Vorwahlen. Rechnen Sie damit, dass es nach dem Dienstag einen klaren Favoriten geben wird?
Scherer: Eher nicht, denn viele Staaten geben neuerdings nicht mehr alle Stimmen an den Sieger, sondern teilen im Verhältnis. In Michigan etwa hat Santorum ebenso viele Wahlmänner bekommen wie der knappe Sieger Romney. Das erhält auch Verfolgern die Perspektive. Dass sich noch kein wirklicher Favorit herausgebildet hat, kann aber auch die Realität widerspiegeln. Demnach hätte die Partei schlichtweg deshalb keinen, weil ihre Anhänger mit allen unzufrieden sind. Das nutzt dann keinem, außer Obama.
tagesschau.de: Wenn die Kandidatenkür der Republikaner im Sommer gelaufen ist, kommt die Zeit der TV-Duelle mit dem Amtsinhaber. Wie schätzen Sie Romneys oder Santorums Chancen gegen Obama ein?
Scherer: Im Grunde gehen hier alle davon aus, dass da rhetorisch keiner Obama auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Andererseits erhöht das auch den Druck auf ihn. Schon jeder unerwartete Achtungserfolg eines Gegners kann dann für diesen wie ein Sieg wirken. Beim Duell zwischen den Vize-Kandidaten Joe Biden und Sarah Palin wurde das 2008 auch so wahrgenommen, zum Vorteil Palins. Wichtiger wird aber sein, welche Argumente Obama für sich hat und wie die Lage im Land ist. Sollte sich die Wirtschaft weiter erholen, fehlt den Republikanern ihre wichtigste Angriffsfläche, und sie könnten als selbstgerechte Miesmacher dastehen.
tagesschau.de: Hat Obama die Wiederwahl also schon in der Tasche?
Scherer: Das glaube ich nicht. Die meisten unentschlossenen Wähler legen sich erst kurz vor der Wahl fest. Ein Rückschlag am Arbeitsmarkt, ein Fehler, eine geschickte Attacke des Gegners kann dann alles wieder drehen. Außerdem sprechen konservative Strategen schon offen von einem Plan B, falls Obama zu stark sei. Sie wollen gezielt Senatssitze gewinnen, um den Präsidenten dann in beiden Kammern zu blockieren. Dann ginge der Grabenkrieg noch vier Jahre lang weiter.
"Ein Angriff auf den Iran könnte alles durcheinanderwirbeln"
tagesschau.de: Was kann für Obama konkret noch dazwischen kommen?
Scherer: Den Wirtschaftsaufschwung haben Obamas Strategen schon mehrmals kommen sehen. Zuerst bremste ihn der Atomschock von Japan, dann die Währungskrise in Europa. Diesmal könnten es steigende Öl- und Benzinpreise sein, ausgelöst durch die Spannungen mit dem Iran. Und wenn Israel vor der US-Wahl dessen Atomanlage bombardieren sollte, was manche schon voraussagen, kann dies auch noch einmal alles durcheinanderwirbeln. Amerika wird zeigen müssen, dass es Israel zur Seite steht. Das Thema haben die Konservativen klar besetzt, denn Obamas gereiztes Verhältnis zu Netanjahu ist bekannt. Andererseits sind die Amerikaner kriegsmüde. Und im Spannungsfall stützen sie gewöhnlich ihren Präsidenten. Schwer zu sagen, was da überwiegen würde.
Das Interview führte Christian Radler, tagesschau.de.